FLI: Kastenstände können aktuelle Tierschutznutztierverordnung nicht erfüllen

Was wird aus den Kastenständen? Tierschützer fordert eine Breite, die mindestens dem Stockmaß entspricht. Landwirte beklagen hohe Umbaukosten und sehen dann Verletzungsrisiken. Eine aktuelle Literaturauswertung des Friedrich-Loeffler-Institutes (FLI) kommt aber zu einem noch weitreichenderen Schluß: „Die Haltung von Sauen in Kastenständen im Deckzentrum unter Einhaltung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erscheint in der Praxis kaum umsetzbar.“

(jh) – Sauen dürfen nach Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutzV) insbesondere während des Abferkelns und Säugens sowie über die ersten vier Wochen im Deckbereich einzeln in Kastenständen gehalten werden, in denen sie sich nicht umdrehen können. Als Mindestbreite gelten dabei seit 2010 für Jungsauen/kleinere Sauen 65 Zentimeter und für größere Tiere 70 Zentimeter. In der Länge müssen es zwei Meter sein. Das reicht Tierschützern und auch Politikern in einigen Bundesländern nicht: Sie wollen mindestens eine lichte Weite des Kastenstandes, die der Schulterhöhe der Sau entspricht damit sie sich ausgestreckt hinlegen können – und berufen sich dabei unter anderem auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Magdeburg.

Mehr Breite – mehr Verletzungsrisiko?

Dann aber wären die Kastenstände – laut Untersuchungen aus Sachsen – wiederum aus anderen Gründen tierschutzrelevant, denn „ein Liegen der Sauen in gestreckter Seitenlage erfordert Standweiten in Widerristhöhe der Tiere, die eine verletzungsfreie Kastenstandhaltung unmöglich machen.“ Gemeint ist damit – was auch die Literatur beschreibt (s.u. Quellen) –, dass sich die Sauen bei dem Versuch, sich im Kastenstand umzudrehen, ernsthaft verletzen.
Auf Landesebene empfiehlt Sachsen deshalb eine Differenzierung der Kastenstandweiten in 60, 70 und 80 cm im Verhältnis von 25 : 45 : 35 Prozent der erforderlichen Tierplätze.
Thüringen will sicherstellen, dass Sauen mit einer Schulterhöhe zwischen 71 und 80 Zentimetern eine Breite von 70 Zentimetern zur Verfügung haben. Bei Schulterhöhen von 81 bis 90 Zentimetern müsse die lichte Weite des Kastenstandes 75 Zentimeter, für große Sauen (1 Meter) bis 85 Zentimetern betragen.
Beides ist mehr als die TierSchNutzV aktuell vorgibt, aber weniger als das Stockmaß.

Stallbau: Kein Recht auf Amortisation

Angesichts von Tierhalterprotesten, dass die dann nötigen Umbauten wirtschaftlich nicht tragbar seien, merkt die Thüringer Landesregierung an: „Grundsätzlich besteht kein Recht darauf, von Neuregelungen verschont zu bleiben, bis einmal getätigte Investitionen sich vollständig amortisiert haben.“ Dazu verwies sie auf ein Urteil des Bundesverwaltunggerichts.

Alleingänge der Bundesländer verhindern

Um Alleingänge einzelner Bundesländer bei den gesetzlichen Vorgaben für Kastenstände zu verhindern, trafen sich Mitte Juni die Bund-Länder-Tierschutzreferenten unter Vorsitz von NRW, um das Thema Kastenstandhaltung im Deckzentrum bundeseinheitlich zu regeln. Derzeit stimmen die Tierschutzreferenten das Arbeitspapier untereinander ab, berichtet topagrar.

FLI-Bewertung der Kastenstände

Mitte Juni hat jetzt das Institut für Tierschutz und Tierhaltung des FLI (Standort Celle) eine Literaturauswertung (PDF) zur Kastenstandhaltung vorgelegt. Es kommt darin unter „tierschutzfachlicher Sicht und unter Berücksichtigung der Vorgaben der TierSchNutzV“ zu folgenden Ergebnissen:

  • Die Körpermaße von Sauen, von denen die Abmessungen von Kastenständen im Deckzentrum abgeleitet werden können, lassen sich näherungsweise durch Formeln berechnen.
  • Aus der Literatur ergibt sich bei derzeitig überwiegend eingesetzten Genetiken für Kastenstände eine Mindestlänge von 220 cm (Anm.d.Red.: Mehr als die TierSchButzV vorschreibt).
  • Soll entsprechend § 24 Abs. 4 TSchNutztV jeder Sau ein ungehindertes Aufstehen, Abliegen und Liegen in gestreckter Seitenlage ermöglicht werden, würde dies zu einem hohen Risiko für Verletzungen durch sich bei diesen Maßen im Kastenstand umdrehende Sauen führen.
  • Da sich die Abmessungen von Kastenständen im Deckzentrum bauartbedingt ohne erheblichen Aufwand nicht flexibel verändern lassen, ist ihre Anpassung an die tatsächlichen, zum Teil stark variierenden Körpermaße der Sauen kaum möglich.
  • Die Haltung von Sauen in Kastenständen im Deckzentrum unter Einhaltung der sich aus § 24 Abs. 4 TSchNutztV ergebenden Anforderungen erscheint daher in der Praxis kaum umsetzbar.
  • Die Haltung in Kastenständen bedeutet für Sauen eine erhebliche Einschränkung verschiedener Verhaltensweisen und birgt Risiken für Aspekte ihrer Gesundheit.
  • Es liegen nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu Auswirkungen der Aufenthaltsdauer in Kastenständen auf die Sauen vor. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass sich mit zunehmender Dauer der Haltung im Kastenstand die Auswirkungen verstärken.
  • Eine Fixierung im Kastenstand während der Rausche behindert die Sauen in der Ausübung sozialer und für die Rausche typischer Verhaltensweisen, verringert jedoch das Risiko für durch diese Verhaltensweisen verursachten Verletzungen.

Quellen:
Kastenstandhaltung von Sauen im Deckzentrum – FLI-Literaturauswertung (Juli 2015 PDF)
Antwort der Landesregierung Thüringen auf eine Landtagsanfrage zu Kastenständen (4/2015 – PDF)
Antwort der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern auf eine Landtagsanfrage zu Kastenständen (12.6.2015 – PDF)

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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