Vorschriften-Wirrwarr, Vorverurteilung und fehlende fachliche Aufarbeitung – die bayerische Tierärztschaft wehrt sich in einem Brief an die Politik dagegen, die Schuld am Bayern-Ei-Salmonellen-Skandal allein „auf die unteren Vollzugsebenen abzuwälzen“. Sie fordern für die Zukunft klar definierte Abläufe für einen solchen Krisenfall.
von Jörg Held
Ein Amtstierarzt im Landratsamt Straubing sitzt in Untersuchungshaft, weil er Kontrollen an „Bayern-Ei“ verraten haben soll (Bericht auf wir-sind-tierarzt.de). Das niederbayerische Unternehmen soll 2014 für einen europaweiten Salmonellenausbruch verantwortlich gewesen sein, weil es wissentlich(?) salmonellenbelastete Eier ausgeliefert hat. Dabei erkrankten etwa 500 Menschen, mindestens drei starben. Die zuständige bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf hat die Missstände bei Bayern-Ei bisher auf das Fehlverhalten von Einzelpersonen zurückgeführt und angekündigt, die Kontrollstrukturen von einem Sonderermittler überprüfen zu lassen. Bis Ende Januar soll es dazu ein Gutachten des bayersichen Rechnungshofes geben.
„Kriminelle Energie“
Sie hätte sich nicht vorstellen können, „dass es einen Behördenmitarbeiter gibt, der solche kriminelle Energie aufbringt und sich offenbar mit einem kriminell handelnden Unternehmen zusammentut. Ich bin fassungslos“, zitiert der Bayerische Rundfunk die Ministerin aus einer Pressekonferenz. Diese Aussage führte wohl letztlich zu dem Protestbrief der Tierärzte. Dr. Karl Eckart, Präsident der Bayerischen Landestierärztekammer (BLTK), und Dr. Konrad Renner, Landesvorsitzender des Verbandes der beamteten Tierärzte schreiben:
„Es ist für uns … nicht akzeptabel, dass vermeintliches Fehlverhalten von Behördenvertretern vor rechtskräftiger Abklärung dieses Vorganges medial durch Ermittlungsbehörden, das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) und Politiker in den Fokus gestellt wird. Diese Vorgehensweise beschädigt den gesamten Berufstand und führt zu einer breiten Verunsicherung bei Kolleginnen und Kollegen.“
Beide Verbandsvertreter kritisieren, dass es – seit der Bayern-Ei-Fall publik geworden sei und bis heute –, keine sachliche und rechtliche Analyse des Einzelfalls gegeben habe. Ohne eine solche Prozessanalyse könnten mögliche Fehler im System nicht erkannt beziehungsweise bewertet, keine Maßnahmen eingeleitet und somit die Kontrolltätigkeit auch nicht optimiert werden.
BLTK-Präsident Eckart betonte gegenüber wir-sind-tierarzt.de, dass „die Tierärzte keinen Brandbrief geschrieben hätten und auch nicht gegen die Staatsregierung rebellieren“, wie es in Medienberichten hieß, sondern schlicht ein sachliche Aufklärung ohne Vorverurteilung erwarten.
(Ein Video mit einer kurzen Stellungnahme des BLTK-Präsidenten finden Sie hier)
Verunsicherung in den Veterinärämtern
Die Tierärzte in den Veterinärämtern seien enorm verunsichert, „weil konkrete und präzise Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung von EU- und Bundesrechtsvorgaben fehlen“. Rechtsverordnungen seien aufgrund der Vielzahl an Verweisen auf andere Verordnungen schwer verständlich. Gerade in einem Salmonellenfall greifen sowohl Tierseuchenrecht als auch Lebensmittelrecht. „Bevor man den Kollegen Kontrollversagen vorwirft, muss man ihnen das nötige Rüstzeug geben, solche Krisenfälle zu bewältigen“, heißt es aus der BLTK.
