24/7 Notdienst – „Danken tut’s dir eh keiner…!“

24/7 – ist rund-um-die-Uhr-Bereitschagft noch zeitgemäß? (Grafik: tierundleben.de/concrete5))

„Selbst und ständig“ klingt abgedroschen, ist aber unter Praxisinhabern eine (noch immer) weit verbreitete Arbeitskrankheit. Lustig ist das nicht, denn meist ist das der Weg in eine fatale Selbstausbeutung – und führt nicht selten direkt in den Burnout. „Schuld“ ist meist der Notdienst.

von Henrik Hofmann

(Dies ist der Auftaktartikel einer mehrteiligen Serie zum Thema „tierärztlicher Notdienst„.)

„Früher“ war es völlig selbstverständlich, dass Tierärzte 24-Stunden-Dienste anboten. Es galt Kühe oder Pferde zu retten. Aber wer es „wagte“, wegen eines Kleintieres den Doc im Feierabend zu stören, war sich eines Anschisses sicher – und wusste, dass es (mehr) Geld kostete. Das man bezahlen musste.

Arbeitszeitgesetz gilt nicht für Inhaber

Daran hat sich vieles geändert. Deckte damals noch der Chef mit ein bis zwei Assistenten die Dienste ab, ist das heute doppelt schwierig. Zum einen schränkt das  Arbeitszeitgesetz die Wochenarbeitszeit für Angestellte stark ein. Zum anderen ist es schwierig, überhaupt noch Mitarbeiter zu finden, die nachts oder ab Freitag 16:00 Uhr freiwillig arbeiten. In kleineren Praxen sind es dann oft die Inhaber, die Notdienst schieben. Für sie gelten die Stundengrenzen des Gesetzes nicht.

Neuer Wert: Work-Life-Balance

Mit dem Generationswandel, hat sich auch die Einstellung zur Arbeit gewandelt (mehr hier): „Erfüllung“ wird nicht im, sondern außerhalb des Berufes gesucht (und gefunden). Sei es in der Familie oder bei einem Hobby. Work-Life-Balance ist ein hoher Wert.
Manchmal müssen auch Praxis – oder der Beruf – nicht genug abwerfen, um die gesamte Familie zu ernähren. Etwa, weil ein „Hauptverdiener“ da ist. Oder weil die Eltern Praxis und/oder Wohnhaus finanzieren. Oder, weil man sich eben „den Stress einfach nicht geben will“ …

Generation „Selbstausbeutung“ geht in Ruhestand

Neulich fragte eine Kollegin in einer Facebookgruppe für Tierärzte: „Liebe selbstständige Kollegen! Darf ich fragen, wieviele Tage ihr durchschnittlich im Jahr arbeitet, oder ist das sehr indiskret? Zählt ihr überhaupt mit? Aktueller Anlass ist ein anderer selbstständiger Kollege, der sich gerade in den Burnout gearbeitet hat…“

Die Generation ‚Selbstausbeutung‘ geht in den Ruhestand“, meldete 2014 die Ärztezeitung. „Die junge Generation rückt nur zögernd nach.“ Das ist sicher richtig und gilt auch in der Tiermedizin. Doch einen Unterschied gibt es zwischen den „verwandten“ Berufen: Wichtigster Anteil an fatalen Arbeitszeiten hat in der Tiermedizin der 24/7-Notdienst, der von Kliniken, aber auch von kleineren Praxen angeboten wird.

Warum Notdienst in ei(ge)ner Praxis?

Ein funktionierender Notdienst ist für Patientenbesitzer ungeheuer wichtig.

  • Er gibt Sicherheit (zum Beispiel nach Operationen), „falls doch was ist“.
  • Er macht Sinn, falls die Notdienstpraxis auch Hausarztpraxis ist. Dann liegen hier Patientendaten, Unterlagen, Befunde, Röntgenbilder usw.
  • Er schafft Vertrauen in die Leistungsbereitschaft „meines Tierarztes“. Auch die Praxen sehen/sahen den Notdienst vielfach als (unwirtschaftliches) Instrument zur Kundenbindung.

Nicht jeder kann/will in eine „anonyme“ Klinik

Von den Tierbesitzern kann oder will sich auch nicht jeder einen Klinikbesuch leisten. Auch wenn es nicht gern gehört wird: In Kliniken wird „gerne das volle Programm gefahren“ – heisst „alles gemacht“, was die Technik hergibt. Und es wird „vernünftig“ – also mindestens im zwei- bis dreifachen Satz – abgerechnet. Das tun die „Kleinen“ nicht unbedingt.

