Schlachthöfe: Tierquälerei per Videoüberwachung verhindern?

Ein belgischer Schlachthof wurde nach Videoaufnahmen von Tierschützern geschlossen. Europaweit wird jetzt eine Kamerapflicht diskutiert. (screenshot Video © Roderique Bouw/Animal Rights)

Muss man Schlachthöfe per Video überwachen? Die Diskussion führen aktuell mehrere europäische Staaten, nachdem Bildmaterial vielfache Tierquälerei aufgedeckt hat. In Frankreich und Holland sollen Kameras in Schlachthöfen Pflicht werden. Eine freiwillige Videoüberwachung wie in Großbritannien helfe wenig, da die Betreiber daraus keine Konsequenzen ziehen, sagen Tierschützer.

(aw/jh) – Frankreich ist am weitesten: Das französische Parlament hat gerade einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, dem noch der Senat zustimmen muss. Danach sollen ab 2018 sämtliche Schlachthöfe mit Kameras überwacht werden. Das gilt für die Bereiche, in denen sich lebende Tiere befinden, also Ankunft, Sammelstellen, Treibgänge und die Schlachtung. Auch in Großbritannien ist ab Frühjahr eine Videoüberwachung gesetzlich verpflichtend. (Bericht hier – aktualisiert: 13.11.2017)

Videoüberwachung am Schlachthof – Bilder sollen extern ausgewertet werden. (Foto: ©pixabay)

Der Hintergrund: Tierschützer konnten mit Hilfe heimlicher Aufnahmen an über 1.000 Schlachthöfen erhebliche Misstände aufzeigen. Unter anderem wurden regelmäßig Tiere ohne vorherige Betäubung entblutet. Künftig soll das Videomaterial über einen Monat aufbewahrt und von den zuständigen Tierärzten und Tierschutzbeauftragten ausgewertet werden.

Video-Skandal in Belgien: Regierung legt Schlachthof still

In Belgien hatte die Regierung im März dem größten Schlachthof des Landes die Betriebserlaubnis entzogen, nachdem die Tierschutzorganisation Animal Rights skandalöse Filmaufnahmen veröffentlicht hatte (siehe Video unten): Nicht betäubten Schweinen wird darin die Halsschlagader durchtrennt; ein Schwein bei vollem Bewusstsein in das 60 °C heiße Wasser zur Borstenentfernung getaucht; das Video zeigt weitere, stark misshandelte und verletzte Tiere, wiengeschlagen und getreten werden. Der Betreiber Debra hat reagiert und will die Zahl der offensichtlich bereits vorhandenen Überwachungskameras erhöhen und Aufnahmen ab sofort live auswerten – allerdings betriebsintern.

Niederlande: Behörden sollen Schlachthofvideos auswerten

Der niederländische Staatssekretär Martijn van Dam (Wirtschaftsministerium) will als Konsequenz aus dem belgischen Vorfall ebenfalls Schlachthöfe mit Kameras überwachen lassen. Die Aufnahmen sollen der niederländischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (nVWA) zugänglich gemacht werden. Dieser Forderung nach mehr Transparenz hätten sich auch der Holländische Bauernverband (LTO) und die Interessengruppe der Schweinehalter (NVV) angeschlossen, berichtet die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN).

Großbritannien: Interne Videoüberwachung nicht sinnvoll genutzt

Eine Videoüberwachung in Schlachthöfen mache in der Tat nur Sinn, wenn das Bildmaterial von einer unabhängigen Instanz ausgewertet wird. Eigenkontrollen durch Mitarbeiter des jeweiligen Schlachtbetriebes würden für die Tiere wenig verbessern. Das ist die Auffassung von Tierschützern in Großbritannien.
Auch dort haben Videobilder – zum Beispiel aus August 2016 von einem Metzger aus Butterton in Staffordshire (England) – Tierquälerei bei der Schlachtung belegt. Der Mann wurde verurteilt, weil er unter anderem Schweine getreten oder sie mit einer Tür erdrückt hatte. Schafe schleuderte er mehrfach mit dem Kopf auf den Boden und trat sie mit den Füßen.

Betreiber reagieren zögerlich

In Großbritannien sind in Schlachthöfen zum Teil freiwillig sogenannte CCTV-Kameras (= closed circuit television) installiert. Das Bildmaterial wird aber nur intern ausgewertet und gelangt nicht an die Öffentlichkeit. Dass könne zwar theoretisch Abhilfe schaffen, verbessere jedoch in der Praxis nicht die Lage der Tiere, hat der sogenannte Rotherham-Report gezeigt. Ein Team um Professor Ian Rotherham (Sheffield Hallam University) hatte Schlachthöfe besucht, die freiwillig Kameras installiert hatten. Ergebnis: Die Videos würden eher genutzt, um Fleischdiebstähle zu verhindern. Das konnten auch die britischen Tierschützer von Animal Aid dokumentieren, indem sie genau neben den Schlachthofkameras eigene Kameras installierten. Sie erhielten so das gleiche Bildmaterial.

Kritik: Tierärzte werten Videoaufnahmen nicht aus

Ihr Vorwurf auch an die überwachenden Tierärzte: Diese könnten zwar nicht immer Augenzeugen unmittelbar am Schlachtband sein. Sie müssten sich aber die Aufzeichnungen im Nachhinein ansehen und entsprechend auf Verstöße reagieren. Auf den Videos wurden unter anderem Schafe an der Wolle hochgehoben und gegen Wände geschleudert, ins Gesicht getreten oder an Füßen und Ohren durch die Gänge gezerrt. Schweine wurden mit brennenden Zigaretten traktiert, getreten und mit spitzen Gegenständen im Gesicht und am Anus verletzt.
In keinem Fall habe es eine Anzeige gegeben. Es dürfe also nicht den Schlachthofbetreibern vorbehalten bleiben, Missstände auf Videos zu ahnden oder nicht.

Quellen: im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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