Es steht fest: Auch der klassische bpt-Kongress im November 2020 in Hannover fällt dem Corona-Virus zum Opfer. Stattdessen wagt der Verband der praktizierenden Tierärzte ein Digitalexperiment: Den ersten reinen Online-Tierärztekongress – über sieben Tage. Fragen an bpt-Geschäftsführer Heiko Färber zum Warum und Wie?
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Interview: Jörg Held
Frage: Aktuell sehen die Corona-Infektionszahlen doch recht gut aus? Es gibt wenige neue Fälle. Warum jetzt noch vor dem Sommer die Entscheidung, den bpt-Präsenzkongress in Hannover im November abzusagen?
bpt-Geschäftsführer Heiko Färber: Unser Kongress ist eine Großveranstaltung mit über 3.000 Teilnehmern plus Industriepartnern. Wir alle – Teilnehmer, Aussteller, deren Dienstleister, unsere Referenten und Mitarbeiter – wir alle brauchen Planungssicherheit. Für unsere Zeit und auch die Budgets.
Solche Veranstaltungen bleiben weiter bis mindestens Ende Oktober verboten. Die Wissenschaft hält es für absolut möglich, dass es im Herbst eine zweite Welle von Covid-19-Ausbrüchen gibt. Also mussten die bpt-Gremien entscheiden. Das haben wir Ende Mai getan. Und am 16. Juni hat auch die DLG beschlossen, die parallel laufende Messe EuroTier 2020 zu verschieben (Details siehe Artikelende).
Was man dabei auch nicht vergessen darf: Wir sind ein medizinischer Fachkongress. Wenn wir nicht der Prävention und dem Gesundheitsschutz auf Basis aktueller wissenschaftlicher Grundlagen den Vorrang geben, wer dann?
Kein „normaler“ Kongress möglich
In Deutschland haben wir vom Einigeln bis zur neuen Lust an Großdemos in den letzten Wochen alles erlebt. Es gibt eine riesige Sehnsucht nach Normalität. Mit der Absage ist der bpt doch da jetzt „raus“?
Färber: Mal angenommen, man dürfte im November einen Kongress veranstalten, es wäre nicht der bpt-Kongress, den wir kennen: Wir hätten ziemlich sicher Teilnehmerzahlbeschränkungen aufgrund von Hygiene- und Abstandsregeln. Momentan würde man uns 700 bis 800 Besucher erlauben. Die Industrieausstellung sähe völlig anders aus, mit limitiertem Zugang und viel Abstand auf den Ständen.
Dazu kommt: Alles was in der Präsenzwelt Spaß macht, müsste entfallen oder hätte im Wortsinn unter Corona-Regeln ein völlig anderes Gesicht. Treffen mit Studienfreunden und Kollegen hinter Mundschutzmasken. Nicht zusammensitzen können, denn ein Catering wäre nicht oder nur sehr eingeschränkt erlaubt. Und eine Kongressparty im „München-Zelt“ wäre völlig illusorisch. „Normal“ wäre dieser Kongress sicher nicht.
Warum dann nicht konsequenterweise den Termin 2020 ganz ausfallen lassen? Das haben ja viele andere Veranstalter – etwa die Deutsche Vet in Köln oder der erste AniCura-Vet-Kongress in Augsburg – auch so machen müssen. War das wirklich undenkbar?
Färber: Wir haben alles durchdacht. Wir hatten die Wahl zwischen einer Reihe schlechter „klassischer“ Möglichkeiten.
Entweder weiter unsere durchaus aufwändige Kongressorganisation durchziehen, mit der Unwägbarkeit, dass er letztlich doch abgesagt werden muss. So ein Totalausfall ist ein schlicht nicht tragbares wirtschaftliches Risiko für den bpt.
Alternativ eine abgespeckte Veranstaltung planen, die aufgrund von Corona-Auflagen nur ein Abklatsch des gewohnten bpt-Kongress wäre. Ich glaube, damit würden wir die, die dann doch kämen, sogar eher enttäuschen und unsere Marke beschädigen.
Oder den Termin verschieben. Aber wohin? Im nächsten Jahr zwei bpt-Kongresse plus die Kleintierintensivtage in Bielefeld organisieren? Das würden wir nicht schaffen und es würde wohl auch niemand alles besuchen wollen.
Bleibt noch: Ersatzlos ganz absagen. Das wollten wir aber auf keinen Fall. Der bpt-Kongress hat bei vielen Praktikern seinen festen Platz, auch um die notwendigen ATF-Stunden zu erreichen.
Digital-Kongress: Notlösung oder echte Alternative?
Jetzt also ein Digital-Kongress. Aber ist das nicht doch eine Notlösung?
Färber: Alle Welt verlangt von den Tierärzten, sie sollen digitaler werden, sich auf Telemedizin einstellen, neue digitale Lösungen ausprobieren. Das raten wir als Praktikerverband ja auch unseren Mitgliedern. Konsequenterweise gilt das dann auch für uns. Unsere Gremien haben einstimmig entschieden: Wir wagen den ersten rein digitalen Tierärztekongress dieser Größenordnung in Deutschland.
Natürlich wären wir diesen Schritt ohne Corona in dieser Konsequenz noch nicht gegangen. Aber es ist für uns keine Notlösung. Wir gehen das jetzt genauso konsequent und konzentriert an, wie die Planung des Präsenzkongress. Und wir werden uns auch bei den Landstierärztekammern dafür einsetzen, dass in diesem Ausnahmejahr diese Online-Fortbildungsstunden vollständig anerkannt werden.
(Eine Übersicht welche Kammer wie viele Online-ATF-Stunden anerkennt finden Sie hier / PDF-Download)
Webinare und Videokonferenzen kennt inzwischen fast jeder. Aber kann man das wirklich einen „Tierärztekongress“ nennen?
Färber: Kann man. Das sagen wir ganz selbstbewusst. Denn wir werden natürlich nicht das analoge Kongressvortragsprogramm einfach nur online stellen. Wir sind dabei, etwas Spannendes, etwas Neues zu entwickeln. Auch dafür brauchte es diese frühe und eindeutige Entscheidung. Jetzt können wir alle Energie auf das neue Format konzentrieren.
All-In-Ticket für sieben Tage Online-Kongress
Etwas konkreter können Sie doch sicher werden? Immerhin verlängern Sie die Kongresszeit im November ja sogar. Von Donnerstag über das Wochenende bis zum folgenden Mittwoch (19. – 25.11.2020). Aber Tierärzte können ja nicht die ganz Zeit am Bildschirm sitzen?
Färber: Eben weil Bildschirmzeit etwas anderes ist als Präsenzzeit, gehen wir auf sieben Onlinetage. Wir entzerren so das bisher in Parallelveranstaltungen verdichtete Programm. Es soll jeden Tag einen Mix von Online-Vorträgen, interaktiven Webinaren und Live-Veranstaltungen geben. Die Teilnehmer können sich zu festen Programmzeiten zuschalten oder die Angebote eben auch später noch online abrufen, wenn es ihnen zeitlich passt.
Es wird auch eine virtuelle Messe geben, auf der sich Tierärzte und Industrie treffen und über neue Entwicklungen austauschen können. Dafür entwickeln unsere Partner schon Ideen.
Unser Ansatz ist: Fachlich genauso viel lernen und diskutieren, wie auf einer Präsenzveranstaltung. Dazu einen digitalen Mehrwert mit den neuen Möglichkeiten schaffen. Und in der virtuellen Welt etwas neues erleben. Das Letzte ist die größte Herausforderung: Wie kann man das bpt-Kongressfeeling digitalisieren?
Sie klingen fast schon etwas euphorisch. Aber muss man nicht auch ehrlich sein: Die Tiermedizinbranche gehört nicht wirklich zu den digitalen Vorreitern. Da bleibt das Flop-Risiko doch groß?
Färber: Ich war anfangs auch ziemlich skeptisch. Aber inzwischen haben wir in der bpt-Akademie richtig Spaß daran, da was Neues zu entwickeln. Es wird ein All-In-Ticket geben für alle sieben Tage, für alle Tierarten und alle Veranstaltungen inklusive virtuellem Get-Together. Unterschätzen Sie die Tierärzte nicht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es eine große Neugier und Bereitschaft gibt, das mal auszuprobieren.
Ich sage jetzt mal mit einem Augenzwinkern: Das Schlimmste was uns passieren könnte wäre, dass der Digital-Kongress ein Mega-Erfolg wird. Dann stünden wir womöglich vor der Frage: Warum nicht immer online?