Für Praxisinhaber ist der Notdienst ein Verkaufsargument und Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kollegen.

So blöd der Spruch auch klingt: „Wir sind selbst und ständig“, so eine Kollegin. Das bedeutet, dass meistens die Inhaber – manchmal auch die Assistenten, so es welche gibt – ausserhalb der Sprechzeiten das Handy IMMER! dabei, angeschaltet und griffbereit haben.

Was so alles als „Notfall“ gilt

Was für Patientenbesitzer dann als „Notfall“ sehen, unterliegt einem sehr breiten Interpretationsspielraum. Die Regel sind tatsächlich Durchfälle, die in Wirklichkeit seit Tagen bis Wochen bestehen, man es aber Samstag Abend einfach nicht mehr mit ansehen kann. Auch Flohbefall, Juckreiz, Husten, Abgerissene Krallen gehören dazu. Sehr gerne auch nachts um drei Uhr: „Herr Doktor, mein Hund bewegt sich schon seit Stunden nicht mehr. Kann es sein, dass er tot ist?“

Dass dieser Anruf, dem „Doktor“ den Puls hochtreibt, ihn nicht mehr schlafen lässt und schließlich auch den folgenden Tag verhagelt, können sich die Tierbesitzer nicht vorstellen. Oder nicht als „schlimm“ empfinden: „Sie haben sich ja schließlich den Beruf ausgesucht, haha!“ Auch ist die Vorstellung von „Notdienst“ unterschiedlich. So denkt mancher, Notdienst bedeutet, dass 24 Stunden lang ein Tierarzt neben dem Telefon sitzt und auf Anrufe nur wartet.

Notdienst ist teuer …

Dankbar sind die Tierbesitzer für den Nachtdienst durchaus – doch häufig nur, bis es ans Bezahlen geht: Kein Geld dabei, „doppelter Satz, das ist ja Abzocke“…
Kehren sie dann zu ihrem Haustierarzt zurück, gibts dort nicht selten noch Schützenhilfe in Form übler Nachrede: Das wäre ja so alles nicht nötig gewesen und wirklich teuer … Man war zwar im Notdienst nicht für seine Patienten da. Aber dem Nachbarkollegen wird es dann halt auch nicht gegönnt.
Facebook ist dann ein weiteres Forum, in dem über „Notdienstabzocke“ geklagt wird.

… und der Preis ist hoch

„Wir haben Montags bis Samstags geöffnet und sind telefonisch immer erreichbar.“ Das ist dann der „Ausweg“, den eine andere Kollegin beschreibt. „Urlaub machen wir umschichtig mit einer Vertretung für eine der Praxen. Ich weiß, daß das kein Zustand ist und die eigene Gesundheit und Stabilität das wichtigste Gut ist, um auch weiterhin seinen Job zu machen. Aber irgendwie gelingen die Vorsätze nicht, einen Gang rauszunehmen. Auf dem Land ist es zusätzlich schwer, Entlastung in Form von Assistenten/Assistentinnen zu finden.“

Konkret heisst das: Burnout, Vernachlässigung von Körper, Geist, Ehepartner, Kindern, Suchtverhalten, psychische Störungen.

Notdienst: „Machen wir nicht“

Die einfachste Variante, dem zu entkommen, ist – Kammerordnung hin oder her – keinen Notdienst anzubieten. Schlimmstenfalls macht man sich unter Nachbarkollegen unbeliebt oder verzichtet eben auf anspruchsvollere Kunden. „Anfangs habe ich jeden Tag gearbeitet und die Wochenenden durch gemacht. Letztlich sind zwar alle froh, dass wir immer erreichbar sind, aber wirklich schätzen tut es keiner. Heute schalte ich das Telefon aus, wenn ich ins Bett gehe, am Wochenende ist mindestens ein Tag zu und ich hatte in diesem Jahr ca 50 Tage Urlaub,“ bekennt eine Kollegin. Und sie ist überzeugt: „Niemand ist sauer oder geht zum Kollegen.“
Praxen, die selber 24/7 arbeiten wissen: Das stimmt nicht!

Weitere Themen unserer „Notdienst“-Serie

werden Folgeartikel auf wir-sind-tierarzt.de erklären.

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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