Groß gleich schlecht; klein gleich gut? Die These wird bei Tierhaltungen immer wieder aufgestellt und mit dem Schlagwort „Massentierhaltung“ vermischt. Für Rinderbetriebe ist das nicht zwingend, sagt die kanadische Professorin Martina von Keyserlingk: Technik und Betreuung können in Grossbetrieben sogar besser sein; eindeutige Abstriche gibt es aber beim Weidegang.
(aw) – Sind in großen landwirtschaftlichen Milchviehbetrieben die Tiergesundheit und die tiergerechte Haltung automatisch schlechter als in kleinen Betrieben? Mit dieser Frage haben sich Marina von Keyserlingk und Dan Weary von der University of British Columbia (Kanada) beschäftigt. Ihr Fazit fällt gemischt aus.
Zunächst haben sie drei Untersuchungsschwerpunkte festgelegt, die sie für wichtig halten:
- Ist die zunehmende Technisierung in großen Betrieben schlecht für die Kühe?
- Sinkt die Betreuungsqualität mit der zunehmenden Tierzahl pro Arbeitskraft?
- Werden bestimmte Maßnahmen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen (Weideauslauf) in großen Betrieben unmöglich?
Technologie: Kein Gegensatz zu tiergerechter Haltung
Die Technisierung, die dem Betrachter in modernen Ställen sofort ins Auge fällt, beschränkt sich in der Regel (in Nordamerika) auf den Melkstand. Es ist für Außenstehende irritierend, wenn der Melker nicht viel mehr von der Kuh sieht als die Beine und bestenfalls das ganze Euter. In der Anbindehaltung (die auch in den USA und Kanada auch immer noch existiert) dagegen sieht er das ganze Tier.
Die beiden Autoren verweisen aber darauf, dass die Kühe im Laufstall mehr Freiheiten haben als in der Anbindehaltung: Sie können sich frei bewegen, ihr Sozialverhalten ausleben, sich putzen und darüber entscheiden, wo sie liegen wollen.
Moderne Technologie steht daher nach Ansicht der Autoren nicht im Gegensatz zu einer tiergerechten Haltung.
Tierkontakt hängt am Betreuer, nicht an Betriebsgröße
Den zweiten Aspekt betrachten die Kanadier zunächst aus der Perspektive der Tier-Mensch-Beziehung. Für Außenstehende ist eine enge Bindung von Mensch und Tier ein wichtiger Indikator, um die Qualität der Tierbetreuung zu messen. Die Autoren zitieren hierzu eine Studie aus Österreich, in der in 35 Betrieben die Fluchtdistanz von Milchkühen bestimmt wurde. Unabhängig von der Betriebsgröße lag diese zwischen 0 (Menschen können die Tiere berühren ohne dass sie zurückweichen) und zwei Metern (Tiere meiden den Kontakt). Keiner dieser Testbetriebe hatte mehr als 100 Kühe, für nordamerikanische Verhältnisse sind das keine großen Tierzahlen.
Von Keyserlingk und Weary bewerten den Tierkontakt (hier u.a. die Fluchtdistanz) deshalb als betriebsspezifischen Faktor, der vom Tierbetreuer (Landwirt) abhängig ist und nicht von der Betriebsgröße.
Großbetriebe mit mehr Möglichkeiten
Ergänzend zitieren die Autoren statistische Erhebungen des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums (USDA). Demnach haben größere Betriebe häufiger spezielle Abkalbebereiche, es findet eine regelmäßige Geburtsüberwachung statt und die Kälber erhalten nach der Geburt schneller Kolostrum als in kleineren Betrieben. Auch wird das Kolostrum in der Regel unter strengeren hygienischen Bedingungen gewonnen als in kleineren Herden.
Selbst wenn diese einzelnen Aspekte nicht unbedingt mit schlechterer Tiergesundheit verknüpft sein müssen, sind sie doch in der Summe ein wichtiges Indiz für eine gute Haltung.
Beratung: Hohe Akzeptanz für Tierärzte
Die Autoren betonen auch, dass die Qualität der Beratung von Tierhaltern für die Tiergesundheit eine große Rolle spielt. In Nordamerika hat der Tierarzt als Berater einen deutlich höheren Stellenwert als in Deutschland. Gerade große Betriebe pflegen einen engen Austausch mit ihren Tierärzten, während kleinere Betriebe eher selten auf die Beratung durch einen Tierarzt zurück greifen, hat das USDA festgestellt.
Von Keyserlingk und Weary sind daher der Ansicht: Aus der Anzahl der zu betreuenden Tiere pro Person ist kein zwingender Rückschluss auf die Qualität der Betreuung möglich.
Minuspunkt: Je größer der Betrieb, desto weniger Weidegang
Im Hinblick auf Weidegang gibt es vom USDA allerdings eine eindeutige Statistik: Je größer der Betrieb, desto seltener wird den Kühen Weidegang angeboten. Während etwa 80 Prozent der kleinen Kuhbestände (< 30 Kühe) Weidegang haben, liegt dieser Anteil bei Herden jenseits von 500 Kühen bei unter fünf Prozent.
Da Weidegang für viele Verbraucher und Tierhalter als Garant für eine gute Lebensqualität gilt, bedeuten die Zahlen, dass mit zunehmender Betriebsgröße tatsächlich Abstriche im Bezug auf eine tiergerechte Haltung gemacht werden.
Fazit: Nicht gegen das Wachstum stemmen
Das Fazit der beiden Kanadier lautet daher, dass es keinen Sinn macht, die laufende Entwicklung hin zu größeren Tierbeständen zu verhindern. Stattdessen sollte generell in allen Betrieben mehr Wert auf eine tiergerechte Haltung gelegt werden, um die Lebensbedingungen der Kühe zu verbessern.