Humanmediziner vergleichen Kinder- und Hundebehandlungen

Ausschnitt aus einem Plakatmotiv des Berufsverbandes der Niedergelassenen Chirurgen. (© BDC)Ausschnitt aus einem Plakatmotiv des Berufsverbandes der Niedergelassenen Chirurgen. (© BDC)

Hunde behandeln ist 15 mal teurer als Kinder? Da läuft doch was falsch, suggeriert eine Posteraktion des Chirurgenverbandes. Den Tierarzt beschleichen zugleich Freude, Mitleid und Ärger. Freude darüber, dass es Tierärzten besser geht, als sie glauben. Mitleid, weil gute Arbeit in der Humanmedizin so eher bestraft wird. Und Ärger, weil dieser Hilfeschrei unkollegial ist. Und die Zahlen allein sehr vereinfachen.
Update 10.11.2015: Die Chirurgen nehmen nach Tierarztprotesten die Poster von ihrer Homepage

von Jörg Held und Henrik Hofmann

Hilfeschrei oder Neidkampagne? Plakat-Aktion des Berufsverbandes der Niedergelassenen Chirurgen. (© BDC)

Hilfeschrei oder Neidkampagne? Plakat-Aktion des Berufsverbandes der Niedergelassenen Chirurgen. (© BDC)

Sie seien „täglich frustriert über die unangemessene Bezahlung einer oft sehr anspruchsvollen Frakturbehandlung,“ erklärte der Berufsverband der niedergelassenen Chirurgen (BDC) auf seiner Homepage die Idee zu seinen Kind-Hund-Postern. Es geht um Geld: „Wir haben Verständnis für eine Deckelung der ärztlichen Leistungen, weil das System das Geld nicht zur Verfügung stellen kann,“ bekunden die Chirurgen. Doch warum ihnen dann „schnell der Vergleich zum Tierarzt kommt“, lassen sie offen. In der Tiermedizin gibt es kein Krankenkassensystem, sie hat damit nichts zu tun.

Agitation mit „Lieblingen“

Trotzdem rechnen die Chirurgen vor: „Laut Gebührenordnung für Tierärzte wird eine Frakturbehandlung bei Haustieren mit ca. 370.- € vergütet. Für Kassenpatienten erhalten niedergelassene Chirurgen bei der gleichen Behandlung lediglich 25.- €.“ Und nun? Inwieweit hilft so ein Plakat, die Geldverteilung im Krankenkassensystem zu verbessern, außer das man eine andere Berufsgruppe mit hinein zieht – und unterschwellig als Abzocker darstellt? Auch in der GOT beginnen die Kosten bei 17,18 €.
Da „unsere Proteste ungehört verhallt sind, bleibt uns nur noch die Aufklärung und Agitation in unseren Praxen,“ argumentierte der Chirurgenverband auf seiner Webseite (Hervorhebung in den Zitaten durch die Red.).

[box]Update: 10.11.2015: Chirurgenverband stellt Posteraktion ein

Nach Protesten der Bundestierärztekammer (siehe unten) hat sich der BDC inzwischen von der Posteraktion distanziert: Bei der Öffentlichkeitsarbeit seien Überspitzungen nicht zu vermeiden, aber „wir schließen uns … Ihrer unterschwelligen Klage an, dass dieses nicht zu Lasten Dritter erfolgen darf“, schreibt Vizepräsident Dr. Jörg-A. Rüggeberg an die Bundestierärztkammer. Inhaltlich sei der Bundesverband der niedergelassenen Chirurgen (BDC) nicht an der Aktion beteiligt gewesen; man sei von den „eigentlich Verantwortlichen“ (damit scheint der ebenfalls unten zitierte Verband aus Nordrhein gemeint) gebeten worden, auf die Poster hin zu weisen.
Die dazugehörige Webseite mit dem Downloadangebot der Plakate hat der BDC inzwischen vom Netz genommen. [/box]

Glaubwürdige Zahlen?

