Digital Farming bedeutet, die Arbeitsbelastung senken, aber allzu oft auch: Arbeitskräfte einsparen. In der modernen Tierhaltung, indem man Betriebsabläufe so automatisiert, dass immer größere Bestände von möglichst wenig Menschen betreut werden können. Ein Plädoyer wider diesen Irrweg und für mehr Einzeltierbetreuung.
Von Annegret Wagner
Die Argumentation ist zunächst zwar typisch amerikanisch, der Ansatz dahinter aber durchaus „bäuerlich“: Je einheitlicher die Schweine einer Partie, desto höher deren Marktwert. Aber es komme nicht auf den Durchschnitt allein an, sondern darauf, die Abweichungen der Einzeltiere zu erkennen und zu minimieren, sagt Professor John Deen von der University of Minnesota (USA): „Erkennen Sie, warum die einzelnen Tiere sich unterschiedlich entwickeln und kümmern sie sich darum. Durchschnittswerte vertuschen zu viele Herausforderungen, denen das individuelle Schwein im Laufe seines Lebens gegenüber steht.“
„Es geht dabei in erster Linie um Menschen und Tierhaltung,“ ergänzt Valerie Duttlinger von Swine Management Services (Nebraska, USA). Wichtig sei, immer genug qualifizierte Mitarbeiter am richtigen Platz zu haben. Und darum, dass diese Mitarbeiter nicht dauernd wechselten und andere neu eingearbeitet werden müssten, sondern dass jeder wisse, worauf es ankomme. Beiden geht es um Einzeltierbetreuung und mehr Personal.
Größere Würfe – mehr Betreuer
Als Beispiel dafür führen die Amerikaner den Trend zu größeren Würfen und damit verbunden kleineren Ferkeln an. Die haben es deutlich schwerer zu überleben. Bezeichnenderweise steigt die Zahl abgesetzter beziehungsweise geschlachteter Schweine nicht proportional zu den steigenden Wurfgrößen.
In gut geführten Betrieben in den USA ist deshalb mittlerweile immer eine Person während des Geburtsvorgangs anwesend, um sicher zu gehen, dass jedes Ferkel schnell getrocknet und gewärmt wird und außerdem genug Kolostrum erhält.
Die Qualität des Kolostrums nimmt innerhalb von 24 Stunden stark ab, daher achten die Betreuer darauf, dass jedes einzelne neugeborene Ferkel die Chance hat, ausreichend zu trinken. Dazu markieren sie die Ferkel, die bereits getrunken haben; Erstgeborene trennen sie sogar unter Umständen vorübergehend von der Sau, damit die später geborenen Ferkel ebenfalls in Ruhe trinken können. Die Überwachung im Anschluss an die Geburt wird erst dann gelockert, wenn alle Ferkel zwei Mal alleine an der Sau getrunken haben.
Doch auch in den nächsten Tagen achten die Tierbetreuer darauf, dass alle Ferkel ausreichend Zugang zum Gesäuge ihrer Mutter haben und regelmäßig trinken. Kranke Tiere werden so schnell wie möglich behandelt oder euthanasiert.
Kleine Ferkel holen Rückstand kaum auf
Der Hintergrund: Bleiben kleine Ferkel sich selbst überlassen, holen sie den körperlichen Rückstand bis zur Schlachtung nicht mehr auf, betont Duttlinger. Weil sie in der Rangordnung weiter unten stehen und von den anderen verdrängt werden, hätten es die kleineren Tiere permanent schwerer. In der Folge gelinge es ihnen kaum, genauso effektiv zu wachsen wie die größeren Schweine der Gruppe. Die große Kunst sei es daher, möglichst einheitliche Ferkelpartien abzusetzen. Das aber gehe nicht ohne intensive Einzeltierbetreuung.
Intensive Einzeltierbeobachtung auch nach dem Absetzen
Doch diese individuelle Betreuung der Schweine sollte nicht mit dem Absetzen aufhören, sind sich Deen und Duttlinger einig: Auch in der weiteren Haltung, egal ob für Mast oder Zucht müssten alle Schweine einzeln täglich sorgfältig beobachtet werden. Krankheiten, egal ob Pneumonien, Lahmheiten oder andere, sollten die Halter so schnell wie möglich erkennen und behandeln. Der positive Nebeneffekt der Einzeltierbeobachtung liegt auf der Hand: Werden kranke Tiere früh identifiziert, reduziert sich der Antibiotika-Behandlungsbedarf über das Futter für die ganze Gruppe; erholen sich die einzelnen Schweine nicht schnell, können sie aus der Gruppe genommen und in Krankenställen weiter behandelt werden.
wir-sind-tierarzt.de kommentiert:
Alles retro – irgendwie
(aw) – Langsam macht sich die Erkenntnis breit, dass man sich um seine Tiere tatsächlich kümmern muss und sie doch nicht einem vollautomatisierten Stallsystem überlassen kann. Vielen Landwirte wurde und wird weisgemacht, dass sich (auch) die Tierhaltung wunderbar automatisieren lässt – und damit fast von alleine läuft? Da wird dann viel Geld in Technik gesteckt, von der Fütterung über die Lüftung und Entmistung.
Blöd nur: Das alles erspart trotzdem nicht die regelmäßige Kontrolle und Betreuung der Tiere. Egal ob Schweine, Geflügel oder Rinder: Der Unterschied zwischen wirtschaftlichen und defizitären Betrieben liegt meistens in der Qualität der Tierbetreuung.
Mit anderen Worten: Wer sich nicht für das Wohlergehen seiner Tiere interessiert, nicht regelmäßig im Stall sein will, der sollte auch keine halten. Die Argumentation, dass hohe Leistungen alleine ein Indiz für die jeweilige Tiergesundheit sind, ist überholt.