12.000 tote Rinder – Das Wetter und die Frage der Haltung

Highland-Rinder im SchneeHighland-Rinder sind gut isoliert gegen Kälte, ohne Windschutz im Schneesturm aber ebenfalls chancenlos. (Foto:©WiSiTiA/aw)

Der Schneesturm „Goliath“ hinterließ Ende Dezember 2015 im Westen der USA eine bis dahin unvorstellbare Spur der Verwüstung. Besonders betroffen waren im Freien gehaltene Tiere: Mindestens 12.000 Mast- und Muttertiere wurden getötet, 40.000 gelten noch als vermisst. Jetzt beginnt das Nachdenken über die „richtige“ Haltungsform.

(aw) – Es war die Kombination aus eisigen Temperaturen, starkem Schneefall und noch stärkerem Wind, die die Tiere getötet hat. Vor allem extensiv auf Weiden gehaltene Fleischrinder haben sich auf der Suche nach Schutz vor dem Schneesturm verlaufen, blieben aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse in Schneewehen stecken, fielen in Gräben oder verletzten sich anderweitig – in der Folge sind sie dann schlicht erfroren. (Ein Video mit dem bitteren Erfahrungsbericht eines betroffenen Farmers über einen früheren Schneesturm (2013) finden Sie am Ende des Artikels)

Milchkühe erfroren in „Open Lots“

Doch auch bei den Milchkühen in den sogenannten „Open Lots“, sind die Verluste hoch. Diese „Open Lots“ sind eine sehr kostengünstige Haltungsform, bei der unter freiem Himmel lediglich Liegeboxen und Fressgitter in umzäunten Anlagen kombiniert werden – ohne jeden weiteren Wetterschutz.
Binnen kurzer Zeit bildeten sich entlang der Zäune und Gatter hohe Schneewehen, in denen die Tiere stecken blieben und erfroren. Ein Farmer beschrieb, dass seine Arbeiter unterbrochen versuchten während der drei Tage, die der Schneesturm dauerte, Futter für die Tiere zu verteilen. Doch die Windböen waren so stark, dass nur etwa die Hälfte überhaupt auf den Boden fiel, der Rest wurde sofort verweht. Da die Fressgitter nicht zugänglich waren, mussten die Arbeiter das Futter direkt in den Laufwegen und Liegeboxen verteilen. Am besten überstanden die Farmen den Sturm, die so viele Tiere wie möglich in ihren Melkständen (also in festen Gebäuden) einpferchten  – und eben die, die ohnehin ihre Kühe in überdachten Ställen halten.

Kälberiglus weggeweht

Highland-Rinder im Schnee

Highland-Rinder sind gut isoliert gegen Kälte, ohne Windschutz im Schneesturm aber ebenfalls chancenlos. (Foto:©WiSiTiA/aw)

Auch Kälber, die in Iglus im Freien untergebracht waren, hatten selten Überlebenschancen. Entweder füllten sich die Iglus mit Schnee oder sie wurden schlicht weggeweht. Das Szenario war stets das Gleiche: Umherirrende Tiere, die aufgrund des Sturms die Orientierung verloren und dann irgendwo im Schnee stecken blieben und erfroren.

Langzeitschäden durch Erfrierungen und Stress

Mittlerweile zeigen sich bei den Milchkühen auch erhebliche Langzeitfolgen: erhöhte Zellzahlen, erfrorene Zitzen und Euter mit entsprechenden Milchverlusten, außerdem generelle Konditionsverluste und hohe Tierausfälle. Dr. Paul Biagiotti, Großtierkollege aus Jerome in Idaho sieht zur Zeit viele geschädigte Euter und langsam heilende Zitzen. Solche Kühe würden normalerweise entweder geschlachtet oder trocken gestellt. Doch das können sich die Farmer momentan nicht leisten, da es keine Ersatztiere gibt.

Fazit: „Be prepared“ – no „Open Lots“

Biagiottis Fazit lautet: „Be prepared“, also immer auf den Notfall vorbereitet sein. Für seine Milchviehhalter, die ihren Kühen beim Sterben zusehen mussten gilt: Möglichst keine „Open Lots“ mehr. Wind-, Regen- und Kälteschutz werden wohl selbst in der Halbwüste ein Muss.

