Hürden auf dem Weg zu einem Tarifvertrag für Praxisassistenten

Wird es bald eine Tierärztegewerkschaft in Deutschland geben?

Mit der Einführung des Mindestlohnes zum Jahreswechsel sind auch die Gehälter angestellter Tierärzte erneut in die Kritik geraten: In den Tierarztpraxen verdienen viele nicht einmal 8,50 Euro pro Stunde und an manchen Universitäten erhalten Doktoranden sogar nur 10.- Euro im Monat – und das nach fünfeinhalb Jahren Studium. Eine Assistentengewerkschaft soll das ändern. Doch mit wem könnte sie überhaupt einen „Tarifvertrag“ aushandeln?

Der Markt scheint es nicht zu richten. Die Klagen über miserable Verdienst- und Arbeitsbedingungen tierärztlicher Praxisassistenten hören nicht auf. Abhilfe soll eine Gewerkschaft für Praxisassistenten schaffen, die „Tarifverträge“ abschließt. Als Vorbild werden  Österreich und Dänemark genannt. Bleibt die Frage: Ist das überhaupt möglich?
Henrik Hofmann stellt sie im Video (5 min) an Heiko Färber, den Geschäftsführer des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte e.V. (bpt), auf der bpt-Intensivfortbildung in Bielefeld 2015.

 Die wichtigsten Aussagen aus dem Video:

  • Eine Gewerkschaft macht nur dann Sinn, wenn es zwei etwa gleich starke Parteien gibt, die auch einen flächendeckend wirksamen Tarifvertrag abschliessen können.
  • In Deutschland gibt es aber weder einen reinen Arbeitgeberverband noch eine Assistentengewerkschaft.
  • Im Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) sind sowohl Assistenten (⅓) als auch Arbeitgeber (⅔) gleichermaßen Mitglied. Damit greift die Tarifautonomie nicht, da nicht ein Verband mit sich selbst verhandeln kann. (Anm. d. Red.: Gegenüber dem Verband der medizinischen Fachangestellten (VMF), der die TMFA/Tierarzthelferinnen vertritt, kann der bpt als Arbeitgeber-Tarifpartner auftreten, da es hier keinen Mitgliederkonflikt gibt).
  • Damit der bpt tariffähig würde, müssten also alle Assistenten austreten, eine Gewerkschaft gründen und sich der bpt zu einem reinen Arbeitgeberverband wandeln. (Anm. d. Red.: Der bpt vertritt aber als Berufsverband die Interessen aller Praktiker/Praxen insbesondere auf (berufs)politischer Ebene. Diese Position würde bei einem Verlust von einem Drittel der Mitglieder erheblich geschwächt).
  • Die Bundestierärztekammer e.V. ist als Dachorganisation (Verein) der 17 Landestierärztekammern ebenfalls nicht tariffähig. Auch die Länderkammern sind als Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechtes nicht tariffähig, denn hier sind alle Tierärzte Pflichtmitglied (Praktiker, Assistenten, Amtstierärzte, Universitätstierärzte, etc).
  • Theoretisch könnte sich aber sowohl auf Assistentenseite eine neue Gewerkschaft als auch auf Praxisinhaberseite ein neuer Arbeitgeberverband gründen.
  • Ein zwischen diesen neuen Verbänden abgeschlossener Tarifvertrag entwickelt allerdings nur dann eine spürbare Wirkung, wenn die Mitgliederzahl jeweils eine flächendeckende Größenordnung erreicht.
  • Mit einer Neugründung „kleiner“ Verbände wäre wenig gewonnen, da deren „Verträge“ zwar für deren Mitglieder selbst bindend wären, ansonsten aber nur „Beispielfunktion/Empfehlungscharakter“ hätten. Nichtmitglieder müssten/würden sich nicht daran halten.
  • Solche Empfehlungen haben aber bereits sowohl die Bundestierärztekammer als auch der bpt mit ihren bestehenden Gehalts- und Arbeitzeit/strukturempfehlungen  (2.600.- Euro) veröffentlicht und werben aktiv um deren Akzeptanz.
  • Es gibt eine gewisse Zahl von Praxen, die sich mit ihren Arbeitsverträgen an diesen Empfehlungen der anerkannten Verbände orientieren. Eine flächendeckende, verbindliche Wirkung haben sie aber dennoch nicht entwickelt.
  • bpt-Geschäftführer Heiko Färber zweifelt daran, dass Neugründungen hier erfolgreicher sein können – auch nicht mittelfristig.

Beispiel Österreich: Kollektivvertrag mit 2.002.- Euro Mindestlohn für Praxisassistenten

  • In Österreich gibt es einen Kollektivvertrag für tierärztliche Angestellte, der einen Mindestlohn (2.002.- Euro im ersten Berufshalbjahr; nachfolgende Steigerungen) vorschreibt. Das ist aber keine „Gewerkschaftslösung“, sondern dem dortigen Rechtssystem geschuldet. Es ermöglicht dem Staat einen Mindestlohntarif festzusetzen, wenn eine „kollektivfähige Körperschaft“ dies beantragt. Das österreichische Tierärztegesetz wiederum organisiert (vereinfacht formuliert) innerhalb der Tierärztekammer Praxisinhaber und Assistenten in zwei getrennten „Abteilungen“, so dass diese einen Kollektivvertrag beantragen können. Eine solche gesetzliche Tarifvorschrift sieht das deutsche Rechtssystem nicht vor. Es schützt nur die Tarifautonomie von sich selbst organisierenden Tarifparteien.
  • In Dänemark sind im tierärztlichen Praktikerverband nur Arbeitgeber organisiert. Von daher ist dieser gegenüber den Assistenten Tarifpartner.

Interview und Videoproduktion: Henrik Hofmann / Videozusammenfassung und ergänzende Recherchen: Jörg Held

 

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