Reserve­antibiotika: SPD übernimmt Verbots­forderung der Grünen

Dr. Wilhelm Priesmeier, Tierarzt und agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundetsagsfraktion. (Foto: © Dt. Bundestag)Dr. Wilhelm Priesmeier, Tierarzt und agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundetsagsfraktion. (Foto: © Dt. Bundestag)

Nach den Grünen fordert jetzt auch die SPD pauschal eine mindestens 50-prozentige Reduzierung der Antibiotikamenge in der Tiermedizin. Es brauche „eine eindeutige Zielvorgabe, an der sich Landwirte und Tierärzte orientieren müssen“. Und auch die SPD will jetzt „kritische Reserveantibiotika ausschließlich der Humanmedizin vorbehalten“. Beginnt ein Forderungswettlauf der Parteien?

von Jörg Held

„Erforderlich ist eine umfassende und verbindliche Verringerung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung,“ teilt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Tierarzt Dr. Wilhelm Priesmeier am 1. Juli mit.
Mindestens 50 Prozent weniger Antibiotika sollen es bis 2020 laut SPD-Forderung sein. „Ausgangsbasis sind die vom BVL gemeldeten 1.452 Tonnen Antibiotika, die 2013 an Tierärzte geliefert wurden“, antwortet Priesmeier auf Nachfrage von wir-sind-tierarzt.de.
Das bedeutet: 2020 dürfen es nur noch 726 Tonnen sein.

Damit fordert die SPD absolut gesehen eine höhere Mengenreduzierung als die Grünen. Deren 50-Prozent-Reduzierungsziel stammt schon aus 2013. Aktuell haben sie es im Mai 2015 noch einmal bestätigt. Die Grünen möchten die 1.619 Tonnen Antibiotikaabgaben aus dem Jahr 2012 halbiert sehen – und das schneller als die SPD: 2018 sollen es demnach nur noch 809 Tonnen sein.

Gewicht nicht gleich Wirkstoff

Dabei wissen Experten: Eine reine „Gewichtsreduzierung“ ist wenig zielführend. Die klassischen, in der Nutztiermedizin eingesetzten oralen Antibiotika in Pulverform wiegen mehr. Die Menge in Tonnen ließe sich leicht reduzieren, weicht man auf höherdosierte moderne Wirkstoffe mit weniger Gewicht aus. Weniger Antibiotikaeinsatz bedeutet das nicht.
Das weiß auch die SPD-Bundestagsfraktion. Deshalb folgen in der Pressemeldung weitere fachliche Forderungen als sogenanntes „Maßnahmenbündel“.

„Reserveantibiotika“ nur für Menschen

Es müsse „eine Liste aller kritischen bzw. Reserve-Antibiotika in Deutschland entsprechend der internationalen Vorgaben“ aufgestellt werden, verlangt die SPD.
Diese Liste aber ist bereits politischer Konsens. Im März haben alle Bundesländer (und damit auch allen Parteien) beschlossen, dass die Bundesregierung diese Liste erstellen soll.
Die SPD-Forderung geht allerdings darüber hinaus: „Diese Antibiotika dürfen (dann) ausschließlich in der Humanmedizin angewendet werden.“ Damit ist der agrarpolitische SPD-Sprecher Priesmeier auf einer Linie mit den Verbotsforderungen des Grünen Fraktionschef Toni Hofreiter.
Die Bundesländer dagegen fordern eben kein Pauschalverbot, sondern strenge Anwendungsindikationen für diese Wirkstoffe in der Tiermedizin.

Medikamentenauswahl den Ärzten überlassen

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Prof. Dr. Alexander Friedrich, Fakultät für medizinische Mikrobiologie und Infektionsprävention, Universität Groningen, NL (Foto: © WiSiTiA/hh)

Auch bei einem Antibiotika-Fachgespräch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 1. Juli wurde die Frage nach einer Verbotsliste gestellt. „Keime halten sich nicht an Grenzen und Gesetze,“ stellte dazu der Infektionsmediziner Prof. Alexander W. Friedrich (Groningen) fest und sprach sich gegen Verbote aus: „Die Wahl des jeweils besten Medikamentes sollte man jeweils den Human- und Tiermedizinern überlassen.“ Was sie dafür brauchten, seien Instrumente und Wissen, um diese Entscheidung fundiert treffen zu können. Friedrich nannte explizit Resistenzschnelltests, deren Entwicklung die Politik fördern solle. Dadurch liessen sich Antibiotika zielgenauer einsetzen und damit Resistenzen weit effektiver verhindern. Aus den Reihen der CDU/CSU sind keine Verbotsforderungen zu erwarten.

SPD will alternative Therapien

Letzter Punkt der SPD-Forderungen: „In der tiermedizinischen Forschung und Lehre müssen stärker als bisher alternative Therapiemöglichkeiten als der Antibiotikaeinsatz verankert werden. Zentral ist, dass die Gesundheit der Tiere im Stall verbessert wird. Antibiotika-Resistenzen müssen besser erforscht werden. Hierzu bedarf es weiterer Fördermittel“, sagte Priesmeier abschließend.

All diese SPD-Forderungen kommen überraschend, denn erst 14 Tage zuvor hatte die Partei ein Tierschutzpolitisches Positionspapier vorgelegt – ohne nur eine dieser Forderungen zu erwähnen. Im Papier heißt es zum Thema Antibiotika lediglich:

„Der Arzneimitteleinsatz in der Tierhaltung muss aufgrund der Antibiotika- Resistenzproblematik weiter verringert werden. Das Arzneimittelgesetz muss jetzt konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden.“

Quellen:
SPD 50%-Reduzierungs-Forderung – Pressemitteilung Priesmeier (1.7.2015)
Tierschutzpolitisches Positionspapier der SPD Bundestagsfraktion (6/2015)
Grüne 50%-Reduzierungs-Forderung – z.B. EU-Abgeordneter Martin Häusling (5/2015)
Mengenübersicht der in Deutschland verordneten Antibiotika (BVL 8/2014)

Beitragsbild: Dr. Wilhelm Priesmeier, Tierarzt und agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundetsagsfraktion. (Foto: © Dt. Bundestag)

 

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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