Gehaltsminus weil Tierärztinnen „sich schlechter verkaufen“

Tierarzthelferin und Tierärztin – die „weibliche“ Form kann dem Beruf den Namen geben, denn Frauen stellen klar die Mehrheit. Tierärztinnen verdienen dabei aber fast ein Drittel weniger als Tierärzte – und sind darin nicht ganz unschuldig? Das könnte man zumindest aus unserem Umfrageergebnis herauslesen.

(jh) – Unglauben darüber, was eine Tierarzthelferin – im Vergleich zu Anfangsassistentinnen verdienen kann –, spiegelte sich in einigen Facebook-Kommentaren zu unserem Artikel über die anstehende tarifvertragliche Gehaltserhöhung für TFAs. Für Tierärztinnen gibt es dagegen nur Gehaltsempfehlungen von bpt (2.200.- € Anfangsgehalt) und BTK (2.600.- € Anfangsgehalt). Verpflichtend sind diese nicht und sie werden oftmals auch unterlaufen, wie auch unser Artikel über das Mindestlohnproblem bei Anfangsassistenten zeigt.

Ein Drittel weniger Gehalt als Männer

Europaweit verdienen Tierärztinnen fast ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Das hatte der Europäische Tierärzteverband (FVE) festgestellt und auch einige mögliche Gründe dafür genannt (im Detail nachzulesen unten). Dazu hatte wir-sind-tierarzt.de eine (nicht repräsentative!) Umfrage erstellt und fast 450 Antworten erhalten – die wir hier noch einmal veröffentlichen.
Böse zusammengefasst könnte man sagen: Selber schuld, denn die Mehrheit glaubt: Frauen „verkaufen sich einfach schlechter“ (26,41%) und „verzichten eher zugunsten der Familie auf ihren Job“ (17,38%).

Selber schuld? Etwas überspitzt könnte man dies als Ergebnis unser Umfrage werten. Gefragt war, warum Tierärztinnen weniger verdienen als Männer. (Umfrage erstellt mit Polldaddy)

Selber schuld? Etwas überspitzt könnte man dies als Ergebnis unser Umfrage werten. Gefragt war, warum Tierärztinnen weniger verdienen als Männer. (Umfrage erstellt mit Polldaddy – pro Teilnehmer waren drei Antworten möglich)

Praxisassistenten – klare Mehrheit weiblich

So einfach ist es natürlich nicht. Doch die Umfrageergebnisse und auch FVE-Zahlen sind ein Indiz dafür, was auch in der Branche viel diskutiert wird: Frauen wählen den Tierarztberuf eher aus Liebe zum Tier, denn mit dem festen Vorsatz eine Vollzeit-Karriere zu starten.
Die FVE nennt denn auch folgende Ursachen
 für den Gehaltsunterschied (wir-sind-tierarzt.de hat – soweit vorliegend – passende Zahlen aus der Deutschen Tierärztestatistik 2014 ergänzt):

  • 26 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit. Bei den Männern sind es nur 12 Prozent.
  • Frauen sind deutlich öfter angestellt, Männer eher selbstständig – in Deutschland etwa ist die klare Mehrheit der Praxis-Assistenten (5.867♀ vs 1.252♂) weiblich. Das zeigt auch die Mitgliederstatistik des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt): Bei den Praxisinhabern sind 44 Prozent weiblich, bei den im bpt engagierten Assistenten liegt der Frauenanteil bei 82 Prozent.
  • Laut FVE arbeiten Frauen öfter in Fachgebieten/Spezialisierungen, die als schlechter bezahlt gelten – auch in Deutschland stellen sie die Mehrheit bei den reinen Kleintierpraxis-Inhabern (3.774♀ vs 2.220♂) und sind nur zu einem ein Drittel Nutztier/Gemischtpraxisinhaber  (1.909♀ vs 5.949♂).
    Bei den Fachtierärzten haben sie nur eine knappe Mehrheit (3.189♀ vs 3.115♂), bei den Zusatzbezeichnungen sind sie sogar in der Minderheit (888♀ vs 966♂) – beides entspricht nicht ihrem 62-Prozent-Anteil am Beruf .
    Wenn sie eine Weiterbildung/Spezialisierung haben, sind sie bei den als lukrativ(er) geltenden „Spezialisierungen“ – etwa den chirurgischen Fächern (80♀ vs 220♂) – ebenfalls unterrepräsentiert, dominieren aber z.B. die Verhaltenskunde.
  • Dazu kommt das „family gap“, was bedeutet: Bevor sie die attraktiveren Einkommenstufen erreichen, verzichten viele Frauen zugunsten der Familie eher auf ihren Job.

box]Wir wollen weiter am Thema dran bleiben. Dazu wären Informationen zu besonders „krassen“ Gehalts-Beispielen hilfreich: per Mail an zentrale@wir-sind-tierarzt.de. Vertraulichkeit sichern wir natürlich zu. [/box]

Karriereknick Familie

Oft können Frauen nach der Familienphase nicht auf der gleichen Gehaltsstufe in den Beruf zurückkehren. Sie werden zurückgestuft oder müssen alternativ schlechter bezahlte Stellen annehmen. Arbeitgeber wissen um die Not von Frauen mit Familie, die „nur“ eine Stelle als „Hinzuverdienerin“ benötigen, und machen ihnen deshalb womöglich von vornherein geringere Gehaltsangebote als Männern.

Zudem verhalten sich Frauen in Gehaltsverhandlungen zurückhaltender und wechseln seltener ihre Arbeitsstelle, um ein besseres Gehalt zu bekommen. Frauen sind deshalb aber nicht generell unflexibler als Männer. Sie sind einfach froh, überhaupt eine Stelle gefunden zu haben, bei der sie Berufstätigkeit und Familienleben vereinbaren können.

Fazit: Generell spräche nichts dagegen, sich mit etwas weniger zu bescheiden und keine „steile Karriere“ anzustreben – wenn denn dieses „weniger“ zumindest der akademischen Ausbildung und beruflichen Qualifikation angemessen wäre. Die Mindestlohndebatte in einem Akademikerberuf zeigt, dass dies bei Tierärzten und Tierärztinnen nicht der Fall ist.

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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