Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ändern, aus Anbinde- und Kastenstandhaltung aussteigen, „Stall-TÜV“ und Tiergesundheitsdatenbank einführen sowie nicht-kurative Amputationen wie Ferkel kastrieren untersagen – nach längerer und sehr kontroverser interner Diskussion hat die Bundestierärztekammer ein Positionspapier zur Nutztierhaltung verabschiedet. Das beschreibt, wo der Gesetzgeber aus Tierarztsicht bei Tierschutzfragen handeln muss. Freiwillige Vereinbarungen allein reichen der BTK nicht aus.
Teil 1 der Berichterstattung über das BTK-Positionspapier zur „Verbesserung des Tierschutzes in der Nutztierhaltung“ – Teil 2 lesen Sie hier
von Jörg Held
Es ist ein Kompromiss. Und um den wurde lange und hart gerungen. Dem Tierschutzausschuss der Bundestierärztekammer (BTK) geht das Positionspapier nicht weit genug. Die Fachausschüsse der Nutztierpraktiker kritisieren dagegen einige Punkte als „unpraktikabel und praxisfremd“. Beide Seiten haben akzeptiert, dass – wie es BTK-Präsident Dr. Uwe Tiedemann formuliert – „Änderungen nicht nur politisch und gesellschaftlich gewollt und gefordert, sondern unbestritten notwendig sind“. Wie man sie gestaltet, müsse aber gut überlegt und mit Sachverstand abgewogen werden.
In der gesellschaftlichen Debatte über eine Neuausrichtung der Nutztierhaltung, gebe es auch eine Erwartung an die Tierärzteschaft, sich zu positionieren. Das hat sie jetzt getan. Das Ergebnis trägt den etwas sperrigen Titel:
Auf der BTK-Herbstdelegiertenversammlung votierten von 66 stimmberechtigten Delegierten 61 für diesen Forderungskatalog – bei zwei Gegenstimmen und drei Enthaltungen eine mehr als eindeutige Mehrheit.
Die wichtigsten Punkte des Papiers hat wir-sind-tierarzt im Folgenden skizziert. Ausführliche fachliche Begründungen sind hier im Originaldokument nachzulesen
Forderung 1: Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung nachbessern
Sie steht generell in der Kritik: Die Anforderungen der geltenden Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) reichen vielen Teilen der Gesellschaft nicht mehr aus. So geraten immer wieder auch Tierhalter an einen politischen und medialen Pranger. Sie halten ihre Tiere zwar rechtskonform, doch die Öffentlichkeit bewertet Bilder aus Ställen anders.
Zuletzt hat der Berliner Justizsenator eine Normenkontrollklage angekündigt (mehr hier), die überprüfen soll, ob die Verordnung rechtskonform ist..
Auch die Bundestierärztekammer hält eine Überprüfung der TierSchNutztV für erforderlich. Dabei sollte man aber bereits bestehende freiwillige Vereinbarungen und Leitlinien sowie insbesondere tierärztlichen Sachverstand berücksichtigen.
Konkret fordert das BTK-Positionspapier, dass aus tierärztlicher Sicht der Gesetzgeber in einer überarbeiteten Verordnung folgende Punkte dringend (neu) regeln sollte:
1.1 – Zeitnaher Ausstieg aus der Anbindehaltung
Der Staat müsse einen verbindlichen Termin für den Ausstieg aus der Anbindehaltung festlegen. Auch bei einer Abwägung der Interessen des Tierhalters gegen die Ansprüche der Tiere an die Haltungsbedingungen könne man diese Haltungsform zukünftig nicht mehr tolerieren. Die BTK fordert deshalb,
- für die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern ein zeitnahes rechtsverbindliches Verbot auszusprechen;
- für jahreszeitlich begrenzte Anbindehaltungen in Abstimmung mit den Tierhaltern eine Übergangsfrist zum Ausstieg festzulegen.
Dazu müssten bisher fehlende Anforderungen an die Haltung von über sechs Monate alten Rindern in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufgenommen werden.
(Mehr zur Debatte über die Anbindehaltung lesen sie hier)
1.2 – Haltungsvorschriften für Puten erlassen
Es sei überfällig, für weitere Nutztierarten Haltungsvorschriften zu erlassen. Explizit benennt die BTK Puten, Wassergeflügel, Junghennen und Elterntiere.