Den Beleg für ihre 15fach schlechtere Bezahlung der „gleichen Behandlung“ bleiben die niedergelassenen Chirurgen bisher schuldig. Auf wir-sind-tierarzt.de-Nachfrage, man möge die Gebührenpositionen auflisten, auf die sich die Summenberechnung stützt – und zwar aus der Gebührenordnung der Tierärzte (GOT) und dem humanmedizinischen Abrechnungssystem EBM –, gab es bisher eher ausweichende Antworten: Die eigenen Berechnungen aus EBM und GOT werde man nicht „verschicken“. Man würde sie nur in einem persönlichen Gespräch „einsehen lassen und erläutern“, bot Dr. Manfred Weisweiler an. Als Vorsitzender des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der niedergelassenen Chirurgen Nordrhein (deren ANC-Logo die Plakate ziert), ist er einer der Initiatoren der Aktion.
Er betonte: „Wir wollen nicht die Tierärzte an den Pranger stellen, sondern wir kämpfen für die Versorgung der Menschen.“ Es gehe „um Versorgungsdefizite in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV). Das solle auch die Auflistung der Abrechnungssummen bei Privatpatienten (430.- €) und Arbeitsunfallpatienten zeigen (300.- €) zeigen. Die Tierärzte lägen in dieser Spanne (siehe Plakatmotiv 2 unten). Den niedergelassenen Chirurgen aber würde für die Behandlung von Kassenpatienten nur ein Bruchteil zugestanden.

Motiv 2 der Plakatkampagne – der Berufsverband der Niedergelassenen Chirurgen bezeichnet das selbst als "Agitation". (© BDC)

Motiv 2 der Plakatkampagne – der Berufsverband der Niedergelassenen Chirurgen bezeichnet das selbst als „Agitation“. (© BDC)

In den genannten tierärztlichen 370.- € sind aber – das klang durch – auch Röntgenleistungen und andere Positionen eingerechnet. wir-sind-tierarzt.de bleibt deshalb dabei: Da es sich bei EBM und GOT um öffentlich zugängliche Abrechnungsgrundsätze handelt, sollten die Chirurgen die zugrundeliegende Vergleichsberechnung für die „gleiche Behandlung“ anhand von EBM/GOT-Zahlen vorlegen können – ohne dass da persönlicher Erklärungs- oder Interpretationsbedarf besteht.

Tierärzte als Feindbild?

Der Berufsverband der Chirurgen (BDC) hat sich nämlich nicht zum ersten Mal die Tierärzte als „Gegenüber“ vorgenommen: Im Januar 2014 forderte er die „wahren Quellen der Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen“ – und zuvorderst den Antibiotikaverbrauch von 1.700 Tonnen in der Tiermedizin. Auch damals wurden Zahlen (aus dem Bezugsjahr 2011) kommuniziert und in einen sehr einfachen Zusammenhang gesetzt, der wissenschaftlich so nicht haltbar ist: Der durch das Verschreibungsverhalten in der Humanmedizin verursachte Selektionsdruck praktisch nicht erwähnt, nur Hygienemängel angesprochen. Damals hat der Bundesverband der praktizierenden Tierärzte mit einer Stellungnahme (nachzulesen hier) und mit einem persönlichen Brief an den BDC reagiert.
Auf den aktuellen Abrechnungsvergleich hat jetzt die Bundestierärztekammer reagiert.

Aufmerksamkeit durch Überspitzung

BTK-Präsident Professor Dr. Theo Mantel hält den Vergleich für „offensichtlich falsch“ und erwartet vom Chirurgenpräsidenten Professor Dr. Hans-Joachim Meyer ein Ende der Aktion:

„Sicherlich ist es gelegentlich erforderlich, den Sachverhalt zu überspitzen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Es wäre allerdings schön, wenn Sie bei Ihrer Posteraktion den Vergleich mit der Gebührenordnung für Tierärzte unterlassen hätten. Denn er ist offensichtlich falsch.

