Resistente Keime – wie kommen sie ins Krankenhaus?

Wie kommen resistente Keime ins Krankenhaus? Als eine von sechs Unikliniken hat Köln dies untersucht: Zehn Prozent der Patienten sind bereits infiziert.Wie kommen resistente Keime ins Krankenhaus? Als eine von sechs Unikliniken hat Köln das untersucht: Zehn Prozent der Patienten sind bereits infiziert. (Foto: © WiSiTiA/jh)

Fast jeder zehnte Patient ist bereits mit multiresistenten Keimen (ESBL) besiedelt, wenn er in einem Krankenhaus ankommt. Besonders gefährdet sind Patienten, die zuvor Antibiotika eingenommen oder Reisen außerhalb Europas unternommen haben. Resistent sind sie oft gegen Cephalosporine der dritten Generation. Die gehören zu den in der Humanmedizin „am häufigsten eingesetzten Antibiotika“. (aktualisiert 16.8.2016 – 17:35)

(jh/PM) – Sechs deutsche Universitätskliniken haben bei Klinikaufnahme anhand von Stuhlproben oder Rektalabstrichen 4.376 Erwachsene auf multiresistente Keime untersucht. Die Ergebnisse sind ebenso interessant, wie deren Einordnung – sie lässt auch Rückschlüsse zu, was für die Humanmedizin überhaupt ein „Reserveantibiotikum“ ist. Die 3. Generation Cephalosporine gehören wohl nicht dazu:

  • 416 der Patienten waren Träger multiresistenter Keime. Diese Häufigkeit – jeder zehnte Patient ist infiziert – war bisher in Deutschland nicht bekannt. Besonders häufig fanden die Wissenschaftler Escherichia coli-Bakterien, die Beta-Laktamasen produzieren, sogenannte ESBL-Enterobakterien. Die Häufigkeit der multiresistenten Keime war von Klinik zu Klinik unterschiedlich.
  • Besonderes Augenmerk legten die Forscher in ihrer Untersuchung auf eine Gruppe von multiresistenten Bakterien, die häufig in Krankenhäusern Probleme bereiten: die sog. 3. Generations-Cephalosporin-resistenten Enterobakterien (3GCREB).
    Die neueren Cephalosporine der dritten Generation wirken gegen ein breites Spektrum an Bakterien und sie gehören (Zitat) „zu den am häufigsten eingesetzten Antibiotika“.
  • Wenn eine Infektion durch multiresistente Bakterien hervorgerufen wird, sei diese sehr viel schwieriger zu therapieren und erfordere den Einsatz von Reserveantibiotika.
  • Tierkontakte häuslicher/beruflicher Art bedeuteten in dieser Untersuchung keine signifikanten Unterschiede zwischen der Gruppe der ESBL-besiedelten und der ESBL-negativen. Das erklärte Mitautor Dr. Axel Hamprecht (Universitätsklinikum Köln) auf wir-sind-tierarzt Nachfrage.
    Allerdings sei die Zahl der beteiligten Patienten mit beruflichen Tierkontakten sehr gering gewesen (die Studie fand in größeren Städten statt). Es lasse sich hier keine eindeutige Aussage treffen, inwiefern Tierkontakte (und ggf. welche) ein Risiko darstellen.

Auf der Suche nach den Ursachen für die Besiedlung mit resistenten Bakterien, hatten die Wissenschaftler die Patienten auch zu bisherigen Klinikaufenthalten und Lebensgewohnheiten befragt. Ergebnis:

  • „Patienten nach Antibiotika-Einnahme und Reisende außerhalb Europas sind gefährdeter“, nennt die Studie zwei wichtige Ergebnisse der Recherchen.
  • Auch ältere Patienten (> 75 Jahre) und Altenheimbewohner waren häufiger mit ESBL besiedelt.

Mehr Hygiene und weniger Antibiotika

Um die multiresistenten Keime möglichst frühzeitig aufzuhalten, funktioniere bei so vielen Betroffenen die Strategie einer Isolation innerhalb des Krankenhauses nicht mehr, sagen die Wissenschaftler. Zudem gebe es bei 3GCREB im Gegensatz zu anderen multiresistenten Bakteriengruppen wie MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus-aureus)-Stämmen keine etablierten Sanierungsmöglichkeiten.
Die Empfehlung lautet daher: Bessere Hygienemaßnahmen in Kliniken und Praxen, einen rationalen Umgang mit Antibiotika sowie insbesondere eine Reduktion nicht gerechtfertigter Antibiotika-Gaben und mehr Schulungen für Ärzte.

wir-sind-tierarzt.de meint:

(jh) – Spannend an dieser Untersuchung sind drei Dinge:

  • Primäre Resistenzursache sind Antibiotikaeinnahmen der Patienten und Fernreisen – in dieser Untersuchung hatten Kontakt zur Landwirtschaft oder Tiermedizin keine Auswirkungen*.
  • Die 3. Generation Cephalosporine, die von manchen Politikern als „letzte wirksame Notfallmedikamente der Humanmedizin“ betitelt werden, sind dort eben keine Reserve, sondern gehören – Zitat – „zu den am häufigsten eingesetzten Antibiotika“. (Zahlen siehe auch Grafik unten)
  • Die Autoren schreiben: Derart resistente Keime „erfordern den Einsatz von Reserveantibiotika“.
    Das bedeutet im Umkehrschluss: Nicht die „häufig eingesetzten 3.-Generation-Cephalosporine“ fallen für die Studienautoren unter den Begriff „Reserveantbiotika“, sondern die Antibiotika, die bei sogenannten 3. Generations-Cephalosporin-resistenten Enterobakterien (3GCREB) dann noch wirken.

Die öffentliche Debatte über Antibiotika, ihre Wirksamkeit und effektive Strategien zur Resistenzminimierung könnte also viel weniger emotional und fachlich fundierter geführt werden, wenn die Humanmedizin ihre „Reserveantibiotika“ klar definieren würde: Welche Wirkstoffe fallen darunter? (Nachtrag 6/2017: Die Weltgesundheitsorgansiation hat inzwischen eine Liste der humanmedizinischen Reserveantibiotika vorgelegt – hier)
Fluorchinolone und Cephalosporine der 3. Generation werden von Humanmedizinern selbst offensichtlich nicht als derartige „Reserveantibiotika“ bezeichnet.
Dass sie dennoch „critically important“ (so die internationale Bezeichnung) sind und in der Tiermedizin nur gezielt eingesetzt werden sollen, bleibt eine berechtigte Forderung (Daten dazu hier). Aber der böse Zungenschlag, Tierärzte würden humanmedizinische „Notfallmedikamente sinnlos vergeuden“ , könnte endlich aus der Debatte verschwinden.

Wo werden die "Reservantibiotika" eingesetzt? Vergleich von Human- und Tiermedizin umgerechnet auf Biomasse. (Foto: © Vortragsfolie Hensel/BfR 7.5.2016 Saarbrücken)

Wo werden die sogenannten „Reservantibiotika“ eingesetzt? Vergleich von Human- und Tiermedizin umgerechnet auf Biomasse. (Foto: © Vortragsfolie Hensel/BfR 7.5.2016 Saarbrücken)

*wir haben bei den Studienautoren in Sachen „Nutztierbezug“ nachgefragt und die Antwort am 16.8. um 17:35 als vierten Punkt im  zweiten Absatz ergänzt.

Quellen:
Pressemeldung zur Untersuchung via Informationsdienst der Wissenschaft (15.8.2016) 
Volltext der Studie (kostenpflichtig)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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