Wetterkapriolen – Konsequenzen für Deutschland

Auch wenn in Deutschland derartige Wetterkapriolen (noch) eher unwahrscheinlich sind, stellt sich die Frage: Wie billig dürfen Ställe für Tiere sein? Der vergangene heiße Sommer brachte in Europa eher das gegenteilige Problem: Schlecht isolierte, sprich billige Ställe heizten sich enorm auf. Das ist nicht nur für Puten eine tödliche Gefahr. Auch Kühe und Schweine leiden unter Hitzestress, genau wie ihnen kalte Temperaturen und Zugluft im Winter zusetzen. „Eiskalte“ Melktechnik in schlecht isolierten Gebäuden verursacht ebenfalls erhebliche Langzeitschäden bei den Tieren. Und das Gerücht, dass Kälbern Kälte nichts ausmacht, wird durch erfrorene Neugeborene jeden Winter auf ’s Neue widerlegt.

wir-sind-tierarzt.de fragt: Was wollen wir?

(aw) – Wie bei so vielen „Streitthemen“ der landwirtschaftlicher Nutztierhaltung,  gilt es auch beim Wetterschutz abzuwägen: Was wollen wir? Eine möglichst naturnahe Haltung im Freien, aber mit entsprechenden Tierverlusten? Die sind auch dadurch bedingt, dass moderne Leistungstiere mindestens so empfindlich auf Temperaturschwankungen reagieren wie Menschen (die mittlerweile am liebsten in bestens isolierten KfW 40-Häusern leben). Oder ist es den Tieren letztlich doch „wohler“ in „Tierfabriken“?
Das ist nicht nur ein Wetterthema. Es betrifft auch Parasitenbefall und Tierseuchenrisiken. Oder auch Tierverluste: Ist es (für die Tiere) besser, wenn beispielsweise bei der Geflügelhaltung im Freien rund 30 Prozent von Fressfeinden (Greifvögel, Füchse, etc.) getötet werden. Oder sind 10 bis 20 Prozent Verluste in langweiligen aber sicheren Ställen „humaner“?
Ob der „Verbraucher“ hierbei der qualifizierte Entscheider ist, scheint mir zwar fraglich. Zu oft erlebe ich hier in Oberbayern, dass Touristen sich schon bei einer hauchdünnen Schneedecke oder matschigen Wiesen über „Tierquälerei“ beklagen. Aber der mündige Verbraucher sollte zumindest nicht allein auf Basis von grünen Idylle-Bildern sein Urteil fällen, sondern die Realitäten kennen: Also wie eine Freilauffläche nach fünf Tagen Regen wirklich aussieht, wenn 100 Schweine sie umgepflügt oder 3.000 Biohühner auf ihr gescharrt haben. Und ja, er soll auch die Bilder aus vollbelegten  Ställen kennen – aber hier dann fairerweise auch nicht nur die Extremaufnahmen der im halbdunklen mit Wackelkamera gefilmten Tierrechtler. Wahrheit und Transparenz ist gefragt – in beide Richtungen.
Wir – und auch die Amerikaner – werden uns entscheiden müssen: Feste Ställe für die Tage mit Wetterkapriolen anzulegen und ansonsten extensiv zu wirtschaften, ist nicht finanzierbar. 

Auf das Video wurden wir via agrarblogger.de aufmerksam. Danke.

 

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Über den Autor

Annegret Wagner

Dr. Annegret Wagner (aw) hat in Gießen Tiermedizin studiert und arbeitet seit 1991 in der Großtierpraxis; seit 2005 niedergelassen in eigener Praxis mit Schwerpunkt Milchrind im Raum Rosenheim. Seit 2006 arbeitet sie auch als tiermedizinische Fachjournalistin. So hat sie für die VETimpulse die Nutztierthemen betreut und übernimmt diese Aufgabe auch bei wir-sind-tierarzt.de. Um nicht zum Mia-san-mia-Bayer zu mutieren, schaut sie intensiv über den Alpenrand hinaus, vorzugsweise ins englischsprachige Ausland. Kontakt: annegret.wagner(at)wir-sind-tierarzt.de
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