Tierärztlicher Notdienst: Auf der Suche nach dem „Stein der Weisen“

Tierärztlicher Notdienst: Müssen Tierbesitzer bald lange Anfahrtswege und höhere Preise in Kauf nehmen? (Bild: Henrik Hofmann)Tierärztlicher Notdienst: Müssen Tierbesitzer bald lange Anfahrtswege und höhere Preise in Kauf nehmen? (Bild: Henrik Hofmann)

Unter Tierärzten wird der Not- und speziell der Nachtdienst immer unbeliebter. Ursachen sind häufig schlechte Erfahrungen mit Besitzern, die die Dienste ausnützen. Aber auch der Wunsch nach gesunder „Work-Life-Balance“ und „Familienverträglichkeit“. Für Besitzer und ihre Tiere wird das zum Problem werden. Die Landestierärztekammer Hessen, verweist die Tierärzte auf die Berufsordnung.

von Henrik Hofmann

Wie wichtig Tierbesitzern der Tierärztliche Notdienst ist, hat unser Artikel 24/7 Notdienst – „Danken tut’s dir eh keiner…!“ schon 2017 dargestellt.
Er hat aber auch aufgezeigt, welche Probleme den Tierärzten daraus erwachsen: Angefangen bei extremer psychischer Belastung, über Personalprobleme, den enormen Kostenaufwand bis hin zu Beschimpfungen. Dazu kommen negative Bewertungen auf Bewertungs-Portalen wie Jameda, Google oder Facebook seitens der Tierbesitzer, die für Nachtarbeit keine Zuschläge bezahlen wollen.
Seit dem hat sich die Notdienstdebatte unter Tierärzten verschärft: Tierkliniken geben ihren Klinikstatus zurück, weil sie den dafür vorgeschriebenen 24/7-Dienst nicht aufrecht erhalten können. Im Gegenzug sehen sich Tierärztliche Bezirksverbände dann gezwungen, alle Praktiker zum Notdienst zu verpflichten (wie hier in Bayern)

Eine Übersicht der Berichte auf wir-sind-tierarzt.de zum Thema „Notdienst“ finden Sie hier

Entsprechend intensiv wird in Landestierärztekammern (LTK) und auch der Bundestierärztekammer (BTK) nach einem Lösungsweg aus der Notdienstmisere gesucht – der „Stein der Weisen“ ist aber noch nicht gefunden.

Wir dokumentieren hier eine Stellungnahme von Dr. Ingo Stammberger, Präsident der LTK Hessen:

(Hinweis: Zwischenüberschriften und Verlinkungen von der Red. eingefügt)

Die Situation der Notdienste

Thema „Wochenend-, Nacht- und Notdienstregelungen“ beschäftigt nicht nur die Landestierärztekammer (LTK) Hessen. In der Regel wurden und werden „rund-um-die-Uhr“ Notdienste von Tierärztlichen Kliniken abgedeckt. Doch in den letzten Monaten und Jahren gaben Kliniken ihren Klinikstatus ab und sind damit nicht mehr verpflichtet, rund um die Uhr 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr zur Verfügung zu stehen.
Hier hat die Realität des Arbeitszeitgesetzes nun auch den tierärztlichen Berufsstand erreicht. Und dieses Arbeitszeitgesetz gibt es nicht erst seit kurzem, nur wurden in der Vergangenheit tierärztliche Kliniken und Praxen eben kaum kontrolliert.

Kliniken überlaufen, stundenlange Wartezeiten

Situation der Notdienste im Rhein-Main-Gebiet hat die LTK Hessen Ende letzten Jahres eine Umfrage unter den Praxen und Kliniken in dieser Region durchgeführt. Es wurden 268 Praxen befragt, Rückmeldungen gab es von 106 (39,6%). Notdienste werden überwiegend von Kliniken geleistet. Die Folge davon ist, dass Kliniken dann völlig überlaufen sind, stundenlange Wartezeiten für die Tierbesitzer entstehen und Kliniken, wie oben schon gesagt, ihren Klinikstatus aufgeben.

Sofortige Versorgung zum billigsten Preis?

Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig: In der Vergangenheit war es von den Tierärztlichen Kliniken durchaus gewollt, auch nachts viele Patienten zu übernehmen. Für die Praxen blieb dann nicht mehr viel zu tun. Gleichzeitig sind angestellte Tierärztinnen und Tierärzte nicht mehr bereit, lange Arbeitszeiten bei – für einen akademischen Beruf – mäßiger Bezahlung hinzunehmen. Und auch die Tierbesitzer spielen eine Rolle: Im Zeitalter von Online-Shopping, wo man rund-um-die-Uhr bestellen kann und wo alles ständig verfügbar ist, erwartet man auch bei Bagatellen eine sofortige Versorgung zum billigsten Preis.

Notdienstpflicht in der Berufsordnung

Dabei sind die gesetzlichen und berufsrechtlichen Vorgaben eindeutig:

§ 23 des Hessischen Heilberufsgesetzes besagt, „Die Kammerangehörigen, die ihren Beruf ausüben, haben insbesondere die Pflicht, … soweit sie als Berufsangehörige …ineigener Praxis tätig sind, am Notfalldienst teilzunehmen …“. Die Berufsordnung der LTK Hessen führt in § 19 (3)-(6) aus: „Jeder niedergelassene Tierarzt hat die Sicherung der Versorgung seiner Klientel an Wochenenden, Feiertagen, nachts und bei sonstigerAbwesenheit oder Verhinderung zu gewährleisten. Dies ist durch verbindliche Übereinkunft mit Nachbarpraxen/Tierärztlichen Kliniken sicher zu stellen.

Patientenbesitzer sind hierüber in geeigneter Form zu informieren. Während des Bereitschaftsdienstes muss der diensthabende Tierarzt jederzeit erreichbar sein. Wird durch kollegiale Übereinkunft keine befriedigende Lösung erreicht, muss dieKammer die tierärztliche Versorgung sicherstellen.“

Konzept für die Zukunft fehlt bislang

Die Situation der Notdienste ist für alle Beteiligten unbefriedigend, es muss ein Konzept für die Zukunft entworfen werden. Die beschriebene Situation ist dabei nicht auf Hessen beschränkt. Auf der Ebene der Bundestierärztekammer wurde ein Arbeitskreis „Notdienste“ eingerichtet, der sich mit diesem Sachverhalt befasst und ein entsprechendes Konzept erarbeiten soll.
(Anm.d.Red.: Auch auf dem 28. Deutschen Tierärztetag im September in Dresden ist das Notdienstproblem ein Thema)

Der „Notdienst“ ist für Notfälle da! Und muss bezahlt werden…

Doch abzuwarten, bis der „Stein der Weisen“ gefunden worden ist, ist keine Strategie. Den Tierärztinnen und Tierärzten, die nach wie vor ihren Notdienst leisten – und es gibt auch viele Landkreise in Hessen, wo das nach wie vor hervorragend, kollegial und geräuschlos funktioniert – muss bewusst sein, der „Notdienst“ ist für Notfälle da! Und wenn diese nachts und an Wochenenden kommen, dann muss dies angemessen vergütet werden. Gute Arbeit muss gut bezahlt werden.
Dr. Ingo Stammberger
Präsident der Landestierärztekammer Hessen

Quelle: Landestierärztekammer Hessen

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Über den Autor

Dr. Henrik Hofmann

Dr. Henrik Hofmann (hh) betreibt seit 1995 eine eigene Tierarztpraxis in Butzbach. Er ist Fachtierarzt für Allgemeine Veterinärmedizin und hat die Zusatzbezeichnung Akupunktur. (www.tierundleben.de) Als Autor und Redakteur hat Hofmann in etlichen Zeitschriften und Zeitungen rund ums Tier geschrieben. Bei wir-sind-tierarzt.de betreut er schwerpunktmäßig Medizinthemen, den Bereich Praxismanagement und die Rubrik Mensch-Tierarzt. Außerdem steuert er die SocialMedia-Aktivitäten und leitet die Bildredaktion. Zuletzt ist sein Buch „Tieren beim Sterben helfen – Euthanasie in der Tierarztpraxis“ erschienen. Kontakt: henrik.hofmann(at)wir-sind-tierarzt.de
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