Kommen Deutschlands Tierarztpraxen vergleichsweise glimpflich durch die Corona-Krise? In verschiedenen Umfragen erwarten Tierärzte zwar zum Teil deutliche Umsatzrückgänge. Aber im europäischen Vergleich blickt man hierzulande noch mit dem geringsten Pessimismus in die Zukunft. Es gibt sogar schon einige, die wieder positiver gestimmt sind. Warum?
von Jörg Held
Es gibt eine Reihe von Umfragen, die wissen wollen, wie Tierarztpraxen die Auswirkungen der Corona-Krise bewerten. Der Tenor über alle Antworten ist eindeutig: Es werden Umsatzrückgänge erwartet, zum Teil um bis zu 50 und mehr Prozent. Es herscht noch große Unsicherheit über die Dauer der Krise. Aber es gibt auch vorsichtig positive Trends. So sehen erste Praxen bereits Verbesserungen gegenüber den ersten Corona-Wochen. Die Daten dazu stammen aus diesen Quellen:
- Auf dem Tiermedizinportal vetion.de haben sich schon seit 3. März 152 Branchenvertreter* an einer Blitzumfrage mit sechs Fragen beteiligt (Antworten hier).
- Auf eine Umfrage des Praxisberaters Raphael Witte haben im März 501 Teilnehmer geantwortet, darunter 200 Praxisinhaber und 91 angestellte Tierärzte*. Die interpretierten Ergebnisse kann man hier (PDF-Download) und als vollständige Dokumentation hier abrufen (PDF-Download). Die Umfrage ist am detailliertesten aufbereitet, was die Meinungen und die Maßnahmen in deutschen Praxen betrifft. So sind hier deutlich mehr als zwei Drittel der Befragten etwas (58 %) bis stark (28 %) besorgt, über ihre wirtschaftliche Zukunft.
- Am breitesten aufgestellt ist die internationale Untersuchung der Marktforscher von CM-Research (PDF-Download hier). Alle zwei Wochen wird hier ein Panel von rund 1.000 Tierärzten in fünf europäischen Ländern (D/IT/GB/FR/ES) sowie den USA und Australien abgefragt. Die aktuellen Daten vom 2. April erlauben es, die Lage international zu vergleichen. Die deutschen Tierärzte sind hier am wenigsten pessimistisch.
Die folgende Tabelle stellt für Deutschland einige Daten aus den Umfragen nebeneinander – soweit die Fragestellungen in etwa vergleichbar waren. Die Reihenfolge in den Tabelle entspricht der zeitlichen Abfolge der Umfragen.
Klar zu erkennen ist, dass mit der Dauer der Corona-Krise die Antworten pessimistischer werden.
Allerdings zeigen die Daten von CM-Research auch eindeutig (Details siehe nächster Absatz), dass die deutschen Tierärzte im europäischen Vergleich noch die besten Rahmenbedingungen haben. Zitat: „Deutschland bleibt trotz einer wachsenden Zahl von Covid-19-Fällen das am wenigsten betroffene EU-Land“ (Anm. d. Red.: in diesem Datenpanel).
Deutschland im internationalen Vergleich
Aus zwei Umfragezyklen hat CM-Research (Umfrage 1 und Umfrage 2) dazu Vergleichszahlen vorgelegt – hier einige Auswertungen für Deutschland:
- Umsatzverluste: Die Zahl der Praxen, die Umsatzeinbußen erwarten, hat sich in Deutschland von Anfang bis Ende Märzt von 35 auf 70 Prozent verdoppelt. Gleichzeitig sehen aber auch bereits 15 Prozent wieder eine Verbesserung gegenüber den ersten Corona-Wochen. In Deutschland sind die negativen Auswirkungen im Vergleich zu den anderen EU-Ländern bisher am geringsten.
- Hygiene-Maßnahmen: Deutsche Praxen haben prozentual – im Vergleich der sieben Länder aus der Umfrage – am häufigsten bereits Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen umgesetzt (94 % / 84 %). Prozentzahlen in dieser Größenordnung finden sich auch in der Ruhm-Service-Umfrage. Das stärkt die Position der Branche auch politisch. Denn eine mit der Einstufung als „systemrelevant“ verbundende Erwartung war, dass die Praxen sich der mit der erlaubten Praxisöffnung verbundenen Verantwortung bewusst sind.
- (Notfall) Behandlungen: Nur elf Prozent der deutschen Praxen haben ihre Präsenz auf Notfallbehandlungen reduziert. In Großbritannien (85 %) oder Frankreich (77 %) ist dieser Wert auch durch Vorschriften ungleich höher. Aber auch in Deutschland ist die Zahl der Praxen gestiegen, die Tierbesitzer auffordern, nur noch zu kommen, wenn es notwendig erscheint (von 33 % auf 73 %). Das ist unter den fünf EU-Ländern aber immer noch der zweitniedrigste Wert.
- Zukunftserwartungen: Insgesamt ist die Stimmung ein klein wenig optimistischer gegenüber der ersten CM-Research-Umfrage. In Summe glauben zwar jetzt 80 Prozent, dass die Zeiten schwieriger werden. Aber der Anteil, der dabei eine deutliche Verschlechterung erwartet, schrumpft (von 41 % auf 30 %); die Zahl derjenigen, die nur noch eine „etwas schlimmere Entwicklung“ sehen, steigt (von 39 % auf 50 %). Das ist – nach Italien, wo man glaubt, den Tiefpunkt der Krise hinter sich zu haben – der zweitbeste Wert in allen sieben Umfrageländern.
Kann man Lehmann-Krise (2008) und Corona-Krise vergleichen?
Die Tiermedizin, speziell der Heimtierbereich, gilt insgesamt als relativ krisenunanfällig. Haustiere gehören zur Familie und die steht in Krisenzeiten besonders im Mittelpunkt. Das ist die Erfahrung aus bisherigen Wirtschaftskrisen. Darauf basiert auch ein gewisser Grundoptimismus unter Tierärzten und vor allem unter Praxisberatern, dass die negativen Auswirkungen beherrschbar bleiben.
Trotzdem ist die Covid-19-Pandemie – in anderen Ländern noch stärker als in Deutschland – mehr als nur eine Wirtschaftskrise. Während es in einer Rezession darum geht, persönliche Prioriäten zu setzen, wofür man das weniger werdende Geld dann ausgibt, hat aktuell ein anderer Faktor die größeren Auswirkungen: der Lockdown.
Vielen Unternehmen ist es schlicht verboten zu öffnen. Tierarztpraxen in Deutschland aber dürfen – und sollen ausdrücklich – weiterarbeiten, nicht nur in der Notfall-, auch in der Grundversorgung (Einstufung der Bundesregierung / PDF-Download). Das sichert Existenzen.
Auch wenn die akute Covid-19-Krise vorüber ist, wird es gesamtgesellschaftlich für viele Branchen zunächst weiter schwierig bleiben prognostizieren Wirtschaftsumfragen (u.a. hier). Aber während zum Beispiel Konsum, Reisen oder Restaurantbesuche erstmal hintanstehen dürften, gilt für Tierarztpraxen dann mit großer Wahrscheinlichkeit das aus früheren Wirtschaftskrisen bekannte Muster: Für ihre (Haus)Tiere sorgen die Menschen weiter, sie verzichten eher auf andere Dinge.
Hilft das „Staatsziel Tierschutz“ durch die Krise?
Zur Zeit schaut man international unter den Tierarztverbänden etwas neidisch darauf, wie Deutschland die Krise managed.
