Die bundesweiten Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit mit Antibiotika bei Masttieren für das erste Halbjahr 2017 liefern ein gespaltenes Bild: Einem weiteren leichten Rückgang beim Schwein steht ein erneuter Anstieg bei Hühnern und jetzt auch bei Puten gegenüber. Experten warnen schon länger, dass nach deutlichen Anfangserfolgen, der „Boden“ erreicht ist.
(jh) – Zwei wichtige Informationen bringen die Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit mit Antibiotika bei Masttieren für das erste Halbjahr 2017 (siehe Grafiken unten – Begriffserklärung siehe Artikelende):
- Die Kurven werden immer mehr zur Geraden – es gibt eine Bodenbildung. Nachdem die Kennzahl 2 anfangs stark gesunken war, verlaufen die Graphen jetzt fast parallel. Das bedeutet: Tierhalter, die vorher relativ viel verbraucht haben (über Kennzahl 2 lagen) haben ihren Antibiotikaeinsatz sehr schnell sehr deutlich reduziert. Das Ziel, Vielverbraucher zu identifizieren und dort Veränderungen herbeizuführen, wurde also erreicht. Jetzt aber kristallisiert sich ein „Korridor“ für den Antibiotikaeinsatz heraus.
- Und die Zahlen zeigen ein nach Tierarten gespaltenes Bild:
- Bei Schweinen geht die Therapiehäufigkeit insgesamt weiter zurück – wenn auch nur noch leicht und eben mit fast „gleichbleibendem“ Abstand zwischen den Kennzahlen.
- Beim Masthühnchen aber steigen die Zahlen – nachdem sie drei Halbjahre gesunken waren – jetzt zum dritten Mal an; bei Puten gibt es ebenfalls einen Anstieg.
Grenze erreicht?
In Summe zeigen die Zahlen somit eine Entwicklung, die Dr. Jörg Baumgarte, Referatsleiter Tierarzneimittel im Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium, aktuell auf einer Antibiotikafachtagung in Vechta so beschrieb:
„Ich prognostiziere: Wir haben die Schwelle erreicht, das Benchmarking wird an Grenzen stoßen.“ Bei der anstehenden praxisnahen Weiterentwicklung des Monitoringkonzeptes dürfe das letzte Quartil nicht weiter stigmatisiert werden. Und der politische Fokus müsse auf weiterführenden Maßnahmen liegen: Bessere Infektionsprävention, bessere Diagnostik, bessere Haltungsbedingungen – dokumentiert in einer praxisnahen Tiergesundheitsdatenbank (Schlachthofbefunde, Mortalitätsraten) und möglich gemacht durch eine leichtere Nutzung vorhandener Daten insbesondere für die Forschung.
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Mastschweine: Kennzahl 2 sinkt leicht
Ferkel: Bodenbildung erkennbar
Masthühner: Erneuter Anstieg
Mastputen: Erstmals ein Anstieg
Antibiotikaeinsatz bei Geflügel weiter verringern
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kommentiert die aktuellen Zahlen so:
„Das Antibiotikaminimierungskonzept ist mittlerweile gut etabliert und wirkt. Die Entwicklung der Zahlen macht aber auch deutlich, dass – bei einigen Nutztierarten stärker als bei anderen – weiter intensiv daran gearbeitet werden muss, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu verringern.“ Das dürfe nicht auf Kosten des Tierschutzes geschehen. „Kranke Tiere müssen behandelt werden, wenn das notwendig ist“, sagt Schmidt. Er mahnt an, in Bereichen, in denen der Einsatz von Antibiotika bereits erfolgreich deutlich reduziert wurde, alle Anstrengungen zu bündeln, um diese Werte beizubehalten.
Hintergrund:
Wie liest man die Therapiehäufigkeitskennzahlen?
Landwirte, die Masttiere (Rind, Schwein, Hähnchen, Puten) halten, müssen ab einer bestimmten Bestandsgröße halbjährlich folgende Angaben in eine staatliche Datenbank eintragen:
- die Bezeichnung der angewendeten Antibiotika,
- die Anzahl und Art der gehaltenen und behandelten Masttiere,
- die Anzahl der Behandlungstage
- die insgesamt angewendete Menge von Antibiotika.
Daraus errechnen die Behörden über eine Formel (Beispiel hier) die Kennzahlen für die einzelnen Masttierarten:
- Die Kennzahl 1 (Median) gibt die Grenze an, unter der 50 Prozent aller Therapiehäufigkeiten liegen.
- Die Kennzahl 2 (3. Quartil) ist die Grenze über der die 25 Prozent der Betriebe liegen, die relativ am meisten verbraucht haben. Diese müssen Maßnahmen zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes ergreifen (siehe unten).
Die Kennzahlen selbst sind rein mathematische Werte. Sie sind auch nicht festgelegt, sondern errechnen sich dynamisch aus den jeweils aktuellen Angaben der Tierhalter.
Über die Kennzahl können die Nutztierhalter ihren Antibiotikaeinatz im Vergleich zu anderen Betrieben gleicher Nutzungsart einordnen (Benchmarking).
Aus den Zahlen lassen sich aber keine Aussagen über die durchschnittliche Anzahl der Behandlungstage pro Tier und Halbjahr ableiten. Auch erlauben sie keinen Vergleich der Anwendungshäufigkeit zwischen den einzelnen Tier- und Nutzungsarten.
Die Antibiotikamengen werden über eine andere Datenerhebung erfasst. Auch hier gibt es deutliche Reduzierungen: So ist die Menge der in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika um über 50 Prozent oder 964 Tonnen gesunken – von 1.706 Tonnen im Jahr 2011 auf 742 Tonnen im Jahr 2016 (mehr dazu hier).
Was müssen die Tierhalter tun?
Jedem Masttierhalter wurde bereits vorab seine betriebsindividuelle Therapiehäufigkeit mitgeteilt. Diese muss er nun mit den bundesweiten Kennzahlen vergleichen.
- Liegt seine Kennzahl über der Kennzahl 2 muss er mit seinem Tierarzt einen schriftlichen Maßnahmenplan zur Senkung des Antibiotikaeinsatzes erarbeiten und diesen der zuständigen Überwachungsbehörde vorlegen.
- Liegt seine Kennzahl über der Kennzahl 1 aber noch unter der Kennzahl 2, muss der Tierhalter zusammen mit seinem Tierarzt die Ursachen dafür ermitteln und gegebenfalls Maßnahmen ergreifen, die zur Reduzierung der Antibiotikaverwendung führen.
- Alle Betriebe, die unter der Kennzahl 1 liegen (das sind 50 Prozent) müssen nichts weiter unternehmen.