Schweine ohne Betäubung geschlachtet: Wer ist verantwortlich?

Schlachtung mit Elektrobetäubung (Quelle: Henrik Hofmann 2014)Falscher Ansatz der Elektrozange zur Betäubung – Bedienungsfehler aber auch Gerätemängel sorgen für Tierschutzprobleme. (Foto: © Henrik Hofmann/2014)

Schweine unbetäubt getötet – in Bayern werfen Medien erneut einigen Schlachthöfen schwere Tierschutzverstöße vor. Sie sehen gar ein „Systemversagen“ der Veterinärüberwachung. Am Ende der Schuldzuweisungskette stehen die Amtsveterinäre und Amtlichen Tierärzte im Schlachthof. Viele fühlen sich einmal mehr von ihrem Dienstherrn alleingelassen.

von Jörg Held

Auslöser der Debatte war eine Doktorarbeit. Die hatte 2014/15 eigentlich die bayerischen Formblätter der QM-Kontrollen am Schlachthof mit amerikanischen Ideen der Tierschützerin Temple Grandin vergleichen wollen. Herausgekommen ist allerdings eine ganze Liste von Tierschutzvergehen, die die Doktorandin den Schlachthöfen vorwirft: Technische Mängel, unsachgemäßen Umgang mit den Tieren, aber vor allem und besonderes gravierend eine fehlerhafte und unzureichende Betäubung bei fast jedem vierten Schwein.

Mängel nicht alle abgestellt

Süddeutsche Zeitung und Bayerischer Rundfunk haben vor Gericht jetzt die Herausgabe der Namen, der in der Doktorarbeit anonymisierten Schlachtbetriebe erstritten und diesen dann die Mängellisten zugeordnet. Am Beispiel dreier Schlachtbetriebe – darunter ein Bioschlachthof – beschreiben sie dort begangene, gravierende Tierschutzverstöße. Man muss aber sehr genau lesen oder hinhören, um zu bemerken, welche der Vorwürfe sich auf das Jahr 2014 beziehen und was jetzt aktuelle, neue Verstöße sind.
Die bayerische Staatsregierung hat eingeräumt, dass es bei Nachkontrollen in diesem Jahr noch „geringgradige bis mittelgradige Gesamtmängel“ aber auch vereinzelt erneut „gravierende Mängel von Managementfehlern im Umgang mit den Tieren bis hin zu Betäubungsfehlern in einem Betrieb“ gegeben habe. Die Journalisten wollen mehr Verstöße recherchiert haben.

Übersicht der Medienbericht unten – die informativste Aufarbeitung des Themas liefert dieser Radio-Beitrag von BR 2

Veterinärverwaltung umbauen?

Für Tierärzte in den Veterinärämtern fallen die neuen Medienberichte in eine laufende Debatte über den politisch gewollten Umbau der Veterinärverwaltung. Seit dem Bayernei-Skandal 2015, bei dem salmonellenverseuchte Eier europaweit ausgeliefert wurden und sogar Todesfälle zur Folge hatten (Berichte hier), streitet Bayern über die Neustrukturierung der Veterinärüberwachung im Freistaat auf Basis eines Gutachtens.

Die Staatsregierung plant eine „schlagkräftigere Kontrolle von komplexen Betrieben“ wozu große Schlachthöfe und auch Geflügelgroßbetriebe  gehören. Sprich: Bei den großen Schlachthöfen soll ab 2018 eine bayernweit zuständige neue Kontrollbehörde insbesondere die Eigenkontrollmaßnahmen überwachen. Bis dahin soll die „Spezialeinheit“ des Landesamtes für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit (LGL) in einem „Sonderkontrollprojekt Tierschutz“ die größeren Schlachtbetriebe kontrollieren.

Hilfreiche Spezialeinheit?

Die Doktorarbeit aber entstand im Rahmen solcher Tierschutz-Vollkontrollen des LGL und wird von vielen Veterinären kritisiert. Die bayerischen tierärztlichen Berufsverbände fassen die Kritik so zusammen:

  • falsche und/oder unvollständige Erhebungen
  • kein sofortiges Eingreifen durch die Spezialisten des LGL bei Erkennen eines Mangels
  • keine Offenlegung der festgestellten Mängel
  • keine Differenzierung der Mängel
  • keine Bewertung der Mängel durch LGL-Mitarbeiter
  • subjektive Einschätzung ohne wissenschaftliche Erkenntnisse durch die Doktorandin
  • keine Abschlussbesprechung mit Wertung für tierschutzrechtliche Sofortmaßnahmen
  • Kontrollberichte des LGL
    • massiv zeitverzögert, bis zu 13 Monate nach der Kontrolle an Behörde übermittelt
    • keine Bewertung/Beurteilung der Mängel mit Einstufung
    • Mängel teilweise in LGL Bericht nicht dokumentiert

Fazit: Veterinäre vor Ort fühlten sich zumindest bei diesen Kontrollen von der „Spezialeinheit“ nicht ausreichend unterstützt. Die Erwartung, dass tierschutzrelevante Verstöße schnell abgestellt werden, sei hier nicht erfüllt worden.

