Ortstermin in einer Sauenzuchtanlage in Bayern. Parallel werden Ferkel unter Injektions- und Isofluran-Narkose kastriert. Im direkten Vergleich zeigt sich: Wenn rechtliche und sicherheitstechnische Fragen geklärt sind, wäre die Isofluran-Narkose für Ferkel und Anwender der praktikablere Weg.
von Jörg Held
Ab Januar 2019 ist die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. Dieser Termin steht seit 2013 fest, an ihm werde auch nicht mehr gerüttelt, bestätigte das Bundeslandwirtschaftsministerium zuletzt mehrfach. Von Ebermast über die Immunokastration bis zum Spermasexing gibt es bereits eine Reihe denkbarer Alternativen.
Doch weil ihnen bislang die Schlachthöfe/der Handel keine Abnahmegarantie für Fleisch aus den alternativen Verfahren zu gleichen Preisen wie für Sauen oder Börgen (kastrierte Eber) geben, kastriert die große Mehrheit der Schweinezüchter nach wie vor die unter acht Tage alten Ferkel noch mit präoperativer Schmerzmittelgabe (Meloxicam). Sie befürchten eine Marktspaltung in „gute“ weibliche Schweine und schlecht verkäufliche männliche Tiere – ähnlich wie bei Legehennen und unverwertbaren Hähnen.
Die Tierhalter favorisieren daher auchweiterhin die Kastration.
Zwei mögliche Narkoseverfahren
Für die ab 2019 vorgeschriebene Kastration mit Betäubung kämen zur Zeit nur zwei Narkoseverfahren für die Praxis in Frage:
- Aktuell für Schweine zugelassen ist nur die intramuskuläre Injektionsnarkose – eine auf das Ferkelgewicht abzustimmende Kombination aus Azaperon und Ketamin.
- Die Betäubung mit dem Narkosegas Isofluran hat in Deutschland keine Zulassung für Schweine, wird aber teilweise über eine Umwidmung eingesetzt. In der Schweiz ist die Isoflurannarkose seit 2010 üblich. Dort ist auch die Anwendung durch den Landwirt erlaubt. In Deutschland gilt für alle Narkotika der Tierarztvorbehalt.
Nur Isofluran praxistauglich
Praxistauglich ist für bpt-Präsidiumsmitglied und Schweinepraktiker Dr. Andreas Palzer aber nur die Isofluran-Narkose. Das belegt auch der von ihm vorbereitete Ortstermin eindrucksvoll:
Abwehr- und Stressreaktionen (zappeln/quieken) zeigen die Ferkel, sobald man sie für eine Injektion aufnimmt. Die ist sowohl bei der Injektionsnarkose, aber auch für das Isofluranverfahren nötig. Da das Gas nur eine betäubende, aber keine schmerzlindernde Wirkung hat, muss der Tierarzt hier präoperativ ein Schmerzmittel spritzen.
Die Wartezeit bis zur Wirksamkeit des Schmerzmittels, beziehungsweise dem Eintritt der Schlafphase bei der Injektionsnarkose ist in etwa vergleichbar. Bei der Isofluranbetäubung ist das Ferkel nach wenigen Sekunden eingeschlafen, die volle Wirkung entfaltet sie in etwa ein bis eineinhalb Minuten. Der eigentliche operativen Eingriff dauert bei beiden Verfahren wiederum gleich lang.
Injektionsnarkose: Fünf Stunden Nachschlafphase
Doch bei der Isofluran-Narkose ist der gesamt Eingriff dann inklusive Aufwachphase nach drei bis vier Minuten vorbei, die Ferkel sind wieder wach und können zurück zur Wurfgruppe.Dem stehen bis zu fünf Stunden Nachschlafphase beim Injektionsverfahren gegenüber. In dieser Zeit müssen die Ferkel unter Wärmelampen getrennt von der Muttersau vor Unterkühlung und Erdrücken geschützt werden und können nicht säugen.
