PMSG-Gewinnung: Tierarztprotest gegen „Pferdefolter“

Arbeiter prügelt mit Holzscheit die Stuten durch den Treibgang zur Blutentnahme. (screenshot Video © Tierschutzbund Zürich)

Das Thema schwelt schon länger: Die Gewinnung des Brunftsynchronisationshormons PMSG aus dem Blut trächtiger Stuten in Südamerika unter katastrophalen Bedingungen. Als „Pferdefolter“ hat das die Gesellschaft Schweizer Tierärzte verurteilt. Jetzt hat auch in Deutschland die Agrarministerkonferenz und der bpt die Hersteller aufgefordert, europäische Tierschutzstandards einzuhalten.

Den aktuellsten Beitrag mit Fakten zur PMSG-Debatte (mit Reaktionen der Pharamfirmen) finden Sie hier

(aw/jh) – Die von Tierschützern vorgelegten Videobilder (siehe unten) sind grausam: Trächtige Stuten werden auf sogenannten „Blutfarmen“ brutal durch Blutentnahmeboxen geprügelt. Danach sollen die Föten wieder abgetrieben worden sein, um die Tiere erneut belegen zu können. Aus dem Blut in einer frühen Phase trächtiger Pferde wird das Hormon PMSG gewonnen, das unter anderem wiederum zur Brunstsynchronisation in Nutztierbeständen eingesetzt werden kann.

Tierärzte fordern: Europäische Tierschutzstandards einhalten

„Solche Methoden im Zusammenhang mit der Gewinnung von eCG (PMSG) auf Pferdefarmen in Südamerika sind aus tierschutzrechtlicher und ethischer Sicht nicht tolerierbar. Tierärzte müssen sich darauf verlassen können, dass deutsche Pharmafirmen ihre Produkte auch nach deutschen Tierschutzregeln produzieren,“ schreibt der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) in einer Stellungnahme. Er fordert von der Pharmaindustrie, „umgehend sicherzustellen, dass die Haltung der Stuten sowie Besamung bzw. Belegung und Blutentzug auf den südamerikanischen Pferdefarmen deutschen (europäischen) Tierschutzstandards entspricht und die Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Tiere auf ein Minimum reduziert wird. Die Einleitung von Aborten ist grundsätzlich nicht hinnehmbar.“

Länderminister: Einfuhrverbot prüfen

PMSG-Beschluss der Länderagrarministerkonferenz in Göhren-Lebbin (April 2016)

PMSG-Beschluss der Länderagrarministerkonferenz in Göhren-Lebbin (April 2016)

Die Agrarminister der Bundesländer möchten aktuell von der Bundesregierung wissen, wie häufig PMSG in Deutschland eingesetzt wird, welche Mengen importiert werden und ob es Alternativen gibt? Sollte die PMSG-Herstellung in Südamerika nicht mit nationalen/europäischen Standards vereinbar sein, soll die Bundesregierung ein „Einfuhr- und Anwendungsverbot“ prüfen. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer – der den Beschlussantrag gestellt hat –, hält „die Art der Gewinnung von Stutenblut für unerträglich, ja widerlich.“ Berlin müsse endlich auch mal klare Kante zeigen und zusammen mit anderen EU-Mitgliedstaaten für ein Importverbot kämpfen, falls sich die Tierschutzauflagen im Ausland nicht durchsetzen liessen.

bpt: Alternativprodukte zulassen

Der bpt drängt darauf, dass „grundsätzlich synthetische Alternativen mit annähernd vergleichbarer Wirkung entwickelt und zugelassen werden, sodass künftig auf die Blutentnahme bei trächtigen Stuten verzichtet werden kann. Bis entsprechende Produkte verfügbar sind, sollte parallel geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine kontrollierte Gewinnung des Blutserums im Inland möglich wäre, um auf diese Weise die in Deutschland geltenden tierschutzrechtlichen Standards sichern zu können.“

Hintergrund: PMSG

PMSG (Pregnant Mare Serum Gonadotropin, auch ECG = Equine Chorionic Gonadotropin) wird aus dem Blut trächtiger Stuten hergestellt, deren fetale trophoblastische Zellen das Hormon zwischen dem 40. und 140. Trächtigkeitstag bilden. Das Hormon wird vor allem im Fruchtbarkeitsmanagement von Sauen eingesetzt und dient dort zur Brunstauslösung beziehungsweise Brunstsynchronisation. Als Nebenwirkung verursacht PMSG eine Superovulation, es werden also mehr Follikel gebildet als normal, was in der Regel zu größeren Würfen führt.

