Wenn schon eine eigene Praxis, dann doch lieber eine wirklich neue, nach eigenen Wünschen gestaltet? Doch wirtschaftlich ist das nicht unbedingt der Königsweg. Eine Praxisübernahme rechnet sich meist deutlich eher. In seiner zweiten Kolumne zum Thema Praxisgründung belegt unser Sponsorpartner Dr. Andreas Herzog das mit harten Zahlen.
Kolumne von Dr. Andreas Herzog (Vet-Consulting)
In meiner Beratungstätigkeit fragen mich junge Tierärzte häufig: Was ist denn sinnvoller, Praxisübernahme oder Neugründung? Ich habe dazu eine klare Meinung – und kann die auch mit Zahlen belegen. Und das möchte ich an folgendem Beispiel tun:
Der Wunsch: Eine völlig neue eigene Praxis
Zu mir kam eine junge Tierärztin, die sich am Rande einer Großstadt selbständig machen wollte. Zufällig hatten wir gerade eine alteingesessene Praxis in der Vermittlung, abzugeben aus Altersgründen.
Sie lag nur zwölf Kilometer von ihrem Wohnort in sehr guter Lage einer süddeutschen Großstadt. Es waren zwei Tiermedizinische Angestellte (TFA) in Vollzeit und eine Auszubildende beschäftigt. Die Praxis machte etwas mehr als 300.000 Euro Jahresumsatz netto. Die Ausstattung war in Ordnung, aber technisch nicht mehr auf dem neuesten Stand.
Meine Mandantin entschied sich dann doch für eine Neugründung in einem Vorort, der 15 Kilometer von diesem Praxisstandort entfernt war. Ich hatte jedoch schnell einen Käufer für die Praxis gefunden. Damit konnte ich beide Projekte sehr gut miteinander vergleichen, denn sie haben eine ähnliche Größenordnung, liegen in derselben Region und wurden zur gleichen Zeit realisiert.
Verlockend: 75.000 Euro weniger investieren
Die abzugebende Praxis kostete inklusive Ausstattung und Apotheke 195.000 Euro. Für Umbau und Neuanschaffungen von Digital-Röntgen und Ultraschall waren nochmals 85.000 angesetzt. Damit musste der Käufer bei der Übernahme insgesamt 280.000 investieren.
Bei der Neugründung fielen Umbaukosten von 90.000 Euro an. In die Erstausstattung für Geräte und Einrichtung investierte meine Kundin 100.000 Euro und in die der Apotheke 15.000. Insgesamt war hier also 75.000 Euro weniger Startkapital notwendig (205.000 Euro).
Neugründung mit ambitioniertem Umsatzziel
Bei der Neugründung hatten wir im ersten Jahr einen Umsatz von 100.000 Euro geplant. Der sollte dann im Jahr zwei auf 150.000 (+50 %) anwachsen und im dritten Jahr um weitere 30.000 Euro (+20 %) steigen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass ein solcher Plan machbar, aber ambitioniert ist. Bei weitem nicht alle Neugründungen erreichen 180.000 Euro Umsatz im dritten Jahr.
Übernahme: Umsatz ab dem ersten Tag
Im Vergleich zur Übernahme sind aber auch diese Umsätze einer neugegründeten Praxis eher bescheiden. Wer eine gutgehende Praxis übernimmt, erzielt üblicherweise ab dem ersten Tag ausreichende Umsätze. In diesem Fall knapp 300.000 Euro. Damit steht auch Liquidität zur Verfügung, um neben Zins und Tilgung noch mehr als 3.000 Euro pro Monat aus der Praxis zu entnehmen.
Außerdem ist – so meine Erfahrung – die Höhe der Umsätze und der Gewinn viel genauer vorherzusagen, denn der Standort hat ja schon bewiesen, dass er „funktioniert“. Viele der von mir betreuten Praxisübernahmen hatten eher das Problem, das starke Wachstum zu managen. Sprich: Sie mussten in kurzer Zeit entweder ausreichend viel und gutes Personal finden oder waren durch die langen Arbeitszeiten sehr gefordert.
Personal „mit kaufen“: Gut oder schlecht?
Bei einer Praxisübernahme ist der Käufer allerdings verpflichtet, das Personal zu übernehmen. Manche empfinden das als Nachteil, weil man sich sein Team nicht aussuchen kann. Ich sehe darin eher einen Vorteil: Ab dem ersten Tag gibt es Mitarbeiter, die die Arbeitsabläufe und vor allem auch die Kunden gut kennen. Sie sind wichtig für die Kundenbindung. Außerdem ist es in manchen Regionen überaus schwierig, geeignetes Personal zu finden.
Banken mögen Übernahmen
Ein weiterer Vorteil bei einer Praxisübernahme ist die „einfachere Finanzierung“. Ein Käufer kann den Banken belastbare Umsatz- und Gewinnzahlen der Praxis vorlegen. Steht der Kaufpreis dann im vernünftigen Verhältnis zum Gewinn, ist es durchaus möglich, eine günstige Finanzierung ohne Eigenkapital und zusätzlichen Sicherheiten zu bekommen. Bei Neugründungen müssen die Businesspläne gut durchdacht und viel ausführlicher sein. Die Banken sind bei der Kreditvergabe vorsichtiger.
Pluspunkt: Liquidität statt Kredit
Vergleicht man nun die Zahlen der Beispielpraxen, so gibt es zwei wichtige Unterschiede:
- Die Praxisübernahme ist zunächst teurer. Aber auf der anderen Seite addieren sich die Gewinne in den ersten drei Jahren auf insgesamt über 240.000 Euro. Die Liquidität – also das, was nach Steuern, Krankenversicherung, Versorgungswerkzahlungen sowie Zins und Tilgung zur Verfügung steht – beläuft sich in dem gezeigten Beispiel auf rund 140.000 Euro in drei Jahren.
- Bei der Neugründung beträgt der Gewinn im gleichen Betrachtungszeitpunkt nur knapp 40.000 Euro. Die Praxis erwