Nur mehr Geld bedeutet mehr Tierwohl. Es klingt etwas billig und ist doch die (bittere) Wahrheit. Die „Initiative Tierwohl“ dürfte wohl bereits zum Starttermin (2. Mai) „überzeichnet“ sein – sprich: Es wollen mehr Nutztierhalter mitmachen, als Geld da ist. Wer dabei sein darf, entscheidet wahrscheinlich das Los.
(Inzwischen – Stand 4.5.2015 – steht fest: Über die Hälfte der interessierten Landwirte darf nicht mitmachen.)
Doch das große Interesse ist auch ein politisches Signal: Nutztierhalter investieren anscheinend durchaus gerne in bessere Haltungsbedingungen, wenn es eine sichere Chance auf Refinanzierung gibt. Die scheinen Labelprogramme, wie das des Deutschen Tierschutzbundes nicht zu bieten: „Leider Gottes kein befriedigendes Ergebnis,“ kann Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth bei dem Programm erkennen*, obwohl das Bundeslandwirtschaftsministerium zwei Millionen Euro Fördermittel in das Projekt gesteckt hat. Unbefriedigend ist das Verbraucherverhalten: Das Labelfleisch ist billiger als Bioware, aber immer noch deutlich teurer als konventionelles Fleisch – und wird deshalb nicht ausreichend gekauft. Auch beim Tierschutzlabel würden gerne mehr Landwirte mitmachen, doch das Programm kann sie nicht aufnehmen, weil der Absatz nicht wächst.
Initiative Tierwohl hat nicht genug Geld
Vier Cent pro verkauftem Kilo Fleisch und Wurst zahlt der Handel seit Jahresbeginn in den Initiative-Tierwohl-Topf. Diesen Betrag scheinen die Verbraucher verschmerzen zu können. De facto dürfte kaum einer deshalb eine Veränderung der Fleischpreise bemerkt haben. Etwa 90 Millionen Euro kann die Initiative so pro Jahr an Bauern verteilen. Das reicht, um die Haltungsbedingungen für bis zu acht Millionen Schweine ein kleines Stück verbessern zu können (nachzulesen sind die Kriterien im Detail hier) – was bei 58 Millionen in Deutschland pro Jahr geschlachteten Schweinen aber noch weit von einer flächendeckenden Verbesserung entfernt ist.
Trotzdem ist das Interesse groß: 350 Förderanträge für 400.000 Mastplätze seien bisher gestellt (Stand 26.4.2015), meldet die Landwirtschaftseite topagrar.de. Setze sich der erkennbare Anmeldetrend bis zum Registrierungsschluss (28.4.2015) fort, sei der Tierwohlfonds „überzeichnet“. Dann würde das Los entscheiden, welcher Betrieb überhaupt teilnehmen darf – und damit Geld für seine bereits erbrachten Vorleistungen bekommt.
Bauern wollen nicht draufzahlen
In das (erwartete) Losverfahren kommt nur, wer zum Starttermin die notwendigen Anforderungen bereits erfüllt (hat). Das sorgt für Kritik von Seiten der Bauern: Wer zum Starttermin dabei sein wollte, habe seine Stall „dünner belegt“ und immerhin vorab bereits mehrere tausend Euro investiert, um sich überhaupt „anmelden“ zu können. Trotzdem könne er jetzt womöglich auch eine Niete ziehen und leer ausgehen? „Dann muss der Handel nachschießen, sonst wird er bei Landwirten, Verbrauchern und Medien völlig unglaubwürdig“, fordern die Bauern im Wochenblatt Westfalen-Lippe. Betriebe die in 2015 mitmachen wollen, aber die Kriterien erst später erfüllen (können), gehen definitiv leer aus.
Tierwohl-Programme „aufaddieren“
Wohin die Tierwohl-Reise gehen könnte, zeigt Edeka-Nord. Die regionale Handelskette verpflichtet die Tierhalter, die für das Edeka-Label-Programm „Gutfleisch“ liefern wollen, bis Ende 2015 zwingend an der Initiative Tierwohl teilzunehmen. Darüber hinaus müssen sie weitere Kriterien erfüllen: Nicht nur entweder zehn Prozent mehr Platz oder ständigen Raufutterzugang wie bei der Initiative Tierwohl, sondern gleich beides. Dafür bekommt der Landwirt dann einen Aufschlag von drei Cent pro Kilogramm Schlachtgewicht auf den normalen Schlachthofpreis, meldet topagrar.
