Möwen: mcr-1-Resistenzgen ist „wild“ geworden

MöwenschwarmIn Möwenkot aus der Nähe einer Mülldeponie nachgewiesen: Das Colistin-Resistenzgen mcr-1.

In Litauen und Argentinien haben Forscher das mcr-1-Resistenzgen aus dem Kot von Möwen isoliert und sehen nun einen weiteren Verbreitungsweg über Ländergrenzen und Kontinente hinweg. Die auf einem mobilen Plasmid liegende Colistin-Resistenz ist bei der Entstehung sogenannter „Superbugs“ beteiligt: Keime, die nicht nur gegen ein, sondern teilweise sogar gegen bis zu 15 Antibiotika resistent sind.

(aw/jh) – Zuerst wurde der mcr-1-Resistenzmechanismus im Jahr 2015 in China nachgewiesen. Seitdem suchen Forscher weltweit gezielt nach dem Resistenzgen. Sie testen aktuelle Erkrankungen und Rückstellproben und wiesen es weltweit bereits in über 100 Fällen nach – Tendenz weiter steigend.
In Europa ist das mcr-1-Gen mittlerweile in über zehn Jahre alten Colistin-resistenten E.coli-Rückstellproben gefunden worden. Es ist also keine neue Resistenz, sondern ein neu entdeckter Übertragungsweg.
Das in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte Antibiotikum Colistin hat beim Menschen schwere Nebenwirkungen, wird aber in der Landwirtschaft sehr häufig eingesetzt. Es erlebt jedoch im Zusammenhang mit multiresistenten Infektionen gerade eine Renaissance in der Humanmedizin und wird deshalb als „Last-Ressort“-Antibiotikum eingestuft.

Erster belegter mcr-1 Superbug in den USA

Weltweite Schlagzeilen machte der Fall einer Frau aus Pennsylvania (USA), die im Mai dieses Jahres an einer Harnwegsinfektion mit E.coli-Bakterien erkrankte, die gegen 15 verschiedene Antibiotika resistent waren. Die E.coli-Bakterien trugen das mcr-1-Gen. Die Frau aus Pennsylvania hat die Infektion überstanden. Bei ihr konnte aber weder eine Zusammenhang mit (Fern)Reisen noch mit der Landwirtschaft belegt werden.
Doch auch wenn die Belege noch nicht vollständig sind, stellen die Forscher weltweit die Hypothese auf, dass ein mcr-1-Reservoir in der Nutztierhaltung existiert, da bisher die Mehrzahl der Nachweise bei Nutztierproben gelang.

Sehr leicht übertragbare Resistenz

mcr-1 ist der erste bekannte, Plasmid-gebundene Resistenzmechanismus gegen Polymyxine, der einen horizontalen Gen-Transfer vornehmen kann und deshalb als äußerst mobil gilt. Gleichzeitig kann es weitere Resistenzen mit übertragen. Solche im Zusammenhang mit mcr-1 mehrfach-resistenten Keime wurden auch bei einer Frau in Polen (acht Antibiotika-Resistenzen) und einem Jungen in Ecuador (drei Resistenzen) berichtet. Beide Patienten hatten Kontakt zu Nutztierhaltungen. Der Keim in Ecuador (Sequenzce-Typ 609) wies allerdings auch eine genetische Verwandschaft mit Keimfunden in Saatkrähen in Polen, Möwen in Russland, Hundekot in Dänemark und einem Patient in Kanada auf.

Verbreitung über Wildvögel

Wie weit solche Bakterien – ohne weitere Beteiligung von Menschen – verbreitet werden können, zeigen auch Untersuchungen aus Litauen (Modestas Ruzauskas und Lina Vaskeviciute) und den Niederlanden (Apostolus Liakopoulus et al.). Die Litauer berichten im Journal of Antimicrobial Chemotherapy, dass sie im Kot von Sibermöven (Laurus argentatus) einen E. Coli-Keim mit dem mcr-1-Gen nachweisen konnten. Gleiches  gelang dem Team um Liakopoulus bei Dominikanermöven (Laurus domenicanus) in Ushuaia, Argentininen.
Da der Möwenkot in Litauen im Umfeld einer Mülldeponie gesammelt wurde, gehen die Wissenschaftler dort davon, dass die Möwen das Gen mit Abfall oder Abwässern von Menschen aufgenommen haben und nun über ihrem Kot weiterverbreiten können. Entsprechend vorsichtig sollte mit Vogelkotverschmutzungen im Wasser und an Land umgegangen werden. Da gerade Möven weite Strecken zurücklegen und sich nicht an Ländergrenzen halten, befürchten die Wissenschaftler eine schnelle und weite Verbreitung von Colibakterien, die das mcr-1-Gen tragen.

Das US.amerikanische Center for Disease Control and Prevention schätzt, dass sich etwa zwei Millionen Menschen pro Jahr mit solchen, kaum noch mit Antibiotika zu therapierenden Keimen infizieren. An den Folgen sterben etwa 23.000 Menschen pro Jahr. „Superbug“-Infektionen sind aber nicht per se tödlich, denn ein funktionierendes Immunsystem kann einen Großteil der „Angriffe“ abwehren.

Quellen im Artikel verlinkt

 

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