Zehn-Punkte-Forderungskatalog der Tierärzteschaft
Die Tierarzt-Verbände fordern deshalb – völlig unabhängig vom möglichen Fehlverhalten Einzelner – aber vor Veränderungen in der Überwachungsstruktur, dass zuerst sachlich und fachlich die Prozesse überprüft werden. Und zwar:
- Unverzügliche Durchführung einer fachlichen und juristischen Prozessanalyse in Krisenfällen und bei Lebensmittelereignissen durch das StMUV mit Kommunikation der Ergebnisse an die nachgeordneten Behörden
- Mitwirkung des StMUV bei Erstellung / Umsetzung von lesbaren, verständlichen und einfach umsetzbaren Rechtsvorschriften
- Erstellung von präzisen und konkreten Vorgaben zu Kontrollumfang/Probenahmen in allen Fachbereichen durch das StMUV
- Evaluierung des bayerischen QM-Systems bzw. der Vielzahl an eingestellten Dokumente mit Reduzierung auf wesentliche Kontrollvorgaben in allen Fachbereichen
- Evaluierung von Aufgaben und Personaleinsatz der Spezialeinheit bei Kontrollen kleinerer Lebensmittelunternehmern (lokale Metzgereien und Bäckereien, Asia- Restaurants, Backshops etc.) mit Personalbindung durch die Kreisverwaltungsbehörden
- Etablierung einer fachlich versierten „Mobilen Reserve“ an den Regierungen und gerechte Zuweisung von Personal bzgl. Aufgaben in den einzelnen Verwaltungsebenen
- Analyse der neu installierten und durch das Kontrollpersonal verpflichtend anzuwendenden Instrumente der Lebensmittelüberwachung (TIZIAN-Datenbank, QM Dokumente etc.) im Hinblick auf Zeitaufwand und effiziente Kontrolltätigkeit
- Stärkung der Laborkapazitäten im LGL für zeitnahe Untersuchungen in Krisenfällen, bei Regeluntersuchungen nach dem Nationalen Rückstandskontrollplan für einzuleitende Maßnahmen und Exportuntersuchungen (z.B. Russland)
- Schaffung der Stelle eines Landestierarztes am StMUV, der für konzeptionelle Grundsatzfragen des Veterinärwesens und der Personalentwicklung verantwortlich ist, der die komplexen Themen und Sachverhalte fachlich fundiert koordiniert und Ansprechpartner für die nachgeordneten Behörden, Kammern und Verbände ist. Diesem ist ein kompetentes juristisches Fachreferat an die Seite zu stellen, das fachlich definierte Risiken juristisch im Sinne prophylaktischen Handelns absichert
- Erfüllung der Fürsorgepflicht durch den Freistaat Bayern gegenüber seinen Beamten
Unterstützung kommt von der Opposition im Bayerischen Landtag. „Zurecht bemängeln die Verbände der Tierärzte ein völlig unübersichtliches Vorschriftenwirrwarr und erhebliche Hindernisse für die tägliche Arbeit. Wir brauchen eine Generalüberholung der gesamten Verbraucherschutzpolitik im Freistaat“, fordert Florian von Brunn, SPD-Sprecher für Verbraucherschutz.
Keine Warnung durch Behörden
Die Landtags-SPD hatte ein Gutachten beauftragt, in dem der Hamburger Lebensmittelrechtsprofessor Martin Holle feststellt: Die Bayerischen Behörden hätten die Bürger über die bei Bayern-Ei festgestellten Salmonellenfälle informieren müssen. Dass es keine Warnung der Öffentlichkeit gegeben habe, sei wegen des Infektionsrisikos eindeutig rechtswidrig. Auf dieses Gutachten – als ersten Schritt – beziehen sich auch die Tierärzte: Damit werde eine sachliche und rechtliche Analyse des aufgeführten Einzelfalls ermöglicht.
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