„Die Injektionsnarkose ist für uns deshalb überhaupt kein gangbarer Weg“, stellt Sauenhalter Franz Kratzer eindeutig klar. Weder sei das personell und organisatorisch unter aktuellen Marktbedingungen zu leisten, noch für die Ferkelgesundheit sinnvoll. Allenfalls für kleinere Betriebe stellt die Injektionsnarkose eine machbare Alternative dar, auch um zu hohe Investitionskosten zu vermeiden.
Ab 150 Sauen rentabel
Mit einer zweiflutigen Isofluran-Anlage (siehe Foto unten) könne ein versierter Operateur etwa 70 Ferkel pro Stunde kastrieren, sagt Palzer. Ab etwa 150 Sauen und der entsprechenden Ferkelzahl würde sich das Verfahren (Anlage- und Tierarztkosten) im Vergleich mit den anderen Lösungen rechnen. Hygienerisiken beugt er in Modellprojekten dadurch vor, dass das „Operationsgestell“ inklusive Masken und Ferkelhalterung auf dem Betrieb bleibt. Nur den Verdampfer und das Narkosegas bringt der Tierarzt jeweils mit. Diese Einheit hat keinen direkten Tierkontakt.
Isofluran: juristisch fraglich
Was dem Verfahren fehlt ist die „Rechtssicherheit“. Isofluran hat keine Zulassung als Narkosegas für Schweine. Bisher wird eine Umwidmung in Ausnahmefällen toleriert (Biobetriebe und „Neuland“ setzen es im „Modellversuch“ ein). Aber auch das ist strittig, da mit der zugelassenen Injektionskombination zwar kein Inhalationsnarkosemittel aber ein wirksames Betäubungsmittel auf dem Markt ist.
Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums laufen derzeit Gespräche zwischen dem BVL und einem pharmazeutischen Unternehmer für eine entsprechende Zulassung.
Arbeitssicherheit garantieren
Beim Ortstermin in Bayern dabei waren auch Dr. Iris Fuchs, Vizepräsidentin der Bundes- und der Bayerischen Landestierärztekammer und bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder. Auf einem Folgetermin informierten sich bayerische Landwirtschaftsvertreter. Auch in NRW gibt Demonstrationstermine des Verfahrens.
Für Dr. Fuchs muss mit einer Zulassung auch der Aspekt Arbeitssicherheit geklärt werden. Isoflurangase sind für den Operateur gesundheitsschädlich. Sie zählen außerdem zu den Treibhausgasen. Die aktuellen Systeme leiten das von den Ferkeln ausgeatmete Narkosegas über die Maske durch einen Schlauch aus dem Stall in die Außenluft ab. Hier gilt es konkrete Grenzwerte zu ermitteln und festzulegen.
Narkose nur mit Tierarztvorbehalt
Zentrales Thema für bpt-Präsident Moder ist der „Tierarztvorbehalt“ beim Einsatz von Betäubungsmitteln: Weder Injektions- noch Isofluran-Narkose dürften aus der Verantwortung des Tierarztes herausgelöst werden. Eine Abgabe an den Landwirt dürfe es nicht geben.
Fazit des Ortstermins:
- Die Tierhalter sollten – abhängig von individuellen Voraussetzungen ihres Betriebes und den Vermarktungsmöglichkeiten – zwischen allen denkbaren Verfahren wählen können.
- Der Markt dürfe dabei kein Verfahren diskriminieren.
- Wenn Narkose, dann habe das Isofluran-Verfahren nach weiterer rechtlicher und technischer Prüfung aus Sicht des anwendenden Tierarztes und der Tierhalter klare Vorteile.
- Der Gesetzgeber ist aufgefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz zu schaffen;
- die Pharmaindustrie eine Zulassung zu erwirken;
- die Tierärzteschaft müsse die für eine sichere Narkose notwendigen Abläufe definieren;
- die Gerätehersteller entsprechend funktionsfähige und sichere Apparaturen/Masken entwickeln, die auch den Narkosemitteleinsatz bilanzieren.
Bis 2019 ist dafür nicht mehr viel Zeit.
Weitere Informationen: Gegenüberstellung aller Narkosemethoden inklusive CO2-Narkose und Lokalanästhesie (Vortrag Niedersächsischer Tierärztetag 2/2015)