Geflügelpest: Eintrag in Ställe über „kontaminiertes Material“

Nutzgeflügel vor Geflügelpest/Vogelgrippe schützen – Infografik des FLI. (Grafik: © FLI)

Die Zahl der Geflügelpestausbrüche bei Wildvögeln aber auch in Nutzgeflügelbeständen steigt weiter. Trotzdem werden Forderungen immer lauter, das Aufstallgebot für Freilandhaltungen zu lockern. Das FLI bleibt hält dies für unverzichtbar, stellt aber auch fest: Der Viruseintrag in bisher 60 Nutzgeflügelhaltungen sei wohl meist über „kontaminiertes Material „erfolgt.

von Jörg Held

Mittlerweile haben in Deutschland die Geflügelpestfälle bei Wildvögeln (rd. 800 Nachweise) sowie die Ausbrüche bei Nutzgeflügel (bisher 59 Haltungen) ein „nie zuvor gekanntes Ausmaß angenommen“, schreibt das Friedrich-Loeffler-Institut in seiner aktuellsten Risikobewertung. Das Risiko weiterer Ausbrüche sei unverändert hoch. Oberste Priorität habe deshalb der Schutz der Nutzgeflügelbestände vor einer Infektion mit den hochansteckenden Viren (HPAIV H5N8 und H5N5).

FLI setzt auf Stallpflicht

Dazu müssten „physikalische und funktionelle Barrieren“ zwischen Wildvögeln und Geflügelhaltungen eingerichtet werden: Das meint vor allem die Aufstallung von Nutzgeflügel, das bisher im Freiland gehalten wurde sowie strenge Biosicherheitsmaßnahmen für alle Haltungsformen. Das soll das Risiko eines direkten und indirekten Kontaktes mit infizierten Wildvögeln minimieren.

Nutzgeflügel vor Geflügelpest/Vogelgrippe schützen – Infografik des FLI. (Grafik: © FLI)

Nutzgeflügel: Eintrag über Mensch und Material

Indirekt bedeutet dabei einen Eintrag über kontaminiertes Material (Schuhwerk, Fahrzeuge, Gegenstände, Wasser, Einstreu). Der ist – so schreibt das FLI – „für die meisten der bisher infizierten Geflügelhaltungen die wahrscheinlichste Infektionsquelle“. Das Risiko eines Eintrags über zugekauftes Geflügel, Futter und Tränkwasser war bei allen Ausbrüchen, die unter Mitwirkung des FLI epidemiologisch untersucht wurden, vernachlässigbar.
Auch handele es sich bei den meisten betroffenen Haltungen laut FLI um „Primärausbrüche ohne weitere Verschleppung2. Allerdings sei in drei Fällen von Sekundärausbrüchen auszugehen. Das meint: Das Virus dürfte von einem Betrieb zum anderen verschleppt worden sein.

FLI: Wildvögel für Verbreitung in Deutschland verantwortlich

Karte der Geflügelpest-Ausbreitung in Deutschland (Stand 16.2.2017). (Karte: © FLI)

Für das FLI haben die Wildvögel das Virus in Deutschland verbreitet. Genetisch unterscheiden sich die aktuell in Deutschland kursierenden H5N8-Viren von denen des Ausbruchs 2014/2015. Sie sind aber eng verwandt mit Viren, die im Sommer letzten Jahres in Südrussland beschrieben wurden. Für das FLI handelt es sich daher um einen neuen Eintrag durch Wildvögel über Russland. Ein direkter Eintrag aus China oder den benachbarten asiatischen Ländern durch Geflügel- beziehungsweise Geflügelprodukte sei sehr unwahrscheinlich. Dann wären andere genetische Muster des Virus zu erwarten.
Der ebenfalls zunehmend nachgewiesen H5N5-Virustyp ist durch eine Reassortierung von Genen aus dem H5N8-Virus entstanden (mehr hier).

