Ungereimtheiten bei den ersten bundesweiten Antibiotika-Kennzahlen

Datenproblem Nr.1: Haben wirkklich alle Tierhalter ihren Antibiotikaeinsatz gemeldet? (©MKULNV-NRW)Datenproblem Nr.1: Haben wirkklich alle Tierhalter ihren Antibiotikaeinsatz gemeldet? (©MKULNV-NRW)

Es gibt unstreitig Lücken und Falschmeldungen bei der ersten bundesweiten Erfassung des Antibiotikaeinsatzes bei Masttieren. Dennoch sind für die Behörden die Zahlen gültig und sie werden auf dieser Basis in die Kontrollen einsteigen. Wo die Fehler liegen und was daraus folgt, erklären wir am Beispiel von NRW.

„Wenig plausibel“ seien etwa Therapiehäufigkeitszahlen bei den Mastkälbern“, beklagt der Bauernverband  Westfalen-Lippe. Das liege am Meldeverhalten, würde Dr. Arno Piontkowski wohl erwidern. Der Leiter des Referates Tierseuchen im NRW-Landwirtschaftsministerium hatte schon Ende März auf der AVA-Tagung in Göttingen die Probleme des ersten Erfassungsdurchganges auf Basis der NRW-Zahlen vorgestellt.

Datenproblem Nr.1: Haben wirkklich alle Tierhalter ihren Antibiotikaeinsatz gemeldet? (©MKULNV-NRW)

Datenproblem Nr.1: Haben wirkklich alle Tierhalter ihren Antibiotikaeinsatz gemeldet? (©MKULNV-NRW)

Beispiel: Meldedisziplin bei Mastkälberhaltern

3.013 Landwirte, die Mastkälber halten, hatten sich vor der Erhebung in NRW  selbst als „mitteilungspflichtig“ erklärt. Aber nur 1.590 haben dann tatsächlich mindestens einen Antiobiotikaeinsatz gemeldet. Für Piontkowski wäre nun zu hinterfragen, ob diese 1.500 nichtmeldenden Landwirte „tatsächlich überhaupt keinen Antibiotikaeinsatz hatten?“ Den Erfahrungswerten aus der Praxis entspricht das jedenfalls nicht.

Datenproblem Nr. 2: Tierhalter geben trotz "Warnhinweisen" falsche Zahlen ein. (© MKULNV-NRW)

Datenproblem Nr. 2: Tierhalter geben trotz „Warnhinweisen“ falsche Zahlen ein. (© MKULNV-NRW)

Beispiel: Datenqualität

Ein Extremfall war die höchste in NRW erfasste Therapiehäufigkeit von 3.813(!). Der Wert der Kennzahl 2 für Mastschweine liegt im Bundesdurchschnitt bei 9,49(!). Natürlich ist dies ein Datenfehler, aber: Die HIT-Datenbank hatte dem Eingeber fünf (!) Plausibilitätswarnungen zur Bestandsgröße ausgegeben. Die hat der aber ignoriert. Sein Fehler: Er hatte keinen Anfangstierbestand erfasst, so dass alle ansonsten korrekt eingegebenen Antibiotika nur den geringen Zahlen der Tierbewegungen zugeordnet wurden. Dennoch fließt auch dieser Wert in die Berechnung des bundesweiten Therapiehäufigkeitsindex ein, denn die Datenbank „bewertet“ die eingegebenen Daten nicht. Sie warnt nur vor Falscheingaben. Am Ende entscheidet der „Mensch“ darüber, was er einträgt – und ist dafür verantwortlich.

Juristische Folgen für Tierärzte und Tierhalter

Meldefehler sind eine Ordnungswidrigkeit mit möglichen Folgen. (© MKULNV-NRW)

Meldefehler sind eine Ordnungswidrigkeit mit möglichen Folgen. (© MKULNV-NRW)

Die Datenqualität und das Meldeverhalten dürften damit die zentrale Ursache für die „Ungereimtheiten“ sein. Es gibt zwar noch einige weitere, technische Probleme der HIT-Datenbank (siehe unten), doch deren Auswirkungen sind eher gering.
Speziell eine Falscheingabe trotz „Warnung“, aber auch eine „Nichtmeldung“ können juristische Konsequenzen haben. Zunächst einmal gilt: Meldefehler sind eine Ordnungswidrigkeit (siehe Foto) – auch wenn es eben nur ein Fehler war.
Im Fall der extremen Falscheingabe hatte nicht der Tierhalter, sondern ein beauftragter Dritter den Fehler begangen. Verantwortlicher Ansprechpartner für die – bei dieser extremen Therapiehäufigkeit definitiv folgenden – Behördenauflage bleibt aber der Tierhalter. Er dürfte allerdings in einem solchen Fall gute Chancen haben, den eingebenden Dritten (evtl. seinen Tierarzt?) in „Regress“ zu nehmen, sollte ihm ein wirtschaftlicher Schaden entstehen.

