Der 10. Leipziger Tierärztekongress war zugleich der bislang größte: Rund 6.200 Besucher, 283 Aussteller (incl. Career Corner), 12.000 Quadratmeter Messefläche und ein Programmangebot mit über 500 Veranstaltungen. Kommt Leipzig damit an seine Grenzen? Wenn nicht, wie lässt sich weiteres Wachstum managen?
(aw/jh/PM) – Mit einem Plus von rund 800 Besuchern (2018: 5.400 / 2020: 6.200) baut der Leipziger Tierärztekongress seine Spitzenposition als „größte Fortbildungsveranstaltung im deutschsprachigen Raum“ weiter aus, wie es die Veranstalter formulieren. Leipzigs Messechef Martin-Buhl-Wagner sieht den Kongress und die begleitende Veterinärmedizinische Industrieausstellung vetexpo inzwischen sogar als „eine der führenden Veranstaltungen in Europa“.
Teilweise überfüllt
Der Zufriedenheit der Veranstalter steht ein Luxusproblem als Wermutstropfen gegenüber: „Ein hervorragendes Kongressprogramm führte erneut zu übervollen Vortragssälen,“ räumte Martin Pehle, Präsident der mitveranstaltenden Landestierärtzekammer Brandenburg ein.
Auch von Besuchern gab es Stimmen, dass die Themenauswahl fast zu groß war. Damit steht der Leipziger Tierärztekongress vor der Frage, wie er weiteres Wachstum managen – und dann auch finanzieren kann.
vetexpo: Ausstellung um einen Tag verlängern?
Wahrend die Fortbildungsteilnehmer den Donnerstag als ersten von drei Kongresstagen gut annehmen – von etwa 20 Prozent Besucherzuwachs war hier die Rede – beginnt die Industrieaustellung vetexpo erst am Freitag. Diskutiert wird darüber, die Ausstellung zu verlängern. Erste Stimmen aus der Industrie signalisieren, dass ein früherer vetexpo-Beginn am Donnerstag denkbar wäre. Jedenfalls ist das den Ausstellern lieber, als eine Verlängerung des Kongresses auf den Sonntag.
Bei der Raumnutzung gibt es nicht nur ein Kapazitäts- sondern auch ein Organisationsproblem: So drängten sich die Besucher in vielen Vorträgen stehend in Eingangsnähe, während mittig in den Reihen und auch vorne durchaus noch Plätze frei waren. Eine Bestuhlung mit mehr Längs-/Quergängen für mehr Bewegungsfreiheit ohne Präsentationen zu stören und mehr aktive „Besucherlenkung“ durch die Vortragenden (etwa in Diskussionspausen) könnte diese Probleme vielleicht ein wenig entzerren.
Offizielle Stimmen zum Kongress hier
10. Leipziger Tierärztekongress in Zahlen
• 6.200 Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum
• plus 503 Referenten aus 15 Ländern
• mehr als 500 Vorträge und Kurse zur tierärztlichen Fortbildung
• 283 Aussteller aus 15 Ländern, davon 28 in der Jobmesse „Career Corner“
• 34 Aussteller aus dem Ausland (u.a. Österreich, Großbritannien, Niederlande)
• 12.000 Quadratmeter Messefläche
Quelle: Messe Leipzig
Jüngeres Publikum von Arbeitgebern umworben
„Einen Trend zur Internationalisierung sowie eine Verjüngung des Publikums,“ erkannte Dr. Patrick Piette, Geschäftsführer von Ceva Tiergesundheit. CEVA hat mit der Kauf der IDT-Biologika auch die Rolle des Hauptsponsors für den Leipziger Kongress übernommen.
Auf dieses jüngere Publikum zielte die „Career Corner“. Egal ob Weltkonzern Boehringer oder Geflügelpraxis Arnold – jeder der 28 „tierärztlichen Arbeitgeber“ hatte in der „1. Jobmesse für Tierärzte“ (Mitveranstalter Dr. Felix von Hardenberg/Hardenberg Consulting) die gleiche Standgröße. Neben der konkreten Möglichkeit, mit potentiellen Mitarbeitern in Kontakt zu kommen, hatte die Career Corner noch ein zweites Ziel: Auf kompaktem Raum deutlich zu machen, welche enorme Bandbreite an beruflichen Möglichkeiten ein Tiermedizinstudium bietet. Denn ein Problem der Branche, in der inzwischen Frauen 85 Prozent des Nachwuchses stellen, ist die „Verlustquote“: Es kursieren Zahlen, dass bis zu 30 Prozent der approbierten Tierärztinnen nach dem Studium nicht in veterinärmedizinischen Berufsfeldern arbeiten.
Berufspolitik: Tierärzte sind keine Dienstleister
In der Eröffnungsveranstaltung des Kongresses ging es um das Bild der Tierärzte in der Öffentlichkeit. Dr. Kirsten Tackmann, Tierärztin und Bundestagsabgeordnete der LINKEN stellte in ihrer Auftaktrede heraus, dass immer wieder gegen den tierärztlichen Sachverstand entschieden würde – vom Gesetzgeber, von Behörden oder auch von Tierärzten selbst. Wenn sich die Tierärzteschaft nicht laut zu Wort melde, würden Erkenntnislücken nicht ernst genommen.
Sie appellierte daran, dass es eine neue Definition der Verantwortung der Tierärzteschaft in der Tierhaltung brauche: „Weg von der Dienstleistungsfunktion für die Tierhaltenden hin zu einer strategischen Verantwortung zur Umsetzung von Tierwohl, Tierschutz und Verbraucherschutz.“
Für den realen Blick auf die Bedürfnisse der jeweiligen Tiere brauche es die Tierärzteschaft. „Und die Tierärzteschaft braucht den Gesetzgeber! Denn je besser die Regelungen sind, desto niedriger das Konfliktpotenzial. Dazu muss der Gesetzgeber auf den tierärztlichen Sachverstand hören, aber auch seine Unabhängigkeit sichern. Wenn uns das besser gelingt, haben wir alle was davon.“
(Die Rede von Dr. Kirsten Tackmann hier im Wortlaut)
Messe als Tierarztkongress(mit)veranstalter
Als regionale Veranstaltung 1998 mit 500 Teilnehmern gestartet, hat sich der Leipziger Tierärztekongress seitdem enorm entwickelt. Getragen wird das Fortbildungsprogramm heute von den sechs Mitteldeutschen Tierärztekammern (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg Vorpommern und Berlin) sowie der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Ein Alleinstellungsmerkmal von Leipzig ist dabei, dass die Messe nicht nur Räume und Fläche vermietet, sondern selbst aktiver Mitveranstalter ist. Das zeigt sich dann im Ausstellungsmanagement.