Praxisassistenten: Geld ist nicht alles

All zu oft wird das Verhältnis von Chef zu Assistenten auf die Ebene des „richtigen“ Gehalts reduziert. Was die frisch gebackenen Kollegen bewegt, sind aber oft die vermeintlich kleinen Dinge im Leben: Einarbeitung, Arbeitszeiten oder Wertschätzung. Henrik Hofmann interviewt eine Anfangsassistentin.

WiSiTiA: Das Thema „Preis-Leistungs-Verhältnis“ ist für Arbeitgeber der zentrale Punkt. Werden Anfangsassistenten wirklich so schlecht bezahlt? Ist das der Grund, warum etliche Kolleginnen aus dem Beruf „fliehen“?

Christina: Meine Freunde und ich haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die meisten von uns haben gestaffelte Arbeitsverträge, das heißt, mit den Monaten steigt das Gehalt. Das begrüßen wir alle, so tragen über die Probezeit beide Parteien das gleiche Risiko. Mein Freund ist in der Rinderpraxis, er bekommt als Einstiegsgehalt 2.600.- Euro, nach vier Monaten werden es 2.800.- Euro sein, nach einem Jahr dann über drei Tausend. Er ist sehr zufrieden. In der Kleintierpraxis – wo auch ich gelandet bin – bekommen wir alle deutlich weniger. Teilweise liegen die Gehälter auch deutlich unter den ohnehin schon niedrigen Empfehlungen, die vom bpt ausgesprochen wurden.

WiSiTiA: Kann man davon leben?

Christina (lacht):  Wir kommen alle gerade aus dem Studium und sind an bescheidene Verhältnisse gewöhnt. Kleine Wohnung, altes Auto. Manche werden von den Eltern noch immer bezuschusst. So kommt man zwar über die Runden, aber nach der Ausbildung immer noch auf die Eltern angewiesen sein, ist natürlich nicht so schön. Ernst wird’s dann, wenn das Auto kaputt geht oder man größere Anschaffungen plant. Aber das Einstiegsgehalt ist eigentlich nicht das Thema.

WiSiTiA: Wo liegen dann die Probleme?

„Es wird zu wenig geredet in den Praxen“

Christina: Diejenigen unter uns, die schon zwei oder drei Jahre arbeiten, haben alle das gleiche Problem: Es wird zu wenig geredet in den Praxen. Das gilt vor allem für die Fahrpraxen. Am Anfang sind wir froh, einen Job zu haben, akzeptieren einen Staffelvertrag übers erste Jahr. Aber irgendwann will man auch mal weg vom „Uni-Standard“. Und dann wird nicht mehr geredet. Man fährt, man arbeitet. Die meisten schaffen es nicht über das Gehalt zu reden. Ideal wäre es, wenn sich Vertrag und Gehalt über die Jahre gemeinsam weiterentwickeln würden. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum Assistenten spätestens nach zwei bis drei Jahren die Stelle wechseln. Neu einsteigen und verhandeln scheint leichter zu sein.

WiSiTiA: Gibt es ein „Traumgehalt“?

Christina (zögert): Ich würde mir innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Brutto-Gehalt von über 3.000 Euro plus Umsatzbeteiligung für nacht- und Notdienste wünschen.

WiSiTiA: Aber Geld ist nicht alles ….

Christina: Nein, das ist es nicht! Ich wills mal so sagen: Meine Eltern sind beide Humanmediziner. Da läuft natürlich auch nicht alles glatt. Aber wenn ich erzähle, wie es uns geht, meinen sie, so seis bei ihnen vor 20 Jahren gewesen. Bei Bewerbungen in der Großtierpraxis hören wir von den Praxisinhabern immer noch, dass „Frauen dafür eigentlich viel zu schwach sind“.

WiSiTiA: Eine gewagte Aussage bei einem Frauenanteil von 90 Prozent unter den Tiermedizinstudenten …

Christina: In der Pferdepraxis bekommen Frauen teilweise deutlich weniger bezahlt als Männer. In einem Fall bekommt die Kollegin in der selben Praxis 300 Euro weniger. Bei Vorstellungsgesprächen ist das „Kinderkriegen“ immer ein zentrales Thema.

„Bei Vorstellungsgesprächen ist das Kinderkriegen immer ein zentrales Thema“

WiSiTiA: Arbeitgeber wünschen sich Mitarbeiter, die ihnen über Jahre erhalten bleiben.

Christina: Ja, aber was tun sie dafür? Die Einarbeitung ist oft völlig unstrukturiert. In der Fahrpraxis fällt sie zum Teil ganz weg. Arbeitsverträge: Wie viele von uns haben gar keine? Die Arbeit ist da, das Geld fließt – „fängst erst mal an“, heißt es. Offene Fragen sind in diesen Fällen fast immer Arbeitszeiten und Urlaubsansprüche. Konkrete Beispiele aus meinem Freundeskreis:

  • Gesetzlicher Urlaubsanspruch 30 Tage, der Chef bewilligt aber nur 25.
  • Zwei Wochenenddienste im Monat – aber kein Ausgleich in Form von Freizeit oder Geld. Das heißt 12 Tage Arbeit, zwei Tage frei, zwölf Tage Arbeit, zwei Tage frei. Das tut auf die Dauer weh! Und es ist nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel.
  • Tierbesitzer ruft beim Chef an, der Hund braucht eine Impfung, der Besitzer muss morgen arbeiten. Dann bekommt der Besitzer halt um 22/23 Uhr einen Termin. Muss der Assistent halt machen.

WiSiTiA: Du hast einige „Frauenthemen“ angesprochen. Ist das vor allem ein Problem, das von männlichen Chefs ausgeht? Sind Frauen rücksichtsvoller?

Christina: nein, damit hat das wohl nichts zu tun – diese Geschichten höre ich unabhängig davon, ob die Chefs männlich oder weiblich sind.

WiSiTiA: Bereut ihr, den Beruf ergriffen zu haben?

Christina: Nein, wir sind alle guter Dinge, die Arbeit macht Spaß! Ich glaube auch, dass sich in den letzten Jahren vieles zum Guten hin entwickelt hat. Was wir uns aber alle wünschen würden, wären regelmäßige Gespräche. Wo man mal sagen kann, wo der Schuh drückt; wo man über Gehalt, Vertrag, Praxisführung, Dienste, Einarbeitung sprechen kann. Ich glaube, die meisten von uns wünschen sich langfristige Zusammenarbeit in größeren Praxen. Aber nicht um jeden Preis.

WiSiTiA: Vielen Dank für das Gespräch mit uns – und ich wünsche Dir erfolgreiche Gespräche mit deinem Chef!

Zuerst veröffentlich in „ZiVet“

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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