Gleichzeitig gibt es auch neue regionale Auflagen: Liefern dürfen nur noch Landwirte, die auch im Absatzgebiet der EDEKA-Regionalgesellschaft Nord die Tiere halten, also Betriebe aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Teilen von Niedersachsen und Brandenburg. Dafür zahlt EDEKA-Nord 1,7 Mio. Euro in die Initiative Tierwohl ein und zusätzliche 1,3 Mio. Euro sollen in das Gutfleisch-Programm fließen.
Ob diese Verquickung den anderen Projektpartnern (Aldi, Lidl & Co) der Initiative Tierwohl schmeckt, ist offen. Die Initiative sollte/wollte ja eben kein sich gegenüber konventioneller Haltung abgrenzendes „Label-Fleisch“ hervorbringen – bei dem die höheren Standards auf der Packung beworben werden. Sie soll stattdessen flächendeckend die Haltung in kleinen Schritten verbessern, ohne „konventionelles Fleisch“ in der Kühltheke „schlechter aussehen“ zu lassen. Kritiker halten das für eine Feigenbaltt-Strategie. Die Befürworter sagen, nur auf diesem Weg könne man die Tierhaltung insgesamt verbessern.
Für die Tiere – und auch die Landwirte – ist die Kombination zweier bezahlter Programme allerdings zunächst gut, denn: Mehr Geld gekoppelt an mehr Auflagen bedeutet eben auch mehr Tierwohl.
wir-sind-tierarzt meint
(jh) – Es könnte so einfach sein: Statt vier Cent einfach acht oder zehn oder gar 20 Cent „Tierwohl-Soli“ pro Kilo Fleisch an der Kühltheke kassieren, an die Bauern ungekürzt weiterreichen und schon könnten deutlich mehr als nur acht von weit über 50 Millionen Schweinen von mehr „Tierwohl“ profitieren.
Ist es aber nicht, denn schon jetzt schaut das Kartellamt mit Argusaugen auf diese 4-Cent-Preisabsprache der Initiative. Wettbewerber aus Europa klagen bereits, weil sie nicht auch gefördert werden. Mehr „Absprachen“ von Seiten des Handels wird es also nicht geben.
Auch wir Verbraucher könnten mehr für Tierwohl tun, indem wir einen höheren Preis für entsprechend gekennzeichnete Produkte bezahlen. Tut nur kaum einer. Der Aufpreis von konventionell auf Bio ist uns viel zu hoch. Dazwischen loten Labels wie das des Tierschutzbundes oder Gutfleisch-Programme ihre Marktchancen aus. Sie haben es schwer in einer Welt, in der vor allem Sonderangebote uns Verbraucher magisch anziehen.
Bleiben zwei politische Wege.
Der, den viele Tierschützer fordern, nämlich drastisch verbesserte Haltungsbedingungen endlich gesetzlich vorzuschreiben. Dann werde, erwidern die Gegner, die Tierhaltung und damit die Probleme nur zu großen Teilen ins Ausland exportiert. Die Produkte kämen auf dem Importweg dennoch wieder in die Läden und auf den Tisch. Politisch wäre der Weg dennoch gangbar, wenn die Mehrheit der Wähler in mittrügen.
Der zweite Weg ist wie immer in einer Demokratie einer mit mehr oder weniger grossen Kompromissen und Schritten: Also die Mischung aus wirtschaftsgetragenen Konzepten (Initiative Tierwohl), ergänzt um Labelprogramme mit höheren Preisen(Tierschutzbund/Neuland), flankiert von schärferen gesetzlichen Tierwohl- und Tierschutzvorschriften, finanziell unterstützt über die Umleitung von EU-Landwirtschaftsfördermitteln in Tierwohlprämien. Ein gesamtgesellschaftliches Konzept, wie es auch das Gutachten der Agrarweisen von der Politik fordert. Fünf Milliarden Euro pro Jahr müssten so in Summe aufgebracht werden, statt der 90 Millionen der Initiative Tierwohl oder der zwei Millionen Tierwohl-Label-Förderung – also 55 mal soviel. Darum wird noch hart gerungen werden.
Es ist an uns Verbrauchern und Wählern, das Tempo dieser Entwicklung zu bestimmen: Indem wir im Laden und an der Wahlurne entscheiden.
Quellen:
Was, warum wie – eine PDf-Präsentation der Initiative Tierwohl
*Flachsbart-Zitat aus der Eröffnung der Tierethik-Veranstaltung der Berliner-Tierärztekammer am 25.4.2015