Mindestlohn: Jeder dritte Praxisassistent bekommt weniger als 8,50 Euro

Angestellte Tierärztin – ein akademischer Beruf in dem oft nicht einmal Mindestlohn gezahlt wird.Angestellte Tierärztin – ein akademischer Beruf in dem oft nicht einmal Mindestlohn gezahlt wird. (Foto: ©WiSiTiA/hh)

(hh/jh) – Seit Jahresbeginn gilt der Mindestlohn: 8,50 Euro für alle. Das nutzt doch eher ungelernten Aushilfen und nicht approbierten Tierärzten, mag man denken. Falsch: 34 Prozent der Assistenten in Tierarztpraxen erhalten weniger. Ist das einfach nur beschämend oder eine Steilvorlage für eine Assistenten-Gewerkschaft? 

bpt-Kongress LogoDie erschreckende Zahl der geringverdienenden Tierärzte stammt aus einer kürzlich vom bayerischen bpt-Landesverband durchgeführten Umfrage, über die der Ottersberger Pferdepraktiker Dr. Carsten Vogt beim bpt-Kongress in Hannover berichtete: 34 Prozent der Assistenten erzielten demnach einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro. Nur 22 Prozent der Praxen „orientierten“ sich an den Gehaltsempfehlungen und gerade mal 1,4 Prozent der Assistenten würden tatsächlich gemäß der bpt-Vergütungs-Empfehlungen (2.200.- Euro in den ersten 6 Monaten) bezahlt. Die Bundestierärztekammer erwartet sogar 2.600.- Euro Einstiegsgehalt in der Probezeit.

Mindestlohn relevant für Tierarztpraxen

Selbst wenn die Zahlen nicht repräsentativ sind, zeigen sie: Eine ganze Reihe von Tierarztpraxen sollte ebenso wie Unikliniken oder andere Internship- oder Doktorandenstellen-Anbieter dringend einen Blick in das neue Mindestlohngesetz werfen. Die wichtigsten Punkte:

  • Jedem Angestellten – ob Assistenztierarzt, Tiermedizinische Fachangestellte, Hilfskraft oder Minijobber – sind mindestens 8,50 Euro brutto pro Stunde zu zahlen.
  • Der Praxisinhaber/Arbeitgeber muss die Arbeitszeiten dokumentieren (lassen), damit die Behörden gegebenenfalls überprüfen können, ob die gezahlte Vergütung geteilt durch Arbeitstunden die Mindestvergütung ergibt.
  • Arbeitsverträge müssen gegebenenfalls angepasst werden. Das gilt auch für Minijober, die maximal noch 52,9 Stunden im Monat arbeiten dürfen.

Beschämend: Mindestlohn für Akademiker

Carsten Vogt: "Praktische Umsetzung der bpt-Empfehlungen zur Vergütung von Assistenten."

Carsten Vogt: „Praktische Umsetzung der bpt-Empfehlungen zur Vergütung von Assistenten.“

Dass für einen akademischen Beruf überhaupt das Thema Mindeslohn angesprochen werden muss, ist beschämend genug. Aber Untersuchungen zu Assistentengehältern in Tierarztpraxen brachten bisher fast nur trauriges zu Tage; zuletzt die Assistentenumfrage des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) aus dem Frühjahr 2014: Demnach orientieren sich 61 Prozent der Arbeitgeber an keinerlei Gehaltsempfehlung. Entsprechend unzufrieden sind die Befragten mit ihrem Gehalt: Die Durchschnittsnote lag bei nur 3,6. Zum Vergleich: Angestellte Humanärzte gehören zu den bestverdienenden Arbeitnehmern. Und dass FAZ-Redakteurin Christina Hucklenbroich 2011 den Wächterpreis der Tagespresse (für Nachwuchsjournalisten) für einen Bericht über die Arbeitsbedingungen und Gehälter junger Tierärzte erhalten hat, ist definitiv kein Ruhmesblatt für die Branche.

Bis zu 60 Wochenstunden

Als eines der Hauptprobleme nannte Vogt in Hannover die Überprüfbarkeit der Gehaltsangaben in Relation zu den Arbeitszeiten: „Es wird viel geredet, aber was davon stimmt? Manche Kollegen erzählen, dass sie ihren Leuten 4.000 Euro zahlen – sagen aber nicht,  für wie viele Stunden!“ Ihm seien Praxen bekannt, die sich an den empfohlenen bpt-Mindestvergütungen orientierten – aber den Kolleginnen dafür Wochenarbeitszeiten von bis zu 60 Stunden abverlangten. Zur Erinnerung: Gesetzlich erlaubt sind maximal 48 Stunden*. Arbeitgeber ohne Arbeitszeitdokumentation können mit dem neuen Gesetz erhebliche Probleme bekommen, denn bei Verstößen gegen den Mindestlohnvorschriften drohen Bußgelder – im Maximum 500.000.- Euro.

