Grüne Agrarminister fordern erneut: Dispensierrecht abschaffen

Weiter Zankapfel politischer Forderungen - das tierärztliche Dispensierrecht. (Foto: WiSiTiA/aw)

Entweder eine Ende der Rabatte für Antibiotika oder das tierärztliche Dispensierrecht muss weg – das fordert erneut ein Beschlussvorschlag für die Länder-Agraministerkonferenz in dieser Woche. Tierärzte kritisieren diese „inakzeptable Verquickung“.

Update: Die Agrarministerkonferenz ist dem Beschlussantrag nicht nur nicht gefolgt, sie hat sich überhaupt nicht zum Dispensierrecht geäußert (17.4.2016).

von Jörg Held

Die Länderagrarminister seien besorgt wegen zunehmender Antibiotikaresistenzen in Human- und Veterinärmedizin. Sie sehen trotz bereits ergriffener Massnahmen weiter erheblichen Handlungsbedarf. So hätten Tierärzte durch Rabatte beim Antibiotikaeinkauf einen wirtschaftlichen Anreiz große Mengen einzukaufen – und auch einzusetzen.
Deshalb fordert ein Beschlussvorschlag für die Agrarministerkonferenz /AMK) in Göhren-Lublin zum wiederholten Male ein Rabattverbot und Festpreise für Antibiotika, wie es sie in der Humanmedizin bereits gebe.

Entweder Rabattverbot oder Dispensierrecht weg

Sollte das kurzfristig nicht möglich sein – etwa weil das Bundeswirtschaftsministerium diesen Eingriff in die Marktwirtschaft skeptisch sieht –, müsse alternativ das tierärztliche Dispensierrecht abgeschafft werden.
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die Tierärzteverbände um eine Stellungnahme zum „Rabattsystem für Tierärzte beim Erwerb von Tierarzneimitteln“ gebeten.

bpt: „Verquickung völlig inakzeptabel“

Völlig unakzeptabel sei diese wiederholte Verquickung der Abschaffung der Antibiotika-Rabatte mit dem tierärztlichen Dispensierrecht, protestiert der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) in einem Brief an die Länderminister. Die Forderung nach einem Rabattverbot und der Einführung von Festpreisen ginge außerdem am Kern des Problems – der Resistenzminimierung – vorbei.

Aus Sicht der Bundestierärztekammer (BTK) kann zwar auf Mengenrabatte verzichtet werden. „Der Wettbewerb sollte über die Leistung und nicht über den Preis stattfinden.“ Auf die Menge hätten die Rabatte aber keine bedeutenden Auswirkungen. Das zeige der Blick in Nachbarländer mit anderen Preismodellen. Dort sei die Antibiotika-Anwendung nicht signifikant anders ist als in Deutschland.
Im Gegenteil: In Frankreich – so schreibt der bpt in einer Stellungnahme – hätte ein seit 2015 geltendes Rabattverbote sogar zu einer Verbilligung der Antibiotika geführt.

Mehr Tierleid durch zu starken Antiobiotikaverzicht

Eine noch weitere Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Landwirtschaft ist nach Auffassung des bpt nur möglich, wenn das Antibiotikum im Verhältnis zu möglichen Alternativen, wie Investitionen in Haltung, Hygiene, Fütterung oder Tiergesundheitsberatung durch den Tierarzt, wesentlich verteuert würde. „Die Abschaffung von Mengenrabatten wird im Verhältnis dazu keinen nennenswerten Beitrag leisten“, betont bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder.
„Ohne eine verbesserte Tiergesundheit führten Massnahmen, die allein auf eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes abzielen inzwischen eher zu tierschutzrelevanten Problemen und zu einem negativen Einfluss auf die Lebensmittelqualität und -sicherheit“, schreibt auch die BTK.

Fachliche Entscheidung

Beide Verbände fordern denn auch eine fachliche und faktenbasierte Entscheidung. Das Bundeslandwirtschaftsministerium arbeitet derzeit an einer Studie, die untersuchen soll, ob und gegebenenfalls welchen Einfluss die Rabatte auf die Entstehung von Antibiotikaresistenzen haben und welche Auswirkungen deren Abschaffung für Tierärzte, Landwirtschaft und die pharmazeutische Industrie hätten.

wir-sind-tierarzt.de meint:
Süchtig nach Forderungen?

(jh) – Die Grünen Landesminister könnten sich ruhig ihrer Grünen Tierschutzpolitikerin Nicole Maisch anschliessen:

DIe Grüne Agrarpolitikerin Nicole Maisch auf Twitter.

Die Grüne Agrarpolitikerin Nicole Maisch via Twitter.

Das staatliche Antibiotikaminimierungskonzept hat Erfolg, denn der Antibiotikaeinsatz in der Veterinärmedizin geht – im Gegensatz zur Humanmedizin – inzwischen sehr deutlich und kontinuierlich zurück.

Das aber ist den Antragstellern kein anerkennendes Wort wert. Stattdessen: Noch mehr Forderungen. Wohl weil der Erfolg sie eines politischen Themas beraubt?
Dabei gäbe es genügend Verbesserungsbedarf im Arzneimittelgesetz. Dazu aber müssten die Grünen Länder sich politisch verbindlich dazu bekennen, nur diese Sachfragen verbessern zu wollen – sonst wird die Bundesregierung aus Furcht vor einem neuen zeitraubenden öffentlichen Diskussionsprozess das Thema nicht angehen.

Was bleibt ist der Eindruck, dass es letztlich weniger um die Sache geht, als darum, die Grüne Ländermehrheit in der Agrarministerkonferenz als Forderungsplattform zu nutzen.

Vorbild „Zuckersteuer“

Ein konstruktiver Ansatz könnte dagegen die Idee der aktuell in Grossbritannien geplanten „Zuckersteuer“ sein. Deren Einnahmen sollen für Präventionsmassnahmen verwendet werden.
Auf Antibiotika übertragen bedeutet das: Die Einnahmen aus einer Abgabe/Steuer auf Antibiotika könnten direkt in die Resistenzforschung oder die Forschung neuer Wirkstoffe fließen. Das wäre ein Gewinn, denn wenn die Politik mit immer neuen Auflagen Antibiotika unwirtschaftlich macht – und sogar Zulassungen zurücknehmen will, wie es die aktuelle Beschlussvorlage fordert – ist es für Pharmafirmen völlig uninteressant sich hier weiter zu engagieren. Für die Tieremedizin ist so ein Therapienotstand vorprogrammiert.

Quellen:
Tagesordnungspunkt 40 AMK-Konferenz Göhren-Lebbin (13.-15.4.2016)
bpt-Pressemeldung zur AMK-Beschlussvorlage
Antwort BTK zur Anfrage des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages

Teilen
Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
Web Design MymensinghPremium WordPress ThemesWeb Development

Wildtiere: Hilfe kann auch Leid bedeuten

9. März 20169. März 2016
Ein Faltblatt gibt Tipps zum Umgang mit Wildtieren. (©Landestierschutzbeauftragte Hessen / Erni/Fotolia.com)„Wildtiere brauchen in den aller seltensten Fällen menschliche Hilfe," sagt die Landestierschutzbeauftragte Hessen. Was tun kann, wer ein Wildtier findet – oder aber auch besser lassen sollte – erklärt ein Flyer, den Dr. Madeleine Martin zusammen mit der Landestierärztekammer Hessen herausgegeben hat. (mehr …)