Ist eine CO2-Narkose für Ferkel gesetzeskonform?

Sorgt die CO2-Narkose für eine zur Ferkelkastration ausreichende Betäubung? Die Frage muss bis 2019 geklärt sein. (Foto: © WiSiTiA/jh)

Entspricht eine CO2-Narkose den ab 2019 geltenden Anforderungen des Tierschutzgesetzes zur Ferkelkastration? Diese Frage muss entschieden werden. Bisher verbietet das Gesetz künftig nur die „betäubungslose Kastration“, benennt aber (noch) keine Verfahren, die die geforderte „wirksame Schmerzausschaltung“ auch sicherstellen. Für CO2 wird das in Deutschland angezweifelt, in den Niederlanden nicht.

von Annegret Wagner

In Deutschland gehört die CO2-Narkose bisher nicht zu den zulässigen oder angedachten Verfahren, da die Wirksamkeit angezweifelt wird – zuletzt im Sachstandsbericht der Bundesregierung zu den Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration (siehe auch Quellenangaben unten). Anders in den Niederlanden, dort wird die CO2-Narkose schon seit 2007 als Methode der Wahl eingesetzt.
Ist das dann ab 2019 auch ein für Deutschland anerkanntes Verfahren? Die Frage ist relevant, weil das deutsche QS-System (Marktanteil beim Schwein in Deutschland über 90 Prozent) künftig ausländischen Ferkel- und Schweinefleischerzeugern Vorschriften machen wird (Bericht hier)Wer nach Deutschland ins QS-System liefern will – muss die Vorgaben des deutschen Tierschutzgesetzes zur Ferkelkastration einhalten. Dem bisherigen Wortlaut nach würde das CO2-Verfahren dem entsprechen. Das führt zu Kritik von Tierärzten und auch Landwirten.

Deutsche Meinung: CO2-Narkose kein operationsfähiger Zustand

In ihrer Dissertation aus dem Jahr 2011 an der TiHo Hannover kommt Dr. Maren Hoppe zu dem Ergebnis, dass die Betäubung mit CO2 (70 % CO2, 30 % O2) nicht zu einer ausreichenden Schmerzausschaltung führt. Sowohl Lautäußerungen, Abwehrbewegungen als auch die Sympathikusaktivierung (erhöhte Puls-, Herz und Atemfrequenzen) deuten auf das vorhandene Schmerzempfinden hin. Die Insufflation mit CO2 bewirkt zwar eine Dämpfung der Schmerzreaktionen, aber die Kollegin konnte nicht klar unterscheiden, ob dieser Effekt tatsächlich durch eine einsetzende Analgesie oder nur durch die allgemeine Depression des Nervensystems verursacht wird. Die gleichzeitig durchgeführten EEG-Aufzeichnungen zeigten bei den meisten Tieren keinen operationsfähigen Zustand. Daher handelt es sich bei dem Verfahren nach Ansicht von Dr. Hoppe nicht um eine vollwertige Narkoseform.

Erhebliche postoperative Risiken

Zudem berge die CO2-Betäubung eine ganze Reihe von Risiken für die Ferkel. Obwohl bei den Versuchen keine Ferkel verstarben, waren die im EKG messbaren Veränderungen sehr häufig lebensbedrohend. Im Vergleich zu nicht-betäubten Ferkeln starben in den drei Wochen nach der OP deutlich mehr Ferkel aus der CO2-Gruppe. Dr. Hoppe konnte die Ursache für die höhere Sterblichkeit aber nicht zweifelsfrei feststellen. Sie geht jedoch davon aus, dass die enorme Mehrbelastung des Kreislaufs der Ferkel dazu führen könnte, dass sich die Rangordnung zugunsten der nicht-betäubten Tiere verschiebt. Eine andere mögliche Erklärung wäre, dass sich durch die Schädigung der Atemschleimhäute im Zusammenhang mit der Betäubung eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit ergibt.

Niederlande: „Ausreichende Schmerzausschaltung“

Marien Gerritzen und seine Kollegen von der Universität Wageningen (Niederlande) haben sich bereits einige Jahre früher mit der Methode beschäftigt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass bei Ferkeln nach etwa 30 Sekunden in einem Gasgemisch aus 70 Prozent CO2 und 30 Prozent Sauerstoff eine ausreichende Schmerzausschaltung für eine Kastration gegeben sei. Allerdings beobachteten auch sie dramatische Auswirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem bis hin zum drohenden Herzstillstand. Alle Ferkel erholten sich aber innerhalb einer Minute nach Ende der Behandlung wieder. In zusätzlichen Versuchen wollten die Kollegen klären, ab wann tatsächlich mit Tierverlusten gerechnet werden muss. Dazu setzten sie fünf Ferkel drei Minuten lang dem Gasgemisch aus und vier Ferkel zwei Minuten. In der ersten Gruppe starben zwei Ferkel, in der zweiten Gruppe eins.
Die Niederländer halten die Methode prinzipiell für die Schmerzausschaltung geeignet, sehen aber durchaus die Risiken für die Ferkel. Der besondere Vorteil der Methode ist der, dass aus rechtlicher Sicht eine CO2-Betäubung nicht vom Tierarzt durchgeführt werden muss und daher für Landwirte einfach einsetzbar wäre.

Europäischer Anästhesistenverband: „Nicht akzeptabel“

Die europäische Association of Veterinary Anaesthetists (AVA) dagegen hält die CO2-Betäubung für nicht akzeptabel, da sie bei den Ferkeln Schmerzen (Reizung der Atemwege, Muskelzittern und – krämpfe) und Stress (Sauerstoffmangel Kreislaufprobleme) verursacht ohne zu einer verlässlichen Schmerzausschaltung zu führen. Es werde lediglich die Schmerzgrenze erhöht. Außerdem bestehe keine postoperative Schmerzausschaltung.

Quellen: im Artikel verlinkt

Weiterführende Quellen mit Vergleich der Verfahren und/oder wirtschaftlicher/medizinischer Einordnung:

Bericht der Bundesregierung zum Stand der Entwicklung alternativer Verfahren zur Ferkelkastration (Dezember 2016 – PDF-Download)
„Ausstieg aus der Ferkelkastration“ – Situationsanalyse des QS-Systems mit Marktbetrachtung und Kundenbefragung (November 2016 – PDF-Download)
Bewertung der verschiedenen Verfahren aus Tierschutzsicht (Tierschutzbeauftragte Baden-Württemberg 8/2016 – PDF-Download)
Bewertung der Betäubungsverfahren zur Ferkelkastration – (ITIS- PDF-Download)

 

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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