Verantwortung auf Tierärzte am Band abschieben?

„Am Ende wird die Verantwortung wieder auf die unteren Vollzugsbehörden und die Amtlichen Tierärzte im Schlachthof abgeschoben,“ fürchtet Dr. Paul Münsterer. Er ist Vizepräsident der bayerischen Landestierärztekammer und selbst seit Jahrzehnten Amtlicher Tierarzt in der Fleischbeschau. Als solche könnten er und seine Kollegen gar nicht zeitgleich alle Vorgänge im Schlachthof parallel überwachen – zu wenig Personal. Das wissen auch die Aufsichtsbehörden und verankern in den Vorschriften – national aber auch auf EU-Ebene – immer mehr „Eigenkontrollen durch die Betreiber“.
„Wenn die dann nicht funktionieren stehen wir Tierärzte wieder am Pranger.“ Münsterer fordert stattdessen zusätzliche Veterinäre für die Kontrollen vor Ort. Doch das wäre teurer.

Schwarzer-Peter-Spiel

Momentan hat die Situation in Bayern etwas von einem Schwarzer-Peter-Spiel:

  • Die Medien recyceln ihre Berichte aus dem Sommer 2016. Doch außer, dass einige Verstöße jetzt namentlich drei bayerischen Schlachthöfen zugeordnet werden können, gibt es wenig neue Erkenntnisse. Man muss die Artikel sehr genau lesen, um herauszufiltern, was sich auf das Jahr 2014 bezieht und bereits abgestellt ist – und was neue oder nicht behobene Verstöße sind (Artikel alt und neu unten verlinkt).
    Unabhängig davon gilt: Festgestellte Tierschutzverstöße werden zurecht kritisiert und sind abzustellen.
  • Die zuständige Staatsministerin Ulrike Scharf versucht nach der Bayernei-Krise einmal mehr mit Begriffen wie „Spezialeinheit“ und „Sonderkontrollprojekt Tierschutz“ aus der politischen Defensive zu kommen. Und sie treibt ihr Umbauprojekt der Veterinärverwaltung voran, von dem längst nicht alle überzeugt sind. Die Landtagsopposition poltert.
  • Das LGL freut sich über Bedeutungs- und Stellenzuwachs. Es war an der Dissertation beteiligt.
  • Die Tierarztverbände sagen, es braucht keine neue Behördenstruktur mit übergeordneten Taskforces, sondern schlicht mehr kontrollierende Tierärzte vor Ort in den Schlachthöfen und den Nutztierbeständen. Das würde dem Schutz der Tiere am meisten nutzen. Die Oberbehörden sollten sich dagegen darauf konzentrieren, die vorhandenen Kontrolldaten (z.B. bei Mängeln in Betäubungsanlagen) endlich systematisch und im Vergleich mit anderen Bundesländern auszuwerten und darauf basierend den Kollegen vor Ort klare, juristisch belastbare Orientierung zu Prüfung und Vollzug zu geben. Die Ämter vor Ort brauchen bayernweit einheitliche lesbare, verständliche und einfach umsetzbare Rechtsvorschriften.
    Nur dann kann die Umbaudebatte am Ende zu effektiveren Tierschutzkontrollen. (Vollständiger Forderungskatalog der Verbände hier)

Quellen:
Doktorarbeit Tanya Reymann – Vergleichende Überprüfung des Tierschutzes an Schlachthöfen (4/2016)

Medienbericherstattung:
Kurzfassung der aktuellen Berichterstattung  der Süddeutschen Zeitung (7.12.2016 – frei zugängliche Kurzfassung /weiterführender Link zur Langversion (Pay))
Bayerischer Rundfunk Textberichterstattung (Erstveröffentlichung 5.12.2016/Aktualisierung 7.12.2016)
BR 2: ausführliche Berichterstattung – Audiodatei (7.12.2016 – ca. 30min/Übersichtsseite) und Direktlink zur Audio-Datei (passender Audioplayer erforderlich)
BR-Fernsehen (7.12.2016)
BR-Bericht Sommer 2016
Süddeutsche Zeitung Bericht Sommer 2016

Pressemeldungen Behörden
Pressemeldung des bay. Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (5.12.2016)
Pressemeldung des bay. Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (7.12.2016)
LGL-Themenseite „Schlachthofkontrollen“ (Stand 8.12.2016) 
Informationen zum Rechnungshofgutachten über den Umbau der Veterinärverwaltung (2015)
Position der bayerischen Tierarztverbände zum Umbauprozeß (2015)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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