Diese Konsequenzen zieht NRW aus der ersten AMG-Erhebung. (© MKULNV-NRW)

Diese Konsequenzen zieht NRW aus der ersten AMG-Erhebung. (© MKULNV-NRW)

Konsequenzen: NRW kontrolliert Dateneingabe

Fest steht: Der erste Erfassungsdurchgang war eben kein „Probelauf“. Die Zahlen bleiben trotz aller Mängel gültig. Die Behörden werden also darauf ihre Überwachungsprioritäten aufbauen. Auch der Zeitplan für die Tierhalter und die vom AMG festgelegten Massnahmen, die ein Tierhalter ergreifen muss, wenn er mehr Antibiotika als die Vergleichsgruppe eingesetzt hat, bleiben uneingeschränkt gültig.
Dennoch räumt auch Piontkowski ein, man werde die Ergebnisse des ersten Erhebungszeitraumes mit einer gewissen Vorsicht bewerten. Für den zweiten Erfassungszeitraum – also die Dateneingabe bis 30. Juni 2015 – sei unbedingt eine Verbesserung der Datenbasis erforderlich: Gemeint ist damit das Meldeverhalten und die Plausibilität der Eingabe.
Zumindest in NRW werden die Behörden aber nicht nur dann aktiv, wenn ein Tierhalter über der „Kennzahl 2“ liegt – also mehr Antibiotika einsetzt, als die verbliebenen 75 Prozent der anderen Betriebe. NRW plant, einen „Kontrollschwerpunkt“ auch auf die Dateneingabe zu legen: Also nachzuprüfen, ob überhaupt gemeldet wurde und ob dies korrekt geschah.

Weniger bedeutsame Mängel

Eine Reihe von kleineren Problemen bei der Datenerfassung in HIT hat NRW ausserdem ausgemacht:

  • Bestandsveränderungen – Probleme machte auch, dass nur eine mögliche Bestandsveränderung (Zahl der Tiere im Bestand) pro Tag eingegeben werden konnte. Es gibt aber eine Additionsfunktion in HIT, die jedoch mit einem „Haken“aktiviert werden muss: Dann werden die Bestandsveränderungen pro Tag (etwa Abgang tote Tiere + Abgang durch Verkauf + Zugang durch Zukauf) korrekt addiert.
  • Eingabezeitraum Tierhalterklärung – Bisher konnte der Tierhalter nur erklären ab wann ein Dritter für die Dateneingabe autorisiert wurde. Künftig kann der Halter dafür einen Von-Bis-Zeitraum eintragen. Somit kann der Eingebende auch wechseln.
  • Fehlende Präparate – Medikamente, deren Zulassung erloschen ist, die aber dennoch gesetzeskonform auch noch zwei Jahre darüber hinaus eingesetzt werden dürfen, waren in der HIT-Liste nicht enthalten. Sie werden nachgepflegt.

Neue Begehrlichkeiten: Tierarztvergleich

  • Bisher ist das AMG ein Benchmarking für Tierhalter. Sie können ihre betriebsindividuelle Kennzahl mit dem bundesweiten Durchschnitt vergleichen und sehen so, ob sie weniger oder mehr Antibiotika einsetzen als andere Landwirte (eine Erklärung des Prozederes liefert hier die QS-GmbH).
  • Es gibt aber bereits erste Anfrage an die Behörden – zum Beispiel von Journalisten –, die einen Bundeländer- oder Regionenvergleich erstellen wollen. Auch könnte es ja interessant sein, zu wissen wie viel Antibiotika ein Nutztier-Betrieb einsetzt, der etwa in der Nähe einer Schule liegt.
    Wie die Behörden mit solchen Anfragen umgehen (müssen), werden wahrscheinlich Gerichte entscheiden.
  • Die Niederländer, die ein ähnliches Monitoring-System bereits seit längerer Zeit etabliert haben, wollen im nächsten Schritt ein „Tierarztbenchmarking“ einführen: Welcher Tierarzt verordnet die meisten Antibiotika? Und warum?

Was die Behörden ändern wollen

  • Schweinebestandsregister – Die Agrarminister der Länder wünschen, dass in der HI-Tier analog zu den Rindern auch ein Schweinebestandsregister programmiert wird. Damit wären die Tierzahlen (Zugänge/Abgänge) dort zu erfassen und könnten direkt in das Antibiotikamonitoring übernommen werden. Dieses Register wird kommen, die Eingabe wird allerdings nicht verpflichtend sein. Der Grund: Eine Erfassung der Tierbewegungen in einer eigenen Datenbank ist nur nur mit der Tierseuchen-Vorbeugung zu begründen. Die Antibiotikamengenerfassung bietet dafür keine ausreichende Rechtsgrundlage.
  • Bestandsuntergrenzen streichen – NRW wird auch darauf dringen, die Bestands Untergrenzen zur Antibiotikadatenerfassung abzuschaffen, zumindest aber erheblich abzusenken. Bislang müssen Betriebe mit weniger als 20 Mastrindern, weniger als 250 Mastschweinen, weniger als 1.000 Mastputen und weniger als 10.000 Matshähnchen ihren Antibiotikaeinsatz nicht melden. Das hält NRW für falsch. Für neue Zahlen müsste allerdings das Arzneimittelgesetz (AMG) neu formuliert werden. Das ist in den nächsten Jahren unwahrscheinlich. Es könnte aber entweder geschehen, wenn die EU neue Vorschriften zum Antibiotikaeinsatz macht; ansonsten erfolgt dies spätestens, wenn es in fünf Jahren zur vorgeschriebenen Evaluierung des Gesetzes kommt.

Einen Bericht zum 2. Datenerfassungszeitraum finden Sie hier

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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