Kernproblem: Mangelnde Arbeitszeiterfassung

„Wer über Gehalt redet, muss auch über Arbeitszeiterfassung reden“, war eine von Vogts Kernbotschaften. Weder Mitarbeiter noch Arbeitgeber sollten sich allein mit Stundenlöhnen beschäftigen. Um Monatslöhne überhaupt festlegen zu können, sei eine korrekte Arbeitszeitvereinbarung und -erfassung Voraussetzung. Genau die liege aber häufig im Argen. Das gelte speziell in der Pferde- und Nutztierpraxis. Vogts Fazit:

  • Ohne Arbeitszeiterfassung keine faire und vergleichbare Vergütung
  • Aufgrund der großen Heterogenität der Praxen/Praxisformen wird es kein universell anwendbares Vergütungsmodell geben können.
  • Die ausgewogene Mischung aus Gehalt – Freizeit – Medizinischem Anspruch/Fortbildung bringt Praxen einen Wettbewerbsvorteil.

Assistentenausbeutung an Unis vorgemacht

Schon auf dem  Leipziger Tierärztekongress Anfang 2014 waren die Assistentengehälter ein Thema. Hier ging es vor allem um die Universitäten. Tierärzte berichteten, dass sie, um wissenschaftliche Anerkennung beziehungsweise internationale Abschlüsse zu erhalten, mit „Gehältern“ um 600.- Euro „ausgebeutet“ würden. Kollege Mario Beck nannte damals eine Infoveranstaltung der LMU-München. Geworben wurde mit den Worten: “Wir machen Journal Clubs und Book Rounds, wir haben eine Intensive Care Unit”. Und: “Sie sind vom ersten Tag an in dieses Notdienstgefüge eingebunden.” Was sich wie ein durchdachten Weiterbildungskonzept anhört, sei ein „Euphemismus für lange, arbeitsreiche Nächte ohne angemessene Bezahlung.“
Warum arbeiten Tierärzte überhaupt zu solchen Bedingungen? Mario Beck stellte klar: “Wenn man zuvor einige Jahre 600.- bis 800.- Euro bekommen hat, und dann kommt einer, der bietet einem 1.200 Euro – dann hat man sein Gehalt gerade verdoppelt.” Ihr Selbstbewusstsein und die Auffassung, ihre Arbeit müsse angemessen bezahlt werden, werde Veterinärmedizinern schon früh genommen.

Das Ende schlecht bezahlter Internships?

Seit Jahresbeginn dürften solche „Gehaltsmodelle“ kaum mehr zu halten sein. Langzeit-, insbesondere Jahrespraktika bereits approbierter Tierärztinnen und Tierärzten, werden zukünftig allenfalls in absoluten Ausnahmefällen möglich sein. Gleiches gelte für die in manchen Kliniken durchgeführten „Internships“, schreibt bpt-Rechtsexperte Michael Panek im bpt-info 1/2015. Ausnahmen macht das Mindestlohngesetz nur noch für Auszubildende:

  • Kinder und Jugendliche im Sinne des Jugendarbeitsschutzgesetzes (also Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung)
  • Praktikantinnen und Praktikanten, die ein verpflichtendes Praktikum im Rahmen von Schule, Ausbildung oder Studium absolvieren
  • Praktika von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums und
  • unter Umständen Praktika für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, wenn es sich um ein Praktikum im rechtlichen Sinne und nicht um ein verdecktes Arbeitsverhältnis handelt.

Berufsverband für Assistenten bald auch in Deutschland?

Carsten Vogt berichtete in Hannover auch von den Berufsverbänden für Assistenten. Die hätten sich in den Nachbarländern als direkte Folge bescheidener Arbeitsverhältnisse gebildet. Sie übernähmen jetzt Tarifvereinbarungen mit den Arbeitgebern. Das könne für alle Beteiligten gut sein. Doch in Dänemark hätten die Assistenten zum Beispiel so gut verhandelt, dass es kaum noch offene Stellen gäbe: Tierärztliche Angestellte könne sich nun niemand mehr leisten.

Linktipp
Eine Übersicht über das weite Feld der Assistentenvergütungen bietet ein Vortrag aus dem KELDAT-Ringvorlesungsprogramm der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

*Für eine 40-Stunden-Woche auf Grundlage einer 5-Tage-Woche sind 20 Tage Urlaub pro Jahr zu gewähren; für eine 48-Stunden-Woche auf Grundlage einer 6-Tage-Woche sind 24 Tage Urlaub pro Jahr zu gewähren.

Beitragsbild: © 2014 hh/tierundleben.de

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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