Fleischlos leben – ein medialer Boom und die Suche nach harten Zahlen

sind Reggies auch Kleingärtner?

Kaum ein Tag vergeht ohne Erfolgsmeldung von der Fleischlos-Front. Mindestens eine gefühlte Mehrheit der Bevölkerung (englisch: Moral Majority) hat mittlerweile Fleisch und Wurst durch Tofu und Hafergrütze ersetzt. Veggie ist Trend. Eine Glosse ist auf der Suche nach den harten Zahlen.

Ein Gastbeitrag von Thomas Wengenroth aus Michelstadt

Der Bevölkerungsanteil der Vegetarier in Deutschland steigt und steigt, das meldet seit Jahren der Vegetarierbund (VEBU), zunächst aber weniger dramatisch:

  • 2009: 5-6 Mio.
  • 2010: 6 Mio.
  • 2011: 6 Mio.

Doch dann, im Juni 2012, „ernähren sich etwa acht Prozent der Bevölkerung bereits vegetarisch“. Das wären bei einer Gesamtbevölkerung von damals 80,5 Millionen immerhin 6,44 Mio. Vegetarier gewesen.

Am 1. Oktober 2012 ist dann zwar wieder von „ca. 6 Mio.“ zu lesen, und es werden zugleich „sieben bis acht Prozent der Bevölkerung“ genannt. Das passt zwar nicht so recht zusammen – aber gut. Bis zum 15. Oktober 2012 explodiert die Zahl praktisch „nach Angaben ihres Dachverbandes auf sieben bis acht Millionen“ Vegetarier.
Das Max-Rubner-Institut nennt für das Jahr 2012 dagegen einen Vegetarier-Anteil von immerhin „fast zwei Prozent.“

Aktuell (Stand Januar 2015) geht der VEBU nun „von rund 7,8 Millionen Vegetariern (rund zehn Prozent der Bevölkerung) und 900.000 Veganern (1,1 Prozent) in Deutschland aus“. Das wären dann sogar rund neun Millionen – beachtlich.

Der Siegeszug der Kunstwürste?

Für all diese vielen Menschen müssen auch die passenden Fleischersatzprodukte her und folgerichtig hört man immer öfter vom Siegeszug der Kunstwürste und Tofufrikadellen. Beim Wursthersteller „Rügenwalder Mühle“ soll die „vegetarische Wurst“ schon in wenigen Jahren 30 Prozent der Produktion ausmachen.
Allerdings meldet der Bundesverband Ernährung (BVE) ganz aktuell dazu: „92 Prozent der Bevölkerung haben in 2014 nie oder weniger als einmal im Monat Fleischersatzprodukte gegessen. Nur rund elf Millionen Kunden haben dafür im Schnitt 19 Euro im ganzen Jahr ausgegeben.“
Der Deutsche legt dagegen für Fleisch im Schnitt 238.- Euro pro Jahr auf den Tisch.

Dennoch wären rechnerisch (100 – 92) doch wieder die 8 Prozent Vegetarier möglich, die eben „mehr als einmal im Monat“ Fleischersatzprodukte konsumieren.
Doch dagegen spricht die „Käuferreichweite“. Diese Zahl benennt den „Anteil der Haushalte, die mindestens einmal pro Jahr in der Warengruppe „Fleisch“ einkauften. „Diese sogenannte Käuferreichweite lag auch 2014 stabil bei 99 Prozent, das heißt lediglich 1 von 100 Haushalten kaufte während des gesamten Jahres keine Fleisch- oder Wurstwaren,“ sagt der Dachverband des Fleischerhandwerks.

Also doch nur ein Prozent Veggies? Nein, es könnten in diesen 99 Prozent der Haushalte auch Vegetarier leben, die das gekaufte Fleisch verschmähen. Dennoch bleibt – was die Relation von Nachfrage nach Fleisch, „Fleischersatz“ und der Zahl der Vegetarier betrifft– eine gefühlte Zahlenlücke.

Sind Veggies alle Kleingärtner?

Doch Veggies müssen ja gar keinen Fleischersatz essen. Sie verzichten einfach auf Fleisch und dessen Derivate und essen nur Gemüse. Tatsächlich ist nach offiziellen Zahlen der Fleischverzehr pro Kopf tatsächlich zurückgegangen (um 700 Gramm im Jahr 2014 – macht etwa drei- bis vier Tagesrationen Fleisch/Wurst weniger).
Nur taugt auch das nicht unbedingt als Beleg für mehr Vegetrarier, denn: Auch der Gemüseverbrauch sank um 5,6 Prozent (2013/14 gegen über 2012/13, nach aktuellsten Zahlen des BMEL). Essen die  Deutschen also insgesamt weniger?

Und vor allem: Was essen die vielen Millionen Veggies und Veganer dann überhaupt? Tauchen etwa ihre Nahrungsmittel in keiner Statistik auf, weil sie alle auf Selbstversorgung setzen? Immerhin sind 947.137 Kleingärtner unter dem Dach des „Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde“ organisiert (im Vegetarierbund VEBU, zum Vergleich, 13.000) und Urban Gardening ist hipp.
Denken wir allerdings an Schrebergärtner aus dem eigenen Bekanntenkreis, scheint viel wahrscheinlicher, dass die Kleingärtner mehrheitlich doch eher nur die Beilagen zum Grillgut auf ihren Parzellen anbauen.

Und deshalb muss – um endlich Daten-Klarheit zu erlangen – die Meldepflicht für Fleisch-Verächter her!

Der Fleischkonsum weltweit ist in den vergangenen Jahren laut der Welternährungsorganisation FAO stark gestiegen. (Grafik: ©obs/dpa-infografik GmbH)

Der Fleischkonsum weltweit ist in den vergangenen Jahren laut der Welternährungsorganisation FAO stark gestiegen. (Grafik: ©obs/dpa-infografik GmbH)

Quellen und weiterführende Links:

1.9.2009 – Die Welt: In Deutschland leben fünf bis sechs Millionen Vegetarier. Zum Vergleich: Noch im Jahr 1983 hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die Essgewohnheiten untersucht. Damals ernährten sich nur etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung vegetarisch.

21.12.2010 – n-tv: Der Vegetarierbund Deutschland spricht von sechs Millionen Menschen, andere Schätzungen liegen etwas niedriger. In der letzten statischen Erhebung zu diesem Thema, der Nationalen Verzehrstudie II aus dem Jahr 2008, gaben nur 1,6 Prozent der Befragten an, sie würden sich fleischlos ernähren – demnach gäbe es also nur 1,3 Millionen deutsche Vegetarier.

5.1.2011 – Focus: die Mitgliederzahlen des Vegetarierbunds seien 2010 um 30 Prozent auf 3.500 gestiegen.

28.3.2011 – spiegel.de: Sechs Millionen sollen es laut dem Vegetarierbund inzwischen in Deutschland sein.

4.6.12 – t-online.de: Im Schnitt ernähren sich etwa acht Prozent der Bevölkerung in Deutschland vegetarisch. (80.5 Mio in 2013, davon 8% = 6.44 Mio)

1.10.2012 – essen-und-trinken.de: In Deutschland ernähren sich laut Vegetarierbund Deutschland ca. sechs Millionen Menschen vegetarisch. Insgesamt ernähren sich in Deutschland 7-8% der Bevölkerung bereits vegetarisch

15.10.2012 – Die Welt: Einst war vegetarische Ernährung nur ein Randphänomen, doch mittlerweile verzichten rund acht Millionen Deutsche auf Fleisch. Tendenz steigend. Die Zahl der Vegetarier nahm in den vergangenen Jahren nach Angaben ihres Dachverbandes auf sieben bis acht Millionen zu.
Die Organisation selbst hat nach eigenen Angaben rund 7.000 Anhänger und gewann allein im vergangenen Jahr 40 Prozent neue Mitglieder.

13.3.2014 – Max-Rubner-Institut: Deutlich verändert hat sich im Vergleich zur Nationalen Verzehrsstudie II (2005-2007) die Zahl der Vegetarier. Ihr Anteil hat sich von damals rund einem Prozent auf fast zwei Prozent im Jahr 2012 erhöht.

Der Vegetraierbund (VEBU) über sich:
2008 feiert die IVU in ihrem Gründungsort Dresden ihren 100. Geburtstag. Im gleichen Jahr fingen die Mitgliedszahlen an deutlich zu wachsen. Von damals 2.500 Mitgliedern stieg die Anzahl bis heute auf über 13.000.
Der VEBU geht im Moment (Januar 2015) von rund 7,8 Millionen Vegetariern (rund 10 % der Bevölkerung) und 900.000 Veganern (1,1 %) in Deutschland aus.

VEBU-Mitglieder nach Jahren

  • 2008     2.500
  • 2009     2.700
  • 2010      3.500
  • 2011       5.000
  • 2012       7.000
  • 2015      13.000

Beitragsbild: ©2015 WiSiTiA/hh

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