Alte Medikamente: Belohnung statt ins Grundwasser

Wie Arzneimittel entsorgen: Sammelstelle, Restmüll aber nie Toilette. (Foto: © WiSiTiA/hh)

Die Entsorgung von Arzneimitteln ist für viele Kommunen zum Problem geworden. Denn viele Verbraucher entsorgen sie nicht über den Hausmüll, sondern drücken die Tabletten aus den Blistern und werfen sie in die Toilette. In Leipzig verteilt ein Start-up Arzneimittel-Sammelboxen mit „Belohnungssystem“; in Hamburg startet die Umweltbehörde eine Kampagne.

(hh/jh) – Die Entsorgung von Altmedikamenten stellt die Kommunen in den letzten Jahren vor immer größere Probleme. Aktuelle Daten in Deutschland belegen, dass viele Humanarzneimittelwirkstoffe in Oberflächengewässern in Konzentrationen von über 0,1µg/l nachweisbar sind.

Wachsendes Problem: Die Entsorgung von Medikamenten. (Grafik: LGV/Hamburg)

Der Grund: Über 40 Prozent der Deutschen entsorgen Medikamente mindestens einmal pro Jahr über die Toilette, jeder Zehnte aus dieser Gruppe sogar mehr als zehn Arzneien pro Jahr. Das hat eine Umfrage der Hamburger Umweltbehörde ergeben. Besonders häufig wählen ältere Menschen den Weg über das WC – die auch mehr Medikamente einnehmen.
In Leipzig hat man das Problem, dass immer weniger Apotheken nicht mehr benötigte oder überlagerte Arzneien zurücknehmen. Zugleich ist in Leipzig die Entsorgung von Arzneimitteln über den Hausmüll nicht erlaubt. Die Folge: Die Arzneimittel landen auch hier in der Toilette.

Wer entsorgt wie? Vor allem ältere Menschen wählen den Weg über die Toilette. (Grafik: LGV/Hamburg)

Mehrkosten für Klärwerke: Hunderte Millionen Euro

Das aber ist ein Problem: Die Kläranlagen sind nicht für das Ausfiltern von Arzneiwirkstoffen ausgelegt. Sie können nur etwa 70 Prozent der Chemikalien filtern/abbauen. Die restlichen Inhaltsstoffe von Arzneimitteln gelangen in die Gewässer und können so Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.
Um aus der Hälfte des deutschen Abwassers die Mikroverunreinigungen so gut wie heute möglich herauszufischen, müssten die 250 größten Kläranlagen in Deutschland nachgerüstet werden. Das würde 260 bis 360 Millionen Euro pro Jahr kosten, haben das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Wissenschaftler der Universität Leipzig im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) berechnet, berichtet die Zeit.
Gesetzliche Vorgaben wie Arzneimittel in Kläranlagen gefiltert werden müssen, gibt es in Deutschland keine. Zwar machte das Umweltbundesamt schon im Jahr 2011 Vorschläge zu Grenzwerten für drei ökologisch besonders bedenkliche Arzneimittel. Verbindlich sind diese aber bis heute nicht. Das bedeutet: Die Betreiber der Kläranlagen stehen auch nicht unter Druck, diese aufzurüsten. Wenn besser geklärt werden soll, dann müssen die Bundesländer aktiv werden. So hat Baden-Württemberg die bundesweite Abwasserverordnung durch eigene Gesetze verschärft und damit den Bau von mehreren Aktivkohleanlagen ermöglicht.

Zweitbester Weg: Die Restmülltonne

Die Entsorgung von Altarzneimitteln selbst bist in Deutschland von Bundesland zu Bundesland und Kommune zu Kommune unterschiedlich geregelt. Mal sollen Medikamentenreste im Hausmüll entsorgt werden, mal zum Apotheker gebracht oder alternativ bei den Sammelstellen der Recyclinghöfe abgegeben werden. Entsprechend unterschiedlich fallen die offiziellen Empfehlungen aus.
Neben der der Extraentsorgung über Sammelstellen ist der Restmüll der zweitbeste Weg: Der Restmüll wird üblicherweise bei sehr hohen Temperaturen verbrannt. Das zerstört auch die Arzneiwirkstoffe. 

Schleppende Akzeptanz: Abgeben beim Schadstoffmobil

Der beste Weg ist die Rückgabe alter Medikmente bei Sammelstellen – ob am Schadstoffmobil oder in der Apotheke. Doch die „Akzeptanz“ scheint eher schleppend zu sein, denn das bedeutet Aufwand und Wege.
Hier setzen die Kommunen mit Kampagnen an – ob Leipzig, Hamburg, Essen oder Lüdenscheid. Partner sind neben der Umweltbehörden und den Wasserversorgern meist die Apotheken.

Locken mit Belohnung

Besseres Grundwasser durch Belohnungssystem für Medikamentenentsorgung? (Firmenfoto)

Die Aktion „Essen machts klar“ lockte im März mit einem Gewinnspiel, in Leipzig will man zeitlich unbegrenzt die Bürger belohnen, die abgelaufene Medikamente zurückbringen. Ein Start-up hat Sammelboxen mit integriertem Belohnungssystem entwickelt. Das medibinee-Sammelsystem lockt bei der korrekten Entsorgung von Altmedikamenten mit werbefinanzierten Gutscheinen: Wirft der Kunde alte Medikamente in die Box, kann kann er sich mit einem frei zu wählenden Gutschein einer der am Projekt beteiligten Partnerfirmen belohnen. Zugleich soll sich die Entsorgung über die Werbefinanzierung tragen. Aufgestellt in(!) Apotheken sollen für diese – außer Stromkosten für das integrierte Tablet – keine weiteren Kosten anfallen. Allerdings müsse man drauf achten, was in die Boxen entsorgt wird: Siem sind nur für Medikamente geeignet, nicht aber für Quecksilberthermometer oder Spritzen.

Das Box-System ist ökologisch sinnvoll – und bringt den internetaffinen Kunden vielleicht wieder zurück in die Apotheken. Da auch Tierbesitzern viele Arzneimittel entsorgen, könnte das Sytsem auch für Tierarztpraxen interessant sein.

Quellen:
DAZ-onlineZeit, WDR
Medibiine-Sammelsystem

Kampagnenseiten zur Medikamentenentsorgung:
Essen macht klar
Hamburg: Klar zum Ändern
Leipzig: Arzneimittel richtig entsorgen

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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