Aggressionen, Stressresistenz oder Verhaltensstörungen– die ersten vier Lebenswochen als Ferkel prägen das spätere Verhalten von Mastschweinen. In der Konsequenz verlangen die Haltungsbedingungen der Ferkel in dieser Zeit besondere Aufmerksamkeit. Worauf ist zu achten?
von Annegret Wagner
Schweinemäster haben immer häufiger Probleme mit dem Verhalten ihrer Tiere. Vor allem Aggressivität und andere unsoziale „Marotten“ erschweren das Halten der Schweine, obwohl die Mäster keine Ursache erkennen. Die Gründe für Verhaltensstörungen entwickeln sich bei Ferkeln in der Regel in den ersten vier Lebenswochen, also beim Züchter. Vieles ist dem Zwang zu vermeintlich höherer Effektivität geschuldet oder liegt an falsch konzipierten Ställen.
Vorbild Wildschwein?
Helena Telkänranta (an den Universitäten in Bristol/England und Helsinki/Finnland tätig) und Sandra Edwards (Newcastle University/England) vergleichen in ihrer Studie zu langfristigen Verhaltensproblemen bei Schweinen zunächst die moderne Schweinehaltung mit dem Leben von Wildschweinen:
Wildschweinferkel haben ein unbeschränktes Platzangebot, eine komplexe Umwelt, ständigen Kontakt zum Muttertier und ab etwa zwei Wochen nach der Geburt Kontakt zu anderen Ferkeln. Sie können ihre oral-nasale Verhaltensmuster – Wühlen und Kauen – von Anfang an ausleben. Die Entwöhnung von der Mutter geschieht langsam im dritten und vierten Lebensmonat.
Dagegen ist die Bewegungsfreiheit von Hausferkeln eingeschränkt, sie können in der Regel nicht ausreichend spielen und durch eine monotone Umwelt ist Wühlen und Kauen ebenfalls nur eingeschränkt oder gar nicht möglich.
Risikofaktor zu frühes Absetzen
Zu frühes Absetzen von der Mutter, große Würfe mit entsprechender Konkurrenz um Zitzen und abwechslungslose Ställe begünstigen aus Sicht von Telkänranta und Edwards aggressives oder ängstliches Verhalten der Ferkel. Werden Ferkel zu früh abgesetzt, führt das beispielsweise zum sogenannten Belly-Nosing, bei dem eine Art Bauchmassage an anderen Ferkel versucht wird. Dieses Verhalten gilt eigentlich der Mutter und der Massage des Gesäuges und der Zitzen um den Milchfluss zu stimulieren.
Monotone Ställe
Monotone Ställe ohne Stroh oder andere Möglichkeiten zum Wühlen und Kauen führen dazu, dass Ferkel sich ihren Wurfgeschwistern widmen und deren Schwänze anknabbern. Es sollte also von Anfang an darauf geachtet werden, den Ferkeln Abwechslung zu bieten und sei es durch Kaustricke und andere Spielzeuge (auch Zeitung), wenn systembedingt keine Stroheinstreu möglich ist.
Ferkel, die in monotonen Ställe gehalten werden, können ihre kognitiven Fähigkeiten nicht voll entwickeln, da die entsprechenden Areale im Gehirn nicht trainiert werden. Mangelhafte kognitive Funktionen führen dazu, dass die Ferkel im späteren Leben ängstlich auf Veränderungen reagieren und entsprechend gestresst sind.
Konkurrenz macht aggressiv
Konkurrenz macht aggressiv und Ferkel aus großen Würfen, die schon früh um Zitzen kämpfen mussten, sind auch später eher aggressiv. Zudem brauchen Ferkel Platz, um Schaukämpfe auszutragen und so soziale Kompetenz zu lernen. Die Schaukämpfe helfen den Ferkeln, ihr Gegenüber besser einzuschätzen und sie tragen dann im späteren Leben deutlich weniger Rangkämpfe aus, da sie den Ausgang eines Kampfes vorausahnen können. Auch der frühe Kontakt – vor dem Absetzen – mit anderen Würfen führt dazu, dass die Ferkel soziales Verhalten trainieren und Neugruppierungen leichter verkraften.
