Jahrzehntelang hat die Rinderzucht fast ausschließlich auf ein Merkmal geachtet: die Milchleistung. Negative Entwicklungen bei der Fruchtbarkeit, dem Fundament oder der Nutzungsdauer wurden billigend in Kauf genommen. In den letzten Jahren mehren sich bei Fleckviehkälbern außerdem Wachstumsstörungen verschiedener Genesen. wir-sind-tierarzt.de gibt einen Überblick über die Erbkrankheiten.
von Annegret Wagner
In der Fleckviehzucht gibt es mittlerweile drei verschiedene Erbkrankheiten, die einen Klein- oder Minderwuchs bewirken.
Zwergwuchs (DW, Dwarfism)
Schon seit längerer Zeit bekannt ist der Zwergwuchs (DW = dwarfism). Mittlerweile ist es möglich, die genetischen Ursachen zu identifizieren und so ein undifferenziertes Merzen aller Anlageträger zu vermeiden. In einer neuen Untersuchungswelle der Besamungsstation Oberösterreich wurden kürzlich dreißig Kälber mit Zwergwuchs und Kümmern untersucht. Der Bulle „Wille“ ist für die meisten Kälber mit Zwergwuchs verantwortlich. Das Erscheinungsbild seiner erkrankten Nachkommen, die alle den DW-Haplotyp von ihm und nicht von ihren Müttern geerbt haben, ist sehr einheitlich: geringe Geburtsgewichte (15-20 kg), spitze, dreieckige Kopfform mit gerader Nasenlinie und häufig Unterkieferverkürzung.
Zeitgleich wurde vom Lehrstuhl für Tierzucht der TU München eine Genom-Sequenzierung des Bullen „Polzer“ und zwei Zwergwuchskälbern vorgenommen. Die Analyse der Sequenzdaten zeigte, dass bei Polzer eine heterozygote Mutation im Gen GON4L besteht und bei den beiden Zwergwuchskälbern eine homozygote Mutation an diesem Gen.
FH2 (Fleckvieh Haplotyp 2)
Bei den intensiven Untersuchungen des Zwergwuchses sind die Wissenschaftler auf eine zweiten Gendefekt gestoßen, der zu Minderwuchs führt, aber an einem völlig anderen Genort vorkommt: Der Fleckvieh Haplotyp 2 (FH2) ist bei homozygotem Vorkommen mit starkem Minderwuchs assoziiert. Der Haplotyp ist auf dem ersten Rinderchromosom lokalisiert und kommt bei rund vier Prozent der typisierten Tiere vor, die über fünf Jahre alt sind – allerdings nie homozygot. Vermutlich ist das homozygote Auftreten in der Regel einem rezessiven Letalfaktor gleichzusetzen. Bis jetzt konnten erst sechs jüngere Tiere mit homozygoter Anlage identifiziert werden. Diese Tiere blieben im Wachstum deutlich zurück und wogen trotz optimaler Fütterung im Alter von einem Jahr nur rund 250 kg. Im Gegensatz zu den „Wille“-Nachkommen hatten die FH2-Träger ein normales Geburtsgewicht und keine veränderte Schädelform. Mutationen an dem entsprechenden Genort wurden auch bei Menschen und Mäusen gefunden und gehen dort ebenfalls mit Minderwuchs und Rachitis einher.
ZDL (ZinkDefizienzLike Syndrom, zinc deficieny like syndrome)
Ein weitere neues Phänomen, das zu Minderwuchs führen kann, ist das ZinkDefizienzLike-Syndrom (ZDL). Die Erkrankung wird durch eine Mutation an PLD4 ausgelöst. Reinerbig erkrankte Kälber zeigen Symptome wie bei einem Zinkmangel, also in erster Linie entzündliche Hautveränderungen im Kopf und Halsbereich. Bisher konnte noch kein adultes Rind mit homozygoter Anlage gefunden werden. Das liegt vermutlich daran, dass erkrankte Kälber in der Regel nicht älter als sechs Monate werden. Die Entzündungen der Maulschleimhaut führen zu schlechter Futteraufnahme, aber selbst bei gutem Appetit nehmen die Kälber kaum zu und wachsen nicht. Eine ZDL-Erkrankung ist für die betroffenen Tiere mit Schmerzen und Leiden verbunden. Landwirte sollten daher unbedingt darauf achten, dass durch ihre Bullenauswahl keine homozygoten Kälber entstehen können.
Verursacher-Bullen züchten weiter
Trotz finanzieller Schäden für die Landwirte und Leiden der betroffenen Kälber, werden die Träger-Bullen nicht aus der Zucht genommen. Die Besamungsstationen befürchten Rückschläge beim Zuchtfortschritt und appellieren daher an die Landwirte, bei der Bullenauswahl darauf zu achten, dass Trägertiere einzelner Krankheiten nicht mehrfach im Stammbaum erscheinen.