Kolostrum und Kälber: Fünf Irrtümer

Je eher, desto besser – die frühzeitige und ausreichende Kolostrumgabe entscheidet über die künftige Gesundheit eines Kalbes. (Foto: © WiSiTiA/aw)

Wie gesund und leistungsfähig ein Kalb wird, hängt sehr stark von der Versorgung mit Kolostrum nach der Geburt ab. Wie schnell, wie viel, wann von wem – ein US-Kollege klärt fünf Irrtümer rund um die wichtige Biestmilchgabe auf.

(aw) – Wer über Kolostrum spricht, meint zuerst Immunglobulin G (IgG) und dessen „magische“ Wirkung. In der Tat hängt die zukünftige Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Kälbern sehr stark davon ab, wie früh sie Zugang (erste Lebensstunden!) zu hochwertigem Kolostrum haben. Doch die eigentliche „Magie“ geschehe erst nach der Aufnahme: „Es geht darum, eine erfolgreiche passive Übertragung der Antikörper zu erreichen – und da gibt es  einige kritische Punkte, die genauso wichtig sind.“ Ph.D. Dave Cook von Milk Products räumt dabei mit fünf Irrtümern auf:

Irrtum 1: Antikörper sind der einzige wichtige Kolostrum-Bestandteil

IgGs sind wichtige Antikörper, die die Kälber nur in den ersten Lebensstunden aufnehmen können. Die Absorption in die Blutbahn der Tiere ist daher von größter Bedeutung, damit die Kälber solange gegen potentielle Infektionen geschützt sind, bis das eigenen Immunsystem ausreichend weit entwickelt ist.
Doch Dave Cook weist darauf hin, dass IgGs zwar wichtig sind, aber dass Kolostrum auch noch weitere für das Kalb notwendige Bestandteile enthält, etwa Peptid-Hormone, Wachstumsförderer, Zytokine, Steroidhormone und Vitamine. „Sie alle sind wichtig für die frühe Entwicklung von Verdauung und Immunsystem.“

Irrtum 2:  Zeitpunkt spielt keine Rolle

Spielt er doch: Kälber sollten so schnell wie möglich Kolostrum erhalten. Die Konzentration von IgGs in der Biestmilch ist nämlich direkt nach der Geburt am höchsten. Danach wird sie allmählich minderwertiger. Der Grund: Weitere Milch, die sich im Euter bildet, verdünnt das Kolostrum. Eine Studie der Washington State University zu diesem Thema konnte nachweisen, dass innerhalb der ersten 14 Stunden nach der Geburt der IgG-Anteil bereits um ein Drittel fällt. „Diese Ergebnisse machen deutlich, wie wichtig die frühzeitige Gewinnung von Kolostrum für das Kalb ist,“ betont Dave Cook.

Irrtum 3: Alles innerhalb von 24 Stunden ist ok

Die Annahme, dass es reicht, Kolostrum innerhalb von 24 Stunden zu geben und der genaue Zeitpunkt dabei keine Rolle spielt, ist auch noch aus einem zweiten Grund falsch. Es ist bekannt, dass die Fähigkeit des Kalbes, IgGs zu absorbieren nach der Geburt stetig abnimmt. Die Dairy Calf and Heifer Association rät daher, Kälbern in den ersten beiden Lebensstunden eine Menge von rund 10 Prozent ihres Körpergewichts zu geben.

Irrtum 4: Ältere Kühe produzieren das beste Kolostrum

Dass ältere Kühe und solche mit hoher Leistung das beste Kolostrum mit den meisten IgGs produzieren, ist eine naheliegende Vermutung. Tatsache ist allerdings, dass kein Zusammenhang zwischen dem Alter der Mutter oder ihrer Milchleistung und der Menge der produzierten Immunglobuline im Kolostrum besteht. Es könnte sein, dass bei einer höheren Milchleistung die Immunglobuline einfach stärker verdünnt werden.
Generell ist es sinnvoll, die Qualität jedes Gemelks vor der Verfütterung mit Hilfe eines Kolostrometers zu bestimmen.

Irrtum 5: Jeder Biestmilchersatz ist gleich gut

Falls die Mutter keine ausreichende Menge an Kolostrum gebildet hat, kann auf Biestmilchersatz zurück gegriffen werden. Doch nicht alle Präparate sind qualitativ gleich, da sie von normalen Kühen stammen, deren Immunstatus oft nicht genau bekannt ist.
Bei dem Kolostrumersatz unterschiedet man zwischen zwei Arten:

  • Denen, die aus tatschlicher Biestmilch gewonnen werden und die mütterliche Wachstums- und Immunfaktoren enthalten. Wenn kein mütterliches Kolostrum verfügbar ist, sind sie eine praktikable Option für die Fütterung am ersten Tag, um einen passiven Transfer zu erreichen.
  • Denen, die ihre IgGs aus dem Blut der Spendertiere beziehen. Diesen Biestmilchersatz kann man zur Unterstützung des Darms bei bekannten Problemen bis zu zwei Wochen lang täglich verfüttern.

Darüber hinaus spielt Sauberkeit bei der Gewinnung und Verfütterung von Kolostrum eine wichtige Rolle: Zu viele Bakterien in der Milch senken das Absorptionsvermögen des Kalbes.

Fazit: „Je mehr wir über Kolostrum wissen, desto wichtiger erscheint es, die Kälber so früh wie möglich mit ausreichend hohen Mengen zu versorgen“, fasst Cook die neuen Erkenntnisse zusammen.

Quelle:
bovinevetonline: Five colostrum misconceptions

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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