Tierschützer: Töten nur bei Virusnachweis

Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert das bisherige Vorgehen im Seuchenfall, da es sich primär auf Bestandskeulungen und Aufstallungsgebote stütze. Seit Anfang November 2016 seien in Deutschland so bereits über eine Million*, zum Teil völlig gesunde Vögel gekeult worden.
Die Zahlen liessen sich reduzieren, wenn durch eine Umstrukturierung der Geflügellandwirtschaft, kleinere Bestände den Viren zukünftig weniger Angriffsfläche böten.
Die Tötung von Tieren sei aus Tierschutzsicht nur im Falle des eindeutigen Nachweises hochaggressiver Geflügelpestviren akzeptabel. Aufstallungsgebote sollten außerdem nur für einzelne Regionen erlassen werden, wenn tatsächlich ein hohes Ansteckungsrisiko besteht und andere Schutz- und Hygienemaßnahmen nicht ausreichen.

(*nach Angaben der Bundesregierung wurden bis Ende Januar 391.000 Tiere in infizierten Nutztierbeständen getötet, sowie 154.000 Tiere vorsorglich)

Wildvögel: Viele Aasfresser betroffen

Die aktuelle Geflügelpestausbrüche unterscheiden sich von letzten H5N8-Ausbruchswelle im Winter 2014/2015 durch einen deutlich agressiveren Virussubtyp. Damals waren vergleichsweise selten tote Wildvögel gefunden worden. Diesmal sind die Todesfälle bei bisher 47 verschiedenen Vogelarten sehr hoch (rd. 800 nachgewiesen / Stand 21.2.2o17).
Besonders häufig betroffen sind vor allem Wasservögel und Vogelarten, die sich auch von Aas ernähren – zum Beispiel Bussarde, aber auch Seeadler und Möwen.
Aufgrund von HPAIV-H5-Nachweisen auch bei gesunden Wasservögeln oder in deren Kot, vermutet man beim FLI, dass Wildvögel das Virus ausscheiden können, ohne selbst zu erkranken oder zu verenden: „Es ist davon auszugehen, dass die Epidemie unter wilden Wasservogelarten weiterhin fortbesteht. Anhand der Totfunde ist nur die Spitze des Eisbergs zu erkennen.“

Frankreich keult weiter „vorsorglich“

Weitaus stärker betroffen als Deutschland sind Frankreich mit 331 Geflügelhaltungen (22.2.2017) und Ungarn (233 Haltungen /  ca. 3,2 Mio getötete Tiere – 2/2017). Vor allem Frankreich verzeichnet eine fast ungebremste Ausbreitung: Binnen 14 Tagen stieg dort die Zahl der infizierten Geflügelhaltungen um 30 Prozent von 223 auf inzwischen 331 Betriebe.
Das französische Landwirtschaftsministerium hatte deshalb schon Anfang Januar die vorsorgliche Tötung von rund 900.000 Stück Geflügel angeordnet. So wollte man die Ausbreitung eindämmen. Jetzt sollen noch einmal 360.000 Tiere auch ohne direkten Virusnachweis getötet werden. Damit würden in Frankreich insgesamt 3,5 Millionen Tiere gekeult.
Auffallend ist in Frankreich die regionale Konzentration (siehe Karte) und die vergleichsweise geringen Nachweiszahlen bei Wildvögeln: Es waren erst 40 Funde, die meisten in der Nähe der Schweizer Grenze (Genfer See).

Karte der Geflügelpestausbrüche in Europa (Stand 8.2.2016). (Karte © FLI)

Quellen und weiterführende Links:
Aktuelle Risikoeinschätzung des FLI (PDF-Download Volltext – Weblink zur Kurzfassung)
Einschätzung der Bundesregierung zu Übertragungswegen, Kosten von Keulungsaktionen und Tötungszahlen (PDF-Download / Antwort auf Kleine Anfrage der Grünen 14.2.2017)

Abfrage für die neuesten Fälle: Tierseucheninformationssystem
FLI-Grafik: Schutzmaßnahmen (PDF-Download)
FLI-Merkblatt: Schutzmaßnahmen in Kleinhaltungen (PDF-Download)
weitere Quellen im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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