Sie schreiben: „Laut Gebührenordnung für Tierärzte wird eine Frakturbehandlung bei Haustieren mit ca. 370 € vergütet. Für Kassenpatienten erhalten niedergelassene Chirurgen bei der gleichen Behandlung lediglich 25 €.“

Richtig ist, dass eine Frakturbehandlung in der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) sehr differenziert von 17,18 € bis 343,59 € im einfachen Satz aufgeführt wird. Der von Ihnen genannte Betrag von 370 € kommt nur für die operative Versorgung komplizierter Frakturen in Frage. Eine solche Leistung wird am Menschen sicher auch nicht für 25 € durchzuführen sein. Sie erwecken den Eindruck, Tierärzte würden sich in ungerechtfertigter Weise bereichern. Dies möchte ich entschieden zurück weisen.“

(Den vollständigen Brief der BTK an den BDC finden Sie hier – PDF-Download)

Ungerechte Bezahlsysteme

Tatsächlich liegt bei der Bezahlung in der Humanmedizin einiges im Argen. Bis in die 90er Jahre haftete den Krankenkassen das Image eines Selbstbedienungsladens an. Ärzte und Krankenhäuser reichten ihre Rechnungen ein und bekamen das Geld mehr oder weniger klaglos überwiesen. Doch mit Skandalen und dem demographischem Wandel änderte sich das über die Jahre – und zwar immer zum Schlechten für die Humankollegen. Ihre Abrechnungen sind weitestgehend gedeckelt und basieren auf  Verteilungsschlüsseln, die Neid zwischen den Arztgruppen schüren.

Die Krankenhäuser rechnen nach einem Fallpauschalensystem und Diagnosis Related Groups (DRG) ab.  Das System will über rund 1.200 verschiedene abrechenbare Pauschalen das „komplexe Behandlungsgeschehen abbilden“. Das ist rein leistungsbezogen und fördert zum Beispiel, dass „lieber ein Knie als ein Kaiserschnitt operiert „wird, wie Kritiker bemängeln.
Niedergelassene Ärzte erhalten ihr Geld über ein Punktesystem gemäß des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM – hier der der Chirurgen) von den 17 Krankenkassen. Auch der EBM basiert auf Pauschalen und die Ärzte können für mehr und bessere Leistungen nicht mehr abrechnen. Die Chirurgen beziehen – soweit  wir den EBM verstehen –  eine Grundpauschale pro Kassenpatient und Quartal – die einmal gezahlt wird, egal wie oft der Patient im Quartal kommt.

Die Humanmediziner klagen, dass ihre Kollegen in England, Schweden oder der Schweiz das Doppelte verdienen. 45 Prozent der Humanmediziner verlassen übrigens ihren Beruf und wechseln in andere Professionen – in der Veterinärmedizin liegt die Abwanderungsquote bei etwa 37 Prozent. Viele Hausärzte können ihre Praxen nur aufrecht erhalten, da sie sich mit den Einnahmen aus Privatbehandlungen querfinanzieren.

Jammern auf hohem Niveau

Bei allem Jammern: Die Bezahlung der Veterinärmediziner ist nicht unbedingt besser – eher umgekehrt. Das gilt besonders für die angestellten Ärzte. Die Seite „Gehaltsreporter“ listet die Gehälter von Assistenzärzten auf.

Was verdienen Assistenten in kommunalen Krankenhäusern?

Zum Vergleich: Die Gehaltsempfehlungen des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) sehen 2.200.- Euro monatlich für einen Anfangsassistenten vor. Bei 40 Stunden Wochenarbeitszeit. Nicht unüblich sind sogar niedrigere Zahlungen. Ein aktuelles Beispiel aus einer deutschen Klinik liegt unserer Redaktion vor: Dort bekommt eine Anfangsassistentin 2.200.- Euro für die 55-Stunden-Woche im ungeregelten Schichtdienst.

wir-sind-tierarzt.de meint:

(hh) – Die meisten Ärztegruppen (Hausärzte, Fachärzte, Krankenhausärzte) fühlen sich von Politik und Kassen gegeneinander ausgespielt – und wie man sieht, ertragen sie dieses Spiel nicht nur, sondern weiten es noch auf uns Tierärzte aus. Schade! Sich mit Un- oder Halbwahrheiten auf Kosten anderer in die Öffentlichkeit zu spielen ist weder zielführend noch kollegial. Seien die eigenen Sorgen auch noch so berechtigt.
Die Grundwahrheit bleibt allerdings: Das derzeitige Bezahlmodell der Krankenkassen schwächt den, der sich berufen fühlt. Und stärkt den, der seine Therapie einzig am System ausrichtet.
Uns Tiermedizinern bleibt ein schwacher Trost: Wir haben nur Privatpatienten – und das ist tatsächlich beneidenswert.

Alle Quellen sind im Text direkt verlinkt

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