Antiparasitika – was tun, wenns Scheisse regnet

Was hilft gegen Zecken? (Bild: Henrik Hofmann / tierundleben.de)Was hilft gegen Zecken? (Bild: Henrik Hofmann / tierundleben.de)

In den sozialen Netzwerken tummeln sich zu fast jedem Thema selbst ernannte Experten, Fanatiker und Gläubige. Sie verbreiten Vermutungen als Wahrheit. Gerät man zwischen die Fronten – egal, ob mit Erfahrung, Produkt oder Wissenschaft – kann es schnell ungemütlich werden. Das mussten jüngst auch Antiparasitikahersteller erfahren. Die Einordnung eines „Shitstorms“.

Eine Einordnung von Henrik Hofmann

Aktuell geht es um das Antiparasitikum Bravecto®. Dazu hat das in Deutschland für die Überwachung von Tiermedikamenten zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Februar informiert: Aufgrund von Meldungen über unerwünschte neurologische Nebenwirkungen werde das Medikament auf europäischer Ebene jetzt enger überwacht. Das ist Teil der in der Medizin üblichen Qualitätssicherung.

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bpt-Post: Futter für die Hexenjagd oder Aufklärung? (Bild: Screenshot Facebook)

bpt-Post: Futter für die „Hexenjagd“ oder Aufklärung? (Bild: Screenshot Facebook)

Auch der Bundesverband praktizierender Tierärzte hat auf Facebook auf diese Beobachtung  hingewiesen. Er wollte Tierärzte informieren. Doch plötzlich meldeten sich in aller erster Linie Kritiker und Hater. Wer sachliche Argumente postet, wird bestenfalls belächelt – meist aber beschimpft: „Seine Tiere lieben aber pures Gift verabreichen !! Zum kotzen „, war einer von sehr vielen unschönen Kommentaren.
Der bpt-Post bringt Tierärzte in eine schwierige Lage, denn er wird vielfach als „Warnung“ des Berufsverbandes interpretiert (siehe auch Kommentar unten).

Glaubenskriege in Sozialen Medien

Das Problem: Bei Antiparasitika gibt es unter Tierbesitzern bereits einen Glaubenskrieg: „böse Chemie“ versus „gute Natur“ – letztere meist vertreten durch Bernstein oder Kokosöl. Der spitzt sich bei Bravecto® jetzt zu: Auf Facebook stellen inzwischen eigene Gruppen die Frage: „Ist Bravecto® sicher?“ Die deutschsprachige Seite hat knapp 6.500* Mitglieder, die internationale 30.000 und auch in vielen anderen Gruppen ist das Arzneimittel Thema. Das Mehrheitsurteil in diesen Foren fällt eindeutig aus: „Nein, nicht sicher!“
Aber wie bei fast allen Themen, die so durch die (sozialen) Medien „getrieben“ werden, gilt: Meinung vor Tatsachen; Emotion vor statistischen Daten. Die Behörden untersuchen bereits seit 2015 die Nebenwirkungsmeldungen und konnten bisher (noch) keinen Kausalzusammenhang finden.

Zählen „Facts“?

Der Hersteller hat mit einer speziell eingerichteten Internetseite reagiert: www.bravectofacts.com erklärt in fünf Weltsprachen, wie es „wirklich“ ist und stellt „Mythos“ und „Fakt“ gegenüber.
Klar ist natürlich, dass das den „kritischen“ Tierhalter in den sozialen Netzwerken nicht beeindruckt. Da können der Hersteller MSD – und auch die Überwachungsbehörden – noch so sehr betonen, es könne vom „Bericht einer unerwünschten Reaktion nicht automatisch auf einen ursächlichen Zusammenhang geschlossen werden“.
Dieses vereinfachten Herstellen von Kausalzusammenhängen ist – im positiven wie negativen Fall – einer der häufigsten Trugschlüsse in der Medizin. Selbst eine Tierarzthelferin war in einem Facebook-Forum überzeugt, dass der zwei Wochen nach Verabreichung des Antiparasitikums diagnostizierte Milztumor in direktem Zusammenhang mit Bravecto® steht … (was medizinisch definitiv ausgeschlossen ist – Anm.d.Red.)

wir-sind-tierarzt meint: 

(hh) – Der bpt wollte wohl informieren. Doch leider hat er den Shitstorm eher befeuert und in Augen vieler gerechtfertigt. Dieser eine Post wurde auf der bpt-Facebookseite über 3.000 mal geteilt, über 400 mal wurde er kommentiert. Tierärzte waren das nicht. 
Die „Folgen“ spüre ich in der Praxis. Kunden sagen: Jetzt warnt doch sogar Euer Berufsverband vor neurologischen Nebenwirkungen. Das will ich nicht mehr.“ Da ist es für Tierärzte schwer, sachlich zu argumentieren, Ängste zu nehmen. Die meisten lesen leider nicht die komplette Meldung des BVL, die das ganze Verfahren genauer erklärt – sie verstehen nur „Warnung“ und nicht „Qualitätssicherung“. 

Natürlich diskutieren wir Tierärzte auch etwaige Nebenwirkungen. Tierärzte sind auch Tierhalter. Und gerade Tierärzte lieben Tiere. Deshalb haben wir – zumindest die allermeisten – diesen Beruf ergriffen. Und deshalb machen wir uns bei Einführung neuer Präparate regelmäßig Gedanken, wir tauschen unsere Erfahrungen in Foren, Gruppen und auf Fortbildungen aus. In diesem Fall gilt aber: Fast kein mir bekannter Tierarzt hat tatsächlich Nebenwirkungen erlebt. Wenn, dann eben (leichte) Magen-Darm-Symptome, wie sie im Beipackzettel auch beschrieben sind. Und das nach Gabe zig-Millionen Bravecto®-Tabletten weltweit.

Wichtig ist – und deshalb sensibilisiert das BVL mit seinen Informationen gezielt die Tierärzte: Wir  müssen auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) genauer achten. Die Beobachtungen der Menschen ernst nehmen, diskutieren – und sie dann auch viel häufiger melden. Das gilt für alle Medikamente. Und es geht schnell über die Homepage der BTK oder den Arzneimittelinformationsdienst Vetidata – und auch per Mail.

Ärgerlich ist: Reagieren die Behörden, wird das in „sozialen“ Medien dann nicht als Teil einer aufmerksamen Qualitätskontrolle verstanden, sondern sofort als „Mangel“ und Negativfakt mit „vergifteten“ Formulierungen verbreitet. Die deutschen und europäischen Aufsichtsbehörden prüfen diese UAW-Meldungen sehr gründlich – und sie handeln dann auch, wenn sich ein Verdacht bestätigt, etwa in diesem Fall.

Mich stimmt es traurig, dass das Vertrauen in diese wissenschaftsbasierten Entscheidungen immer mehr einer Meine-Meinung-ist-trotzdem-richtig-Attitüde zum Opfer fällt. Postfaktische Glaubenskriege schaden den Tieren mehr als jede Nebenwirkung.

*facebook-Zahl aktualisiert 31.3.2017

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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