Dass es Jahre braucht, um einen guten Ruf aufzubauen, aber nur Tage, um ihn zu ruinieren, ist eine Binsenweisheit. Zu 96 Prozent bleibt Unzufriedenheit unausgesprochen. Die Beschwerden von Patienten – richtig aufgenommen und weiter verarbeitet – sind aber eine Chance, Schwächen in der Praxis aufzudecken und den Service zu verbessern.
von Henrik Hofmann
„Beschwerden sind eine Schatztruhe für Unternehmen, die es zu öffnen gilt“, sagt Dirk Nonnenmacher von der Unternehmensberatung Hogreve & Cie. gegenüber der ZEIT. Doch die Regel ist, dass sich unzufriedene Kunden einfach nicht mehr melden. Vielleicht erfährt man Monate oder Jahre später auf Umwegen, was man wem angetan haben soll. Doch dann ist es längst zu spät: Das Ansehen der Praxis ist bereits in irgend einer Form beschädigt.
Chance für Veränderung
„Solange der Kunde aber reklamiert, gibt er uns die Chance, etwas zu verändern“, sagt Kommunikationsexperte Dr. Wolfgang Matzner. „Wenn er sich nicht meldet, dann ist er möglicherweise verärgert und wechselt die Praxis oder erzählt negative Dinge über uns.“ Ein unzufriedener Konsument spricht laut einer Studie des Instituts für Marketing and Consumer Research der Wirtschaftsuniversität Wien im Schnitt mit zehn weiteren Personen über sein (Negativ)Erlebnis.
Auch wenn eine Beschwerde im ersten Moment unangenehm ist: Immerhin zeigt der Patient, dass ihm die Bindung an die Praxis wichtig ist und er diese grundsätzlich aufrecht erhalten möchte.
Rund 86 Prozent der Kunden beenden laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Harris Interactive ihre Geschäftsbeziehung nach einer negativen Erfahrung. „Vielen Kunden ist der Aufwand zu hoch, sie haben keine Lust auf eine Auseinandersetzung mit dem Unternehmen, weil das mit Frust und Stress verbunden ist“, sagt Experte Stauss. „Der Kunde muss erkennen, dass Meckern erwünscht ist.“
Beschwerden gezielt managen
Matzner empfiehlt ein Beschwerdemanagement aufzubauen und in dieses die Mitarbeiterinnen unbedingt mit einzubeziehen. Sie seien „die erste Anlaufstelle“ für Kunden. Als „No go’s“ bei der Annahme von Beschwerden bezeichnete er
- Fehler sofort anderen in die Schuhe zu schieben,
- Versprechungen abzugeben, die nicht eingehalten würden,
- Probleme zu bagatellisieren
- oder es persönlich zu nehmen.
Letzteres sei nicht einfach. „Bleiben sie immer cool. Sagen sie sich: Der hat mich nicht persönlich gemeint!“ Ein Kunde sei nicht absichtlich schwierig. „Atmen sie tief durch und sammeln sie sich, bevor sie reagieren!“
Beschwerden in Gruppen aufteilen
Beschwerden ließen sich in leicht und schwer lösbare Gruppen unterteilen.
Die „leichteren“ Probleme seien vor allem organisatorischer Art. Hierzu zählen lange Wartezeiten, Rechnungsstellungen, Unzuverlässigkeit, Unfreundlichkeit oder mangelnde Beratung.
„Schwerer lösbar“ seien Beschwerden über Behandlungsleistungen wie Fehleinschätzung der Dringlichkeit, Vertrösten am Telefon, Behandlungsfehler oder falsche, unnötige beziehungsweise unprofessionelle Therapie.
Wichtig für ein professionelles Beschwerdemanagement sind klare Regeln. Sie helfen dabei, nicht unwillkürlich eine Streit- und Abwehrhaltung einzunehmen, sondern den unzufrieden Patienten ernst zu nehmen und aus seinen Vorwürfen Verbesserungspotentiale abzuleiten.
Klare Regeln beim Beschwerdemanagement:
- Beschwerden sind – wann immer möglich – Chefsache. Damit signalisiert man, dass die Beschwerde ernst genommen werden.
- Protestlern nicht vor anderen Kunden eine „Bühne“ bieten – deshalb Beschwerden in einem seperaten Raum hinter verschlossenen Türen entgegen nehmen. So macht man deutlich: „Wir nehmen Ihren Ärger ernst.“ Außerdem entfällt in einem separaten Raum der Druck (oder der Reiz) für den Patienten, sich vor den anderen Zuhörern zu profilieren.
- Zu Anfang dem Patientenbesitzer Gelegenheit geben, seinem Ärger Luft zu machen – danach wird er sachlichen Argumenten eher zugänglich sein.
- Der Arzt sollte Verständnis signalisieren und so lange nachfragen, bis der konkrete Anlass des Ärgers wirklich klar ist. Dabei geht es nicht darum, sich gegenüber dem Patienten zu rechtfertigen oder in einem Streitgespräch als der Stärkere zu erweisen, sondern den unzufriedenen Patienten wieder in einen zufriedenen zu verwandeln. Der Leitsatz lautet: Gewinnen Sie Ihr Gegenüber, nicht das Gespräch!
Kunde erwartet Zuhören
Dem Kunden sei es wichtig, dass sein Gegenüber zuhöre. Während des Gesprächs sollten Tierarzt oder die TMFA die Beschwerde und den Anlass notieren und den Vorgang auf die Tagesordnung der nächsten Teambesprechung setzen. Oft sind Missverständnisse die Ursache eines Problems! Daher müsse man im Team sehr ausführlich das Problem besprechen – und generelle Lösungen erarbeiten.
Sollte der Fehler beim Praxisteam liegen, ist eine Entschuldigung selbstverständlich. Zunächst sollte man den Kunden auffordern, eigene Lösungsvorschläge aufzuzeigen. Kommt keine akzeptable Lösung – und nur dann – solle man eigene Vorschläge machen und sich ausdrücklich mit mehrfachen Fragen und Wiederholungen der erarbeiteten Lösung rückversichern, ob der Kunde mit dem Ergebnis zufrieden ist, empfiehlt Matzner. Und zu guter Letzt bewirke „ein Blumenstrauß je nach Situation wahre Wunder“! Grundsätzliches Ziel müsse sein, dass jedes Problem nur einmal vorkommen dürfe. Um dem Kunden die Tür zu öffnen helfe „der gute alte Kummerkasten“ häufig wunder.
Professioneller Auftritt
Zum Beschwerdemanagement gehört laut Matzner im übrigen auch ein professioneller Auftritt des Teams: „Professionalität setzt eine hohe Hürde, über die sich der Kunde nicht so leicht rübertraut!“. Ein Schritt ist dabei, dass sich jeder im Team als zuständig empfindet und man eine gemeinsame Linie fahre. Dazu müsse man jedem Mitarbeiter Kompetenz einräumen. Ein kleiner Schritt zu einem einem professionellen Eindruck ist auch eine einheitlich Kleidung – im Praxis-Design oder zumindest weiß/eine Farbe).
Klar ist auch: Nicht jeder Konflikt kann zu beiderseitiger Zufriedenheit gelöst werden. Doch zumindest gärt das Thema dann nicht mehr unausgesprochen.