Initiative Tierwohl: Tierschutzbund steigt aus

Freilandhaltung für alle? Kann und will die Initiative Tierwohl nicht leisten. Scheitert sie an überzogenen Erwartungen oder wirtschaftlichen Realitäten? (Foto: © TMbux/panoramio)

Ein wenig mehr Tierwohl für Viele oder viel Tierwohl für nur Wenige – das ist momentan die zentrale Streitfrage bei der Branchen Initiative Tierwohl. Der Deutsche Tierschutzbund kündigt jetzt die Mitarbeit im Beirat auf: In Sachen Tierschutz gehe es nicht voran. Woran krankt das ambitionierte Projekt der Wirtschaft?

von Jörg Held

Zur Ruhe kommt die Initiative Tierwohl (ITW) nicht: Zum Start konnte nicht mal die Hälfte der interessierten Bauern mitmachen – zu wenig Geld. Zum Jahresbeginn schien es, als ob der Handel sich über die nötigen Budgeterhöhung entzweien würde. Jetzt steigt der Deutsche Tierschutzbund aus dem Beirat aus, weil die Tierwohl-Kriterien ihm nicht weit genug gehen.

Logo Initiative Tierwohl

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Das Problem des Projektes: Für einen Befreiungsschlag in der medialen Schlacht um die öffentlichen Wahrnehmung, wie tiergerecht die Nutztierhaltung in Deutschland ist oder werden kann, reicht das Budget nicht aus. Ob der Handel nun an der Kasse vier oder künftig 6,25 Cent* pro verkauftem Kilo Fleisch verlangt und an die teilnehmenden Nutztierhalter durchreicht, spürbar mehr Platz, mehr Auslauf oder längere Mastzyklen schafft das nicht unmittelbar. Verbesserungen bei Licht, Luft, Wasser zählen für die Öffentlichkeit nicht.

Zu wenig Geld – zu hohe Erwartungen

Denn auch wenn die ITW 100 Millionen jährlich allein für den Bereich der Schweinehaltung bereitstellt, klingt das nach viel, ist aber letztlich eher der berühmte Tropfen. Es brauche fünf Milliarden Euro, um die deutsche Nutztierhaltung zukunftsfähig zu machen, schätzt der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums in seinem Agrargutachten. Nur dann können die Nutztierhaltung  kompatibel werden mit den geänderten Ansprüchen der Gesellschaft an die Tierhaltungsbedingungen. Die wachsen stetig, nur die Bereitschaft dafür mehr zu bezahlen, die wächst nicht im gleichen Maße mit.

Tierschutzbund steigt aus

So gesehen hat der Tierschutzbund recht: Der „bunte Strauß an Einzelmaßnahmen“ – bei dem schon etwas salopp formuliert „eine Handvoll Stroh“ zum Problem werde – verändert die Haltungsbedingungen nicht schnell und nachhaltig genug. Für Tierschutzbundpräsident Thomas Schröder bietet die ITW deshalb „keine langfristige Perspektive für den Tierschutz. Aus Sicht des Verbandes setzt die ITW weiterhin auf Quantität statt Qualität.“

Nur: Diese Quantität der kleinen Schritte war und ist das ausdrückliche Ziel der Initiative. Das wußte auch der Tierschutzbund. Wenn die ITW also sagt, dass „bereits heute rund 12,8 Mio. Schweine und 242,4 Mio. Hähnchen und Puten von Maßnahmen profitieren, die von der Initiative Tierwohl gefördert werden“, hat eben auch sie recht. Eine auf Effektivität getrimmte Branche

Mit Pressemeldungen oder vorab per Zeitungsinterview erklären Tierschützer (hier) und die Initiative (hier) deshalb ihre Positionen. Es bleibt das Problem der Außenwirkung: Für einen Tierschutzverband, ist es imageschädlich, wenn er bei einem Projekt dabei ist, dass immer wieder kritisiert wird. Die Initiative selbst erfährt immer nur dann öffentliche Aufmerksamkeit, wenn es kriselt – wie eben jetzt.

Initiative auch in der Wirtschaft ungeliebt?