Stressresistenz „lernen“
Um im späteren Leben gut mit Stress umgehen zu können, sollten die Ferkel im frühen Leben möglichst lange möglichst wenig Stress erfahren. Wird das Leben der Ferkel in den ersten Lebenswochen zu häufig verändert oder machen sie viele negative Erfahrungen, dann können die Ferkel auch im späteren Leben weniger gut mit Stress umgehen. Wenn sie zudem noch in einer monotonen Umwelt gehalten werden, dann ist der basale Stressspiegel generell deutlich höher als bei Ferkeln, die mehr Abwechslung geboten bekommen.
Fazit: Haltungsbedingungen verbessern
In der Konsequenz raten die Autorinnen, die Umwelt der Ferkel in den ersten Lebenswochen wo immer möglich zu verbessern:
- Bereitstellung einer abwechslungsreichen Umwelt, die typische Verhaltensmuster wie Wühlen und Kauen sowie soziale Prägung möglich macht. Eine verbesserte Umwelt kann Schwanzbeissen vermindern, die Stressanfälligkeit senken, Aggressionen vermindern und Sozialkompetenz verbessern.
- Ferkel sollten uneingeschränkten Kontakt zur Mutter haben und das Absetzen sollte so spät wie möglich erfolgen, um unerwünschte Verhaltensweisen (z.B. Belly-Nosing) zu unterbinden.
- Vermeidung von Stress und Schmerzen in den ersten Lebenswochen um einen normalen Umgang mit Stress im späteren Leben zu erreichen.
wir-sind-tierarzt kommentiert:
Tierärzte sollten nicht beim Leistungswettlauf mitmachen
(aw) – Einmal mehr, wenn es um Verhaltens- und Gesundheitsprobleme bei landwirtschaftlichen Nutztieren geht, sind es zwei Faktoren: Das Ausreizen der Leistungsmöglichkeiten – in diesem Falle immer größere Würfe, immer früheres Absetzen gepaart mit engen, monotonen Ställen – überfordert die Tiere und führt zu geringer Stresstoleranz, Aggression und daraus entstehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Die Grenze dessen, was Tiere aushalten können, ist bei allen Gattungen bereits ausgereizt und teilweise überschritten. Daher muss die Beratung der Landwirte angepasst werden.
Tiergerechtere Haltungssysteme zahlen sich in jedem Fall aus. Tierärzte müssen einsehen, dass es nicht ihre Aufgabe sein kann, durch entsprechende Beratungen, Behandlungen und Therapiekonzepte diesen (Leistungs)Wettlauf weiter zu fördern.
Wenn tatsächlich unzählige Ferkel und Mastschweine vorzeitig verenden, dann ist dies – ganz abgesehen vom Tierleid – auch wesentlich unwirtschaftlicher, als die Würfe und Tiergruppen zu verkleinern und eine angemessene Umwelt zu bieten.
Gravierende Beratungsfehler sollten eigentlich gar nicht mehr vorkommen. Aktuell aber empfehlen Berater Ackerbauern, die aufgrund der ungewöhnlich hohen Niederschlagsmengen und schlechten Erträge finanzielle Probleme bekommen könnten, in die Schweinemast einzusteigen – und das trotz wenig attraktiver Schlachtpreise für Schweine.
Es ist für jedes Land essentiell, die Versorgung der Bürger so gut wie möglich selbst leisten zu können um nicht erpressbar zu werden. Doch eine sinnlose Überproduktion für schwankende Exportmärkte zu Lasten der Tiere und auch ihrer Besitzer ist nicht mehr zeitgemäß.