Eine „gute Grundlage dafür“ seien bereits bestehende Branchenvereinbarungen, etwa die niedersächsischen Empfehlungen zur Moschusenten- oder Pekingentenhaltung sowie für die Junghennen- und Elterntierhaltung oder das bundesweite Eckpunktepapier zur Putenhaltung.
1.3 – Sauen raus aus dem Kastenstand
Außer in begründeten Ausnahmefällen müsse die Haltung von Sauen im Kastenstand aus tierschutzfachlichen Gründen beendet werden – und zwar sowohl im Deckzentrum als auch im Abferkelbereich.
Die Bundestierärztekammer stützt dabei ihre Position u.a. auf eine Stellungnahme des Friedrich-Loeffler-Institutes, die sagt: „Die Haltung von Sauen in Kastenständen im Deckzentrum unter Einhaltung der sich aus § 24 Abs. 4 TierSchNutztV ergebenden Anforderungen erscheint daher in der Praxis kaum umsetzbar.“
Gemeinsam mit den Tierhaltern und Behörden müsse man Lösungen erarbeiten, beginnend mit dem Deckbereich und folgend dem Abferkelbereich. Die BTK fordert auch hier einen zeitnahen Termin für den Ausstieg aus der Kastenstandhaltung für Sauen festzulegen.
Für die Übergangszeit macht das Papier konkrete Vorschläge: Im Deckzentrum sei eine Fixierung der Sau im sogenannten Ferekelschutzkorb auf maximal sieben Tage nach dem Absetzen zu beschränken. Im Abferkelstall schlägt es einen Zeitraum von maximal einen Tag vor der Geburt und vier Tage nach der Geburt vor. Für kranke Sauen seien Einzelbuchten von mindestens 160 x 200 cm und für unverträgliche gesunde Sauen Buchten von 200 x 200 cm vorzusehen. Grundlage sind Stellungnahmen der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) zum Thema Kastenstand (2015 / PDF-Download) und „Freier Abferkelung“ (2016 / PDF-Download).
Forderung 2: Stall-TÜV einführen
Umgangssprachlich heißt es „Stall-TÜV“, es geht aber eher um eine „allgemeine Betriebserlaubnis“ für tiergerechte Stalleinrichtungen. Häufig würden erst beim Einbau im Stall oder der ersten tierschutzrechtlichen Überprüfung festgestellt, dass Abmessungen nicht eingehalten werden oder die Einrichtung zu Schäden an den Tieren führen, schreibt die BTK. Wie Ställe tatsächlich eingerichtet würden, folge allzu oft dem Verkaufsgeschick der Firmenvertreter oder unbewiesenen ökonomischen Vermutungen.
Die BTK fordert den Gesetzgeber deshalb auf, ein obligatorisches Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßig hergestellte Stallsysteme und serienmäßig hergestellte Haltungseinrichtungen für alle Tierarten sowie für Betäubungseinrichtungen in Schlachtstätten vorzuschreiben.
Tierärztlicher Sachverstand sei in diesem Prüf- und Zulassungsverfahren unabdingbar einzuplanen. Ein solches Zulassungsverfahren würde auch die Tierhalter aus dem Status des „Versuchskaninchens“ befreien. Sie hätten (mehr) Rechtssicherheit.
Forderung 3: Tiergesundheitsdatenbank anlegen
Genug geforscht – es gebe genügend zuverlässige Indikatoren, mit denen Tiergesundheit und Tierschutz bestimmt werden kann. Nur einige wenige davon müsste der Gesetzgeber verbindlich festlegen. Dann könne man ein einfaches Benchmarking zur Qualität der Tiergesundheit und des Wohlergehens der Tiere pro Tierbestand erstellen, sagt die BTK.
Eine solche Tiergesundheitsdatenbank wäre ein wichtige Grundlage für eine echte risikoorientierte privatwirtschaftliche Beratung und behördliche Überwachung der am schlechtesten abschneidenden Betriebe.
Die BTK fordert daher den Verordnungsgeber auf, eine verpflichtende Tiergesundheitsdatenbank zu schaffen, deren Inhalte bundeseinheitlich standardisiert erhoben und ausgewertet werden.
