Nervenlähmungen bei Rindern werden selten thematisiert. Sie entstehen bei Kälbern zum einen durch Verletzungen während der Geburt. Aber auch unsachgemäße Injektionen in die Hintergliedmaßen sind ein Risiko. Auch beim erwachsenen Rind, treten sie auf: Was ist dann zu tun?
(aw) – Mit den Ursachen von Nervenlähmungen beim Rind und was dann zu tun ist, hat sich Dr. Wolfgang Kehler von der TiHo Hannover in seinem Vortrag auf dem bpt-Kongreß 2015 in München befasst. Seine Hinweise und Empfehlungen sind hier zusammengefasst:
Schwergeburten und falscher Injektionsort
Bei der Geburt kann es durch (zu) starke Zughilfe und Quetschungen oder Druck auf Muskeln und Knochen zu Nervenlähmungen kommen.
Nervenlähmungen durch Injektionen entstehen vor allem an den Hintergliedmaßen. Die Muskulatur ist bei Kälbern noch nicht ausreichend entwickelt und die Umgebung der Nervenäste von N. ischiadicus, N. fibularis und N. tibialis ist leicht zu treffen. Die Nervenschädigung geschieht in der Regel indirekt aufgrund des „neuromuskulären Kompartmentsyndroms“. Das bedeutet: Durch die Injektion steigt der Druck im Faszienschlauch an so stark, dass dadurch der begleitende Nerv geschädigt wird. Je nach Injektionsstelle ist dies bei den entsprechenden Axonen sogar irreversibel.
Kehler rät: Intramuskuläre Injektionen bei Kälbern daher niemals an den Hintergliedmaßen (M. glutaeus medius, M. biceps femoris, etc.) vornehmen.
Neuromuskuläres Kompartmentsyndrom
Auch bei erwachsenen Rindern spielt das neuromuskuläre Kompartmentsyndrom eine Rolle, beispielsweise an der Oberschenkelmuskulatur nach Ausgrätschen oder infolge von Festliegen nach der Geburt (z.B. Hypokalzämie) ohne regelmäßiges Umlagern. Muskelschwellungen, Muskelzereisungen und Druck auf die Muskulatur können hierbei Lähmungen auslösen.
Sofortige Therapie notwendig
Wird eine Nervenschädigung diagnostiziert, muss sofort eine Therapie eingeleitet werden. Diese besteht aus einer hochdosierten Gabe von Glucocorticoiden (Dexamethason oder Prednisolon), die aufgrund ihrer immunsupressiven Wirkung antibiotisch abgedeckt werden sollte. Falls keine Glucocorticoide gegeben werden können, muss auf nicht-steroidale Antiphlogistika zurück gegriffen werden. Zur besseren Regeneration des geschädigten Gewebes ist die Verabreichung von Vitamin B1 sinnvoll.
Lähmung des N. radialis
Besondere Bedeutung bei erwachsenen Rindern hat die Lähmung des N. radialis. Zu entsprechenden Verletzungen kommt es häufig bei der Klauenpflege, wenn ein Durchtreibestand benutzt wird und dort das Buggelenk heftigen Kontakt mit dem Halsrahmen hat (Abwehrbewegungen, Niedergehen).
Dr. Kehler betont in seinem Vortrag mehrfach, dass Rinder die lahmend den Stand verlassen, intensiv beobachtet werden müssen. Eine Lahmheit an den Vordergliedmaßen aufgrund schlechter Durchblutung („Einschlafen“) sollte sich innerhalb von zehn Minuten deutlich bessern: „Ist das nicht der Fall, muss umgehend eine Therapie eingeleitet werden.“
Die Verletzungen können vermieden werden, wenn der Halsrahmen so breit ausgelegt ist, dass ein Eintauchen der Stangen zwischen Buggelenk und Brustkorb nicht möglich ist oder Gurte den Kontakt zum Halsrahmen unterbinden.
Lähmung des N. tibialis
Eine Lähmung des N. tibialis beim erwachsenen Rind führt zu einem Überköten des Fesselgelenks und kann bei längerem Verlauf Schädigungen der Mm. Gastrocnemii und fibrilläre Zerreißungen der Zehenbeuger verursachen. Das Anlegen eines Stützverbandes, der bis handbreit unter das Tarsalgelenk reichen sollte und dort drei Wochen verbleibt, verbessert die Heilungschance deutlich.
Lähmung des N. femoralis
Lähmungen des N. femoralis haben ihren Ursprung in den Segmenten L4 – L6 und kommen vor allem bei Kälbern in Anschluss an Schwergeburten vor. Beschrieben sind diese vor allem für Vorderendlagen, wenn die Kälberhüfte im Beckenring stecken bleibt. Aber auch Fälle nach Auszug in Hinterendlage sind dokumentiert.
Dr. Kehler hat bei seinen Patienten festgestellt, dass die Hautsensibilität eine wichtige Rolle bei die Prognose der Erkrankung spielt. Ist die Sensibilität des Hautfeldes des N. saphenus erhalten, ist innerhalb von neun Wochen mit einer Heilung zu rechnen. Ist sie nicht erhalten, ist die Prognose eher vorsichtig zu stellen. Bei den vier Tieren, die an der TiHo mit einem solchen Befund vorgestellt wurden, kam es nicht zur Rekonvaleszenz.
Fazit: Beim Vorliegen von Nervenlähmungen bei Rindern ist schnelles Handeln erforderlich um Folgeschäden zu minimieren und die Heilungsaussichten zu verbessern.