Bein ab – Leben mit einer dreibeinigen Katze

Am häufigsten amputieren Tierärzte Hinterbeine. Sie werden öfter verletzt, tragen aber auch weniger Gewicht als Vorderbeine. (Foto: ©WiSiTiA/Henrik Hofmann)

Nach Unfall oder (Tumor-)Erkrankung kann es unumgänglich sein, eine Gliedmaße zu amputieren. Rät der Tierarzt dazu, löst das beim Tierbesitzer häufig einen regelrechten Schockzustand aus. Dabei erholt sich die Katze meist sehr schnell. Und ist (fast) so flott unterwegs wie vorher.

von Henrik Hofmann

Oft kann eine Katze nur mit einer Amputation schmerz- und beschwerdefrei weiterleben. Dieser drastische Eingriff kann notwendig sein, wenn nach einem schweren orthopädischen oder neurologischen Trauma eine erhaltende chirurgische Operation nicht mehr möglich ist. Auch inoperable Tumore zwingen dazu.
Eine häufige Schädigung ist der Abriss des Nervus radialis: Dann kann die Katze die Vordergliedmasse nur noch über den Boden schleifen. Auch bei dieser nur peripheren Nervenschädigung ist die Lösung für ein weiteres schmerzfreies Leben die Beinamputation.

Studie: Amputieren oder einschläfern

Katzen könnten mit einer Amputation sehr gut weiterleben. Doch traurigerweise werden noch immer Tiere zu häufig eingeschläfert. Die Tierärztin Lyn Forster untersuchte gemeinsam mit Sandra Corr von der Nottingham Vet School (Großbritannien), wie der Verlust einer Gliedmaße das Wohlbefinden von Katzen beeinflusst. Unterstützt von der Tierschutzorganisation „International Cat Care“ befragten sie 230 Besitzer, deren Katzen mit einer Amputation leben.

„Dreibeiniges“ Leben ist anstrengender

Einige Besitzer stellten gegenüber Lyon Forster fest, dass ihre Katze schneller ermüdete. Es sei anstrengender auf drei Beinen zu laufen als auf vier. Doch die Lebensqualität sei sonst sehr gut gewesen. Nur zehn Prozent stuften die Lebensqualität ihrer Katze nach der Amputation als geringer ein.

Schmerzbehandlung wichtig und oft nicht ausreichend

90 Prozent der Katzenbesitzer behandelten ihre Tiere postoperativ mit Schmerzmitteln. Trotzdem empfanden 36 Prozent die abgegebene Medikation als nicht ausreichend. Da Schmerz nicht nur unangenehm ist, sondern auch die Heilung behindert, könnte eine verbesserte Schmerztherapie die Zeit der Genesung nicht nur erträglicher gestalten, sondern auch verkürzen, folgern die Autoren von „International Cat Care“.

Am häufigsten amputieren Tierärzte Hinterbeine. Sie werden öfter verletzt, tragen aber auch weniger Gewicht als Vorderbeine. (Foto: ©WiSiTiA/Henrik Hofmann) 

Beinamputation – die Hauptgründe

  • 80 Prozent der 230 Katzen in der britischen Untersuchung gehörten zur Rasse „Europäisch Kurzhaar“, waren also gewöhnliche Hauskatzen.
  • Zwei Drittel der betroffenen Katzen waren männlich – vermutlich haben Kater einen größeren Bewegungsradius als Katzen und sind deshalb einem höheren Unfallrisiko ausgesetzt.
  • Zwei Drittel der Katzen waren jünger als vier Jahre – jüngere Katzen sind unerfahrener und weniger vorsichtig und geraten damit häufiger in gefährliche Situationen.
  • Die Hauptgründe für die Amputation sind hingegen bei beiden Geschlechtern gleich:
    • Knochenbrüche
    • dauerhafte Nervenschädigungen
    • schwere Muskel-und Hautverletzungen
  • Bei den Schwanzamputationen standen Nervenschädigungen als Grund an erster Stelle.
  • Nur wenige Besitzer hatten den Unfall direkt beobachtet, in der Mehrzahl der Fälle wurde
    ein Verkehrsunfall vermutet.
  • Rechte und linke Gliedmaßen waren gleich häufig betroffen.
  • Doppelt so häufig waren Hintergliedmaßen betroffen. Mögliche Ursachen hierfür:
    • die Vordergliedmassen tragen mehr Gewicht als die Hintergliedmassen, Amputationen der Vordergliedmassen werden deshalb von Tierärzten seltener angeboten.
    • bei Verletzungen der Vordergliedmassen sind häufig auch Brustkorb- und Lunge verletzt, was zu niedrigeren Überlebensraten führt.
    • vermutlich sind die Hinterbeine generell häufiger von Verletzungen betroffen.

Was denken die Besitzer?

„Recherchiert man im Internet“, schreibt Kollegin Dr. Gabi Rummelt aus Niederau im Schweizer Katzenmagazin, „so stösst man dort auf viele ängstliche und besorgte Fragen, auf die es viele unqualifizierte Kommentare gibt. Doch schon 199 zeigte eine Untersuchung der Universitäten Zürich und Berlin1, dass 95 Prozent der Tierhalter mit der Amputation sehr zufrieden sind: Erneut vor die Entscheidung gestellt, würden sie sich immer wieder für eine Amputation entscheiden.

Tipps für das Katzenleben nach Amputation

  • Möbel so hinstellen, dass Lieblingsplätze trotzdem erreicht werden können. Evtentuell mit Hockern und schrägen Rampen ergänzen.
  • Vorsicht vor Übergewicht, denn die Gelenke können nicht mehr symmetrisch belastet werden.
  • Freigang ist nach einer Schonzeit noch möglich, aber natürlich nicht in einer Gegend mit gefährlichen Strassen oder aggressiven Hunden.
  • „Das Klo mit hohem Rand ist bei unserem Dreirädchen sehr beliebt“, schreibt die Seite Katzentipps, „weil sie sich beim Scharren auf der Seite anlehnen kann.“

Quellen:
International Cat Care (former Feline Advisory Bureau)
1Kleintierpraxis, 44. Jahrgang, Heft 3, S. 169 bis 176)
weitere Quellen im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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