Der „vertikal integrierte Tierarzt“

VW-Transporter mit Wiesenhof Tierarzt-AufschriftBetreiben künftig auch Fleischkonzerne Tierarztpraxen? (Montage: WiSiTiA/jh / Logo © Wiesenhof)

Was haben Kapitalinvestoren als Kleintierklinikbetreiber mit der Milchpreiskrise und den Nutztierärzten zu tun? Es sind Präzedenzfälle, die Marktstrukturen verändern. Am Ende könnten auch Fleischkonzerne wie Tönnies oder Wiesenhof eigene Tierarztpraxen betreiben.

Ein Gedankenspiel von Jörg Held

Tierarzt ist ein freier Beruf – eigentlich. Deshalb gilt formal in Deutschland noch ein Fremdkapitalbeteiligungsverbot für Tierarztpraxen: Nur Tierärzte sollen Inhaber sein und die Entscheidungen treffen. Doch defacto ist das Beteiligungsverbot mit den Investitionen der Klinikketten AniCura und Evidensia in deutsche Standorte bereits gefallen. Keine Kammer und kein Berufsverband oder Bundesland wird gegen die Investoren vorgehen, denn EU-rechtlich ist ein solches Verbot nicht haltbar (Details zu dieser Diskussion hier und hier).
Nun werden die rund 150 von den Kapitalinvestoren anvisierten Kleintierpraxen/Klinikstandorte den deutschen Praxismarkt nicht revolutionieren – es gibt rund 10.000 Tierarztpraxen. Doch sie schaffen Fakten für andere Player:

Warum sollte nicht auch ein Fleischkonzern wie Tönnies oder der Geflügel-Gigant Wiesenhof in eigene Tierarztpraxen „investieren“?

Loblied auf die „vertikale Intergation“

Dr. Ludger Breloh, Bereichsleiter Grüne Produkte der Rewe Group, pries auf dem Deutschen Bauerntag die „vertikale Integration“ als das Zukunftsmodell für „Wertschöpfung und Stabilität“ in der Nutztierhaltung.

„Vertikale Integration“ der Produktionskette bedeutet bisher: „Marken-Firmen“ wie Wiesenhof oder Rothköther „besitzen“ von der Brüterei über den Schlachthof bis zur fertigen Geflügelwurstmarke (fast) alle Produktionsschritte oder haben beherrschenden Einfluss darauf. Die Bauern sind in dieser Kette nur „Vertragsmäster“. Sie erhalten Küken und Futter vom Konzern, kennen Monate im Voraus die nächsten Ein- und Ausstallungstermine, ihre Tierzahlen und auch die Preise. Der Mäster ist ein Glied in der Wirtschaftskette – mit wenigen Freiheiten.

Tierarztzukunft: Vertragspartner oder integriert?

Auch Tierärzte sind in diesen Geflügel-Integrationen bislang feste Vertragspartner. Es gibt nur noch wenige große Praxen, die mehr oder weniger zentral die Ställe einer Integration betreuen. Die Verträge enthalten auch Vorgaben für Behandlungsschritte und den Antibiotikaeinsatz. Die Anwendung sogenannter Reserveantibiotika etwa ist streng reglementiert.

Politisch wäre es bislang – Stichwort Agrarindustrie und Antibiotikadebatte – unklug gewesen, wenn Tönnies oder Wiesenhof die Speerspitze bei der Übernahme von Tierarztpraxen gespielt hätten. Doch haben sich die Kleintierkliniken in Fremdbesitz in drei, vier Jahren erst einmal als Rechtsform etabliert, steht auch anderen „Investoren“ diese Option offen. Denkbar ist da durchaus eine überregionale Bestandsbetreuung mit entsprechendem Medikamentenmanagement als Tochterfirma eines Fleischkonzerns. Die kurative Betreuung für Rinder und Schweine könnten wiederum lokale Vertragstierärzte übernehmen.

Unrealistisches Gedankenspiel?

Dieses Gedankenspiel ist nicht zwingend unrealistisch:
Rewe-Manager-Breloh möchte das Integrationsmodell explizit auf die gesamte Nutztierhaltung – also auch die Schweine und Rinderhaltung – übertragen sehen: In der Geflügelbranche habe dies die Stabilität erheblich verbessert und die Märkte würden schlagkräftig bedient. Überproduktionen und drastischen Preisverfall, wie sie die Milchbranche gerade erschüttern, kennt die Geflügelbranche nicht.

Ein Grund: Eine Integration kann weitaus exakter planen und steuern – sowohl Mengen aber vor allem auch die Qualität. Will der Handel die gesellschaftliche Erwartung an eine „bessere“ Nutztierhaltung bedienen – was er ja aktiv tut, indem er inzwischen schneller als vom Gesetzgeber gefordert etwa Schnabelkürzen oder betäubungsloses Kastrieren für seine Lieferanten verbietet – dann gilt:
„Das Produktversprechen muss zu 100 Prozent an der Ladentheke ankommen,“ wie es Breloh formuliert. Diese Garantie kann nur geben, wer auch wirklich die Haltung – und damit auch die Tierbehandlung im Stall – effektiv kontrolliert und unmittelbar beeinflussen kann.
Händler wie EDEKA oder Rewe, versuchen sich mit höherpreisigen Fleisch- und Milchprodukten aus Deutschland gegenüber ausländischer Ware, die weniger strenge Produktionsauflagen hat, zu positionieren – mit einer Aufwertung durch Label, sei es „Regional“, Tierwohl oder künftig womöglich auch (wie in den USA) „antibiotikafrei“. Die Lieferanten müssen dies garantieren.
Im Schweinesektor wird beispielsweise Tönnies nachgesagt, das Integrations-Modell einführen zu wollen. Im Milchbereich sind solche Bestrebungen noch wenig konkret. Doch auch Molkereibesitzer investieren in Milchviehbetriebe.

Dann macht doch alles selbst

Auf dem Deutschen Bauerntag 2016 entgegnete Johannes Röring, CDU-Bundestagsabgeordneter und im Präsidium des Deutschen Bauernverbandes für den Fleischbereich zuständig, dem Rewe-Manager: „Wir sind gerne zur Zusammenarbeit bereit, aber was Sie vorschlagen geht alles über die Köpfe der Bauern hinweg, Sie wollen alles selber machen, dann machen Sie bald auch die Tierhaltung selbst?“

Womöglich geht in einer „integrierten Welt“ künftig auch einiges über die Köpfe der Tierärzte hinweg. Noch ist es nicht soweit.
Aber die Rahmenbedingungen dafür entstehen gerade – im Kleintiersektor.

Quellen:
„Rewe-Manager erwartet vertikale Integration bei Schwein und Rind“ (topagrar)
„Mit Hähnchen lässt sich Geld verdienen“ (Neue Osnabrücker Zeitung / NOZ)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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