Die "Meistermetzger" von Real können sogar noch besser verramschen als Netto: 50 % Rabatt. (© ISN)

Der Preiskampf der Handelsketten mit Fleisch führt Tierwohlanstrengungen oft ad absurdum. (© ISN)

Wirklich mit Engagement bekennen sich nämlich letztlich auch die Einzelhandelskonzerne nicht zur Initiative Tierwohl: In der öffentlichen Debatte verteidigen eher Bauernverband oder Schweinhalter und eben die ITW selbst das Konzept. Aus dem Handel kommen aber auch schon mal Forderungen wie: Bevor man mehr einzahle, müssten die Schlachthofbefunde zeigen, dass es den Tieren jetzt besser gehe oder der Bauernverband sei an Problemen der Initiative Tierwohl Schuld.
Kein Wunder: Die an der ITW beteiligten Konzerne führen untereinander einen knallharten Preiskampf um jeden Kunden – auch mit Dumpingpreisen beim Fleisch. Geld in ein gemeinsames Projekt zu stecken, wirkt da fast kontraproduktiv. Vordergründig würden vor allem die Discounter Aldi und Lidl profitieren, wenn denn beim Verbraucher ankäme: „Flächendeckend ist das Tierwohl in der Fleischproduktion gut“. REWE oder die „lebensmittelliebende“ EDEKA aber müssen sich abheben, um teurer sein zu dürfen.
Entsprechend arbeiten alle Händler an eigenen „Tierwohlkonzepten“. Auf die haben sie selbst viel direkteren Einfluß als auf die ITW, denn ihre Lieferanten können sie über Einkaufsvereinbarungen zu bestimmten Haltungsbedingungen verpflichten – und den Preis dafür selbst festlegen.

Zufälliger Zeitpunkt?

Spekulieren kann man auch, ob es nun Zufall ist, dass der Tierschutzbund aus der Brancheninitiative gerade dann aussteigt, wenn Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt ein staatliches Tierwohllabel für 2017 ankündigt. Der DTB hat schon mehrfach angeboten, das von ihm entwickelte zweistufige Tierwohllabel-Projekt kostenlos an den Staat abzutreten.
Mit EDEKA und anderen Handelskonzernen soll der Tierschutzbund außerdem ebenfalls an einem Tierwohllabel für Rinder arbeiten, für das schon Einkaufsvorgaben bekannt wurden. Und auch Lidl bietet verstärkt Geflügelprodukte mit Tierschutzbund-Label an.
Letztlich agieren die Tierschützer also wie die Händler: Sie konzentrieren die Kräfte dort, wo sie selbst den größeren Einfluss – und Nutzen – haben.

wir-sind-tierarzt.de meint:

(jh) – Fazit: Als Befreiungsschlag in der Tierwohldebatte ist die Initiative Tierwohl medial gescheitert. Dass die Wirtschaft mit ihr tatsächlich mehr Tierwohl in Schweine- und Geflügelställen schafft, kommt beim Verbraucher einfach nicht an: In der Fläche verändert das Geld aus der Umlage zwar schon etwas zum Besseren – aber eben nur in Teils sehr kleinen Schritten. Zwar profitieren davon absolut gesehen viel, viel mehr Tiere als die wenigen in Labelprogrammen oder Biohaltungen (einstelliger Marktanteil), doch die Öffentlichkeit und selbst Berufspolitiker registrieren es nicht – oder bringen all die Projekte durcheinander (siehe Foto unten).

Meine Befürchtung: Weil die einzelnen Handelskonzerne also imagemäßig nicht profitieren, ziehen sie das Projekt zwar bis zum Ende der momentan vereinbarten Vertragslaufzeit 2020 durch, stocken das Budget hier mal etwas auf, schärfen dort die Kriterien noch etwas nach, denn ein Scheitern wäre der Imagetotalschaden.
Aber so überbrücken so nur die Zeit, bis der Staat entweder klare Vorgaben macht, was denn nun in Deutschland als „tiergerechte Haltung“ gilt. Oder bis sie ihre jeweils eigenen Label-Programme soweit auf der Schiene haben, dass sie damit „für sich“ werben können – und nicht andere ebenfalls oder gar mehr profitieren. 

Gemeinsam konsequent etwas für die Tiere tun, das passt eben nicht in unsere Wirtschaftswelt. Das aber war der Charme Initiative Tierwohl: Per Umlage das Niveau insgesamt etwas anheben, damit es vielen Tieren etwas besser gehen kann. Zusätzlich mehr zu tun, etwa über Labelprogramme, bleibt jedem Wirtschaftsteilnehmer weiter unbenommen.

Am Ende aber muss es sich immer auszahlen: Wenn schon nicht in Cent und Euro, dann wenigstens in gesellschaftlicher Anerkennung. Die gibt es aktuell für keinen: Nicht für die Tierschützer, wenn sie beim Projekt dabei sind, und auch nicht für den Handel, weil die Erfolge der Initiative zu wenig sichtbar sind. Aussteigen ist da fast schon konsequent. Schade. Ob der Tierschutzbund da der letzte ist – oder eher der erste? 

Zu viele „Tierwohlaktionen“ – Grüne Bundestagsabgeordnete verwechselt Brancheninitiative mit Ministerprojekt. (screenshot: twitter)

Quellen im Text verlinkt

*erhöhter Beitrag gilt erst von 2018 bis 2020 (korrigiert 17.9.2016)

Beitragsbild: TMbux/panoramio

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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