Stute mit Hämatom an der Einstichstelle zur Blutentnahme. (screenshot Video © Tierschutzbund Zürich)

Stute mit Hämatom an der Einstichstelle zur Blutentnahme. (screenshot Video © Tierschutzbund Zürich)

Sinnvolle Brunstsynchronisation

Es gibt gute Gründe für die Brunstsynchronisation von Sauen, vor allem in mittelgroßen Familienbetrieben, die ansonsten nicht die vom Markt verlangten einheitlich großen Ferkelpartien liefern könnten. Weitere Stichworte sind: Planung von Arbeitsspitzen, besseres Hygienemanagement (Rein-Raus-Verfahren) und dadurch potentiell geringeres Krankheitsrisiko der Tiere (Einsparung von Antibiotika), Wurfausgleiche und gleichmäßig gewachsene, große Tiergruppen für die Weitermast.
So sieht auch der bpt in seiner Stellungnahme zum PMSG-Problem, dass die weitgehende Synchronisation des Sexualzyklus elementare Voraussetzung für die Umsetzung einer tierschutzgerechten Gruppenhaltung sei. Dadurch lasse sich die Zusammensetzung der einzelnen Sauengruppen stabil halten, was Stress und Verletzungen durch wiederkehrende Rangordnungskämpfe deutlich reduziere.
Auch mit Blick auf die aktuelle Antibiotikadiskussion ist der Einsatz des Hormons zu rechtfertigen. Nur wenn Mäster ihre Ferkel aus möglichst einer Herkunft beziehen können, entfällt der gefürchtete „Kindergartenffekt“, dass sich Tiere aus unterschiedlichen Herkünften gegenseitig mit Krankheitserregern infizieren.

Doch PMSG hat auch Nachteile: Durch seine lange Wirkdauer kann es sich negativ auf die Entwicklung der Embryonen auswirken und als Fremdprotein verursacht es bei den Sauen eine Antikörper-Bildung. Bei wiederholter Anwendung steigen die Antikörper-Titer gegen PMSG und führen zu einer Abschwächung der Wirkung.

Stute auf sogenannter Blutfarm, der Rücken übersäht mit Prügelnarben. (screenshot: ©Video Tierschutzbund Zürich)

Stute auf sogenannter Blutfarm, der Rücken übersäht mit Prügelnarben. (screenshot: ©Video Tierschutzbund Zürich)

Tierschützer fordern PMSG-Importstopp

Der Tierschutzbund Zürich – der die katastrophalen Herstellungsumstände in einigen Farmen in Südamerika im September 2015 angeprangert hatte (TV-Bericht Schweizer Fernsehen hier) – fordert in Anbetracht der Tierschutzverstöße bei der Hormongewinnung einen EU-weiten Importstopp und ein Verbot des Einsatzes von PMSG in der Schweinehaltung.
Eine Alternative haben die Tierschützer auch schon ausgemacht: Peforelin. Hierbei handelt es sich um ein GnRH-Analogon (Gonadotropin Releasing Hormon), das nach einmaliger Applikation zur FSH-Sekretion (Follikel-Stimulierendes Hormon) führen eine Brunst auslösen. Diese synthetische Alternative sei etwa gleich teuer, aber komplizierter in der Anwendung, sagte Meinrad Pfister, Präsident des Schweizer Schweinehalterverbandes Suisseporcs.

Hersteller überprüfen Lieferanten

Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) hat bereits im Oktober 2015 erhebliche Tierschutzbedenken geäußert, nachdem sie sich bei dem entsprechenden Pharmakonzern (in der Schweiz MSD Animal Health / in Deutschland liefert auch IDT) nach der Herkunft des eingesetzten PMSG erkundigt hatte. MSD hat klar gestellt, dass die Firma ihr PMSG nicht von der angeprangerten argentinischen Farm erhält, sondern aus Uruguay und Chile. Als Konsequenz  wolle man die Lieferanten auditieren.
Auf der österreichischen Firmenseite hat MSD im März 2016 mitgeteilt, dass die Überprüfung erfolgt sei, man nicht mit den Lieferanten aus dem Tierschutzfilm zusammengearbeitet habe und bei eigenen Lieferanten „Tierärzte vor Ort sind, um sicherzustellen, dass die Pferde gesund sind. Fohlen werden aufgezogen oder als Arbeitstiere an Farmen in der Region verkauft.“
Allerdings sind die Lieferanten nur verpflichtet, die lokalen und regionalen gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen einzuhalten.
In Deutschland und der Schweiz wird aber inzwischen auch für die Blutgewinnung in Südamerika die Einhaltung europäischer Tierschutzvorschriften gefordert.

Die Schweizer Tierärztegesellschaft (GST) hält fest: Ziel der GST sind gesunde Tiere, Achtung der Tierwürde und artgerechte Haltungsbedingungen; daher wird den Mitgliedern empfohlen, die fraglichen Produkte so lange nicht mehr anzuwenden, bis die Hersteller eine unbedenkliche Herkunft garantieren können.

Quellen:
Beschluss Länderagrarministerkonferenz (April 2016 – Beschluss noch nicht verlinkt)
Stellungnahme des bpt zu PMSG (April 2016 – PDF-Download)
MSD-Stellungnahme zu PMSG-Lieferanten aus Südamerika (März 2016)

Stellungnahmen der Gesellschaft Schweizer Tierärzte (GST) zum Thema PMSG (2. Oktober und 28. Oktober 2015)
PMSG-Bericht Landtag Mecklenburg-Vorpommern (November 2015)
Bericht im Schweizer-Fernsehen (mehrere eingebettet Videos – September 2015)
Original-Video-Material aus Blutfarmen – Tierschutzbund Zürich (15 min/YouTube/September2015 – unten eingebunden)

(Artikel ergänzt: 22.4.2016)

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