Basis können einheitliche Erhebungen von Tiergesundheits- und Tierschutzindikatoren bei der Schlachtung sowie die Erfassung der Mortalität und tierschutzrelevanter Daten im Rahmen der Tierkörperbeseitigung sein. Zusätzlich sollte man Daten aus (bestehenden) betriebsbezogenen Datenbanken, etwa der HI-Tier oder der Antibiotikadatenbank(en), tierschutzfachlich auswerten. Der Gesetzgeber müsse deren Nutzung zur betrieblichen Eigenkontrolle und im Rahmen der behördlichen Überwachung (datenschutz)rechtlich absichern.
Forderung 4: Sachkundenachweis und Fortbildungspflicht für Nutztierhalter
Das Tierschutzgesetz (§ 11 TSchG) verlangt für jede gewerbsmäßig ausgeübte Tierhaltung – außer für die Nutztierhaltung und die Haltung von Gehegewild – eine Erlaubnis. Dafür prüft die zuständige Behörde, ob der Tierhalter bei Haltungseinrichtungen und Management alle notwendigen Vorkehrungen getroffen hat, um den rechtlichen Anforderungen zu entsprechen. Und sie überprüft sowohl die Sachkunde des künftigen Tierhalters als auch die Eignung der Haltungseinrichtungen vor Beginn der Tierhaltung.
In der Nutztierhaltung würden jedoch häufig noch Ställe und Haltungseinrichtungen genutzt, die heutigen Tierschtzansprüchen nicht mehr entsprechen. Auch hätte nicht alle Nutztierhalter und deren Mitarbeiter die nötige Sachkunde.
Die Bundestierärztekammer hält es deshalb im Sinne des Tierschutzes für geboten, die Ausnahmeregelung im §11TierSchG für die Nutztierhaltung zu streichen. Auch soll ein verpflichtender Sachkundenachweis für Tierhalter und im Bestand beschäftigte Mitarbeiter sowie eine Pflicht zur regelmäßigen Fortbildung vorgeschrieben werden.
Das sei in anderen Berufen bereits eine Selbstverständlichkeit.
Forderung 5: Ausstieg aus nicht-kurativen Amputationen.
Schwänze kürzen, Schnäbel kupieren, Kastrationen oder Rinder enthornen – es gibt eine Reihe von sogenannten zootechnischen Eingriffen, die das Tierschutzgesetz (als Ausnahme) erlaubt. Doch mit diesen Amputationen würden Nutztiere noch zu oft unzulässige an defizitäre Haltungs- und Managementbedingungen angepasst. Die einzelnen Amputationen sind oft nicht essentiell, beziehungsweise gebe es mittlerweile praktikable Alternativen.
Die Bundestierärztekammer fordert den Gesetzgeber auf, die entsprechenden Paragraphen im Tierschutzgesetz zu überarbeiten und zu überprüfen, ob diese Eingriffe wirklich unerlässlich sind und dabei neue Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Praxiserfahrungen einzubeziehen. Zu überprüfen seien auch Ausnahmen von der Betäubungspflicht.
Die BTK lehnt die Vornahme dieser Eingriffe an Tieren – insbesondere durch Nichttierärzte – und die Ausnahmen von der Betäubungspflicht grundsätzlich ab.
Mehr zu diesen Forderungen in einem eigenen Artikel
Fazit: Freiwillig reicht nicht
„Das Positionspapier will vor allem aufzeigen, wie die gesetzlichen Regelwerke zum Schutz der Nutztiere verbessert werden können und müssen“, betont BTK-Präsident Dr Uwe Tiedemann und hält fest: „Es ist nicht ausreichend, zur Lösung der drängenden Probleme in der Nutztierhaltung ausschließlich auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen.“
Aus Sicht der Bundestierärztekammer fehlen in der momentan geführten Diskussion zur Nutztierhaltung – auch im durchaus soliden Aufschlag, den die Bundesregierung mit XXXX vorgelegt hat – gezielte politische Maßnahmen für eine tatsächliche strategische Neuausrichtung. Die Weiterentwicklung der Rechtsetzung sollte aus BTK-Sicht ein Baustein dabei sein – an welchen Stellen, erläutere das Positionspapier.