Es könnte eine Signalwirkung haben: Das „Nacktkatzen-Zuchtverbot“ des Berliner Verwaltungsgerichtes wendet erstmals den Qualzucht-Paragraphen des neuen Tierschutzgesetzes konsequent an: Eine Züchterin soll ihren Kater „Willi“ kastrieren lassen und so die tierschutzwidrige Nachzucht beenden. Doch erst die Berufung entscheidet endgültig.
(jh) – Im Berliner Fall hatte das Veterinäramt Spandau einer Züchterin die weitere Zucht von Canadian-Sphynx-Katzen (sogenannten Nacktkatzen) untersagt und sie aufgefordert den Zuchtkater kastrieren zu lassen. Die Klage der Züchterin gegen diese Anordnung hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung aber Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht zugelassen. Die legte die Züchterin auch ein und bis zur endgültigen Entscheidung darf „Willi“ weiter zeugen und hat das auch schon während des Verfahrens getan: Die drei Nacktkatzen Damen Sadira, Enola und Rumba.
Sieg des Tierschutzes …
Trotzdem setzen Tierschützer große Hoffnungen auf den Fall – sprechen sogar von einem „Sieg des Tierschutzes“ –, denn es ist die erste Gerichtsentscheidung auf Basis des 2013 überarbeiteten „Qualzucht-Paragraphen“ im Tierschutzgesetz (§ 11 b TSchG), der folgenden Wortlaut hat:
(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten … , soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse … erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung
- bei der Nachzucht … oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder
- bei den Nachkommen
a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.
(Hervorhebung durch die Redaktion)
Das Berliner Gericht argumentiert denn auch: „Nackkatzen“ hätten aufgrund einer Genveränderung keine funktionsfähigen Tasthaare. Diese seien aber ein wichtiges Sinnesorgan, dass der Orientierung und Kommunikation der Katzen diene – so erklärte es als „tierfachärztlicher Gutachter“ der Wilmersdorfer Tierarzt Dr. Thomas Göbel schriftlich und auch in der mündlichen Verhandlung. Das genetisch bedingte Fehlen sei als „Schaden und Leiden anzusehen“, folgerte das Gericht daraus, und die zuständige Behörde dürfe deshalb das im § 11 b aufgeführte „Unfruchtbarmachen von Wirbeltieren“ anordnen, da die Zucht gegen das Tierschutzgesetz verstößt.
… oder zahnloses Tierschutzgesetz?
Nur sind Gutachten bei diesem Thema kein Erfolgsgarant: Schon 1999 hatte ein „Qualzucht-Gutachten“ empfohlen, aus eben diesen Gründen „Nacktkatzen“ als „Qualzucht“ anzusehen und ein Zuchtverbot auszusprechen. Doch der alte, seit 1986 im TSchG stehende Paragraph 11 b erwies sich in Verfahren bis hin zum Bundesverwaltungsgericht bislang als zahnlos. Er sei „praktisch unvollziehbar gewesen,“ beklagt sich die Hessische Landestierschutzbeauftragte, Dr. Madeleine Martin, die mehrere Prozesse (zu anderen Qualzuchtfällen) geführt hat.
Verbindliche „Qualzucht-Definitionen“ nötig
Wichtig ist im neuen Paragraphen der konkretisierte Halbsatz, „soweit züchterische Erkenntnisse erwarten lassen, dass …“. Die alte Formulierung war mit einem „wenn der Züchter damit rechnen muss, dass …“ noch schwammiger. Für Nichtjuristen klingt es nach Wortklauberei, doch die „Erkenntnis“, dass die Katzen ohne Fell und ohne Tasthaare geboren werden, haben die Züchter, denn sie wissen um den Gendefekt und vermehren ihn gezielt als Rassemerkmal.
Deshalb hoffen Tierschützer auf einen Bestand der Berliner Entscheidung, doch so richtig zufrieden sind sie auch mit der 2013er-Formulierung nicht. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, fordert eine Verschärfung und Konkretisierung des § 11 b. Er sieht „nur eine richtige Einzelfallentscheidung“ und „ein erfreuliches Signal für den Tierschutz“. Doch Veterinärämter und Gerichte bräuchten dringend eine verbindliche Definition von Qualzuchtmerkmalen.
Thema Qualzucht beim 27. Deutschen Tierärztag in Bamberg
Auch der 27. Deutsche Tierärztetag in Bamberg (28. bis 30. Oktober) will klären, „weshalb in diesen Fällen das Tierschutzgesetz und das Qualzuchtgutachten nicht greifen und warum extreme Zuchtziele wie Haarlosigkeit oder Kurzköpfigkeit nicht verboten werden“.
„Leider zeigen sich bis heute viele Zuchtverbände und Züchter immer noch sehr uneinsichtig!“ stellt dazu Dr. Martin fest. „Ich hoffe nun, dass die letzten Starrköpfe erkennen, dass es Zeit zum Umdenken ist!“
Hessens Tierschutzbeauftragte appelliert an sämtliche Vollzugsbehörden in Deutschland endlich den § 11 b des Tierschutzgesetzes entsprechend den lange vorliegenden Gutachten und wissenschaftlichen Arbeiten anzuwenden und die notwendigen Zuchtverbote zu erlassen: „Hunde, die zuchtbedingt nicht schmerzfrei laufen, Katzen, die kaum atmen können, Rassegeflügel mit Hirnschäden oder Ziervögel mit Knochendeformationen – alles erschaffen aus absurden Schönheitsidealen verantwortungsloser Züchter – das muss jetzt endlich der Vergangenheit angehören.“ Sie sieht das Berliner Urteil als „Sieg des Tierschutzes über private Züchterinteressen“.
Nachtrag: 1.10.2015: Auch die Bundestierärztekammer begrüsst die Berliner Entscheidung (Bericht hier), hält aber fest, dass auch Tierhalter Verantwortung für Qualzuchten haben, denn: Die Nachfrage nach solchen Tieren bestimme die Zucht.
Ergänzender Hinweis:
Die Entscheidung des Berliner Gerichts zielt unmittelbar nur auf die genetisch bedingt fehlenden Tasthaare als Sinnesorgan. Dass Nacktkatzen ansonsten kein Fell haben, erwähnt die Pressemeldung nicht. Tierschützer halten aber auch das für tierschutzrelevant weil:
Allgemeine Haarlosigkeit bedingt zudem eine Störung der Wärmeregulation, was auch daran zu erkennen ist, dass die Tiere einen erhöhten Stoffwechsel haben und mehr fressen müssen als behaarte Katzen. Ein Katzenleben mit regelmäßigem Freigang, ohne die Gefahr schnell zu frieren, leicht verletzt zu werden oder einen Sonnenbrand zu bekommen, ist für diese Tiere oftmals nicht möglich.