Die Zeiten der „überhasteten Jagd auf Milchleistung“ muss der Vergangenheit angehören, fordern Tierärzte und Wissenschaftler in der „Göttinger Erklärung 2016“. Jungkühe, die möglichst schnell ihre ersten 10.000 kg Milch geben, dann aber nicht einmal das Ende der Laktation erlebten, wolle niemand.
(jh/AVA) – „Erkrankungsraten bei milchbetonten Rinderrassen von weit über 50 Prozent und hieraus resultierende hohe Abgangsraten in der ersten Laktation sind sowohl veterinärmedizinisch als auch im Hinblick auf die Akzeptanz durch die Verbraucher, nicht mehr hinzunehmen.“ Die Tierärztinnen und Tierärzte auf der AVA-Haupttagung seien sich einig gewesen, dass „dringender Handlungsbedarf angezeigt ist, um diese unerwünschten Entwicklungen in der Tierzucht zu stoppen“, heißt es in einer Presseerklärung zur sogenannten „Göttinger Erklärung 2016„.
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Generell setzten sehr hohe Herdenleistungen (≥ 10.500 kg Milch/Kuh/Jahr) ein hoch-qualifiziertes Herdenmanagement voraus. Dies sei nicht in allen Herden regelmäßig sicherzustellen „Höchstveranlagte Tiere empfehlen sich deshalb generell nicht für alle Umwelten.“ Eine für Mensch und Tier gesunde Milchproduktion müsse aber auch für die breite Masse der Milchproduzenten möglich sein und dürfe nicht nur wenigen spezialisierten Milchviehbetrieben überlassen werden, fordert der Gründer der Agrar- und Veterinär- Akademie (AVA) Ernst-Günther Hellwig.
Kühe müssen älter werden
Es bestehe kein Zweifel, dass die erfolgte Steigerung der Milchleistung mit hohen leistungsbedingten Erkrankungsraten (≥ 60 % aller Kühe pro Laktation) und daraus resultierenden frühen Abgängen verbunden sei. Die zurzeit sich ergebende Nutzungsdauer von unter drei Laktationen erfolge vor dem Leistungsoptimum der Kühe in der vierten bis sechsten Laktation und vor der ökonomisch optimalen Laktationszahl von sechs bis sieben Laktationen. „Kühe müssen insgesamt älter werden.“
Landwirte stoßen an Managementgrenzen
Eine höhere Milchleistung erfordere außerdemzwingend eine entsprechend höhere Futteraufnahme. Sonst verlängere sich die negative Energiebilanz (NEB) der Milchkuh bis weit über 100 Tage nach dem Abkalben. „Nicht alle Betriebsleiter sind in der Lage, diese Phase durch qualifizierte Managementmaßnahmen zu kompensieren. Und so stoßen in der Praxis mehr und mehr Milchviehhaltungen an die Grenze ihrer Möglichkeiten“, heißt es in der Pressemitteilung zur Göttinger Erklärung. Stoffwechselstörungen und eine Vielzahl von Folgeerkrankungen seien unausweichlich. Und: „Ein solches Ausmaß der negativen Energiebilanz bei hochleistenden Milchkühen ist aus tiergesundheitlichen und Tierschutzgründen abzulehnen.“
Deshalb bestehe dringender Handlungsbedarf, um diese unerwünschten Entwicklungen in der Tierzucht zu stoppen.