Politisch mag hier das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz durchaus eine Rolle gespielt haben. bpt-Geschäftsführer Heiko Färber jedenfalls sieht bei der Bundesregierung und speziell im zuständigen Bundeslandwirtschaftsministerium die Bereitschaft, die Anliegen der Tierärzte zu hören. Nach Anlaufschwierigkeiten gelten nicht nur die Nutztierpraxen als Teil der Lebensmittelversorgung, sondern alle Tierarztpraxen als systemrelevant. Auch die geplanten Lockerungen im Arbeitszeitgesetz werden für alle Tierarztpraxen gelten. Die dann erlaubten 12 Stunden-Schichten, sollen es systemrelevanten Unternehmen ermöglichen, den Betrieb aufrecht zu erhalten und zugleich den Kontakt unter den Teams zu minimieren. Praxen im europäischen Ausland haben weniger politisches Gehör.
Zum Beispiel in Großbritannien. Dort gelten auch für Tierärzte strenge Lockdown-Regeln. Das hat die britische Tierärztevereinigung (BVA) veranlasst, ein Triage-Tool (PDF-Download) herauszugeben, mit dem die Praktiker entscheiden sollen, wann sie einen Hund oder eine Katze noch behandeln (dürfen) und wann nicht (BVA-Info-Seite hier).
wir-sind-tierarzt kommentiert:
Mit Mut aus der Krise lernen
(jh) – Es ist illusorisch anzunehmen, dass deutsche Tierarztpraxen völlig ungeschoren durch die Krise kommen. Natürlich haben auch sie Umsatzrückgänge. Gewinne werden schrumpfen. Und für einige werden harte Zeiten kommen.
Aber wichtig ist es auch zu sehen, dass im europäischen Vergleich die Rahmenbedingungen hierzulande noch recht gut sind: Die Praxen dürfen nicht nur arbeiten, sie sollen arbeiten, damit Nutz- und explizit auch die Haustiere versorgt sind.
In Deutschland haben die Tierärzte einen Vertrauensvorschuß: Der Staat greift bisher so gut wie gar nicht in die Praxisabläufe ein. Als Mediziner entscheiden die Tierärzte, was eine angemessene Versorgung ist und sollten das auch selbstbewußt weiter tun.
Sie sind umgekehrt natürlich auch verantwortlich für die Sicherheit ihrer Kunden und Mitarbeiter – speziell für die schützenden Hygienemaßnahmen. Dieser Ansatz entspricht dem Ideal eines Freien Berufes, der sich selbst verwaltet und sich dabei seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewußt ist.
Ein Denkmodell, das es in vielen anderen Staaten so nicht gibt – und das sich jetzt bewähren kann.
Zugleich lässt sich in der Krise einiges lernen:
Ist eine gut organisierte Terminsprechstunde nicht eigentlich sogar das, was die Kunden auch in normalen Zeiten lieber hätten? Statt voller Wartezimmer, entzerrte Patientenströme? Mehr Ruhe für die Tiere bei kurzer Zeit in der Praxis? Teams, die sich zügig und konzentriert um Mensch und Tier kümmern? Mehr Kommunikation, Information und Prozeßtransparenz auch innerhalb der Praxen?
Einige Prozesse, die sich jetzt entwickeln und bewähren, sollten und werden auch in Nach-Corona-Zeiten Bestand haben. Womöglich werden sie sogar von Tierhaltern verstärkt eingefordert?
Dazu gehört auch mehr Mut zur Telemedizin. Hier hat Deutschland klaren Aufholbedarf. In der CM-Research-Umfrage liegt man mit 16 Prozent auf dem vorletzten Platz (vor Frankreich mit 12 %). In Großbritannien bieten – sicher auch notgedrungen – 86 % der Praxen Online-Konsultationen an, in den USA und Australien über 40 %, ind den anderen Ländern sind es 30er Prozentzahlen.
Wenn eines sicher ist: Die Möglichkeiten digitaler Dienstleistungen sind nach der Krise so gut wie jedem Deutschen präsent. Selbst meine 81-jährige Mutter hat sich in die Nutzung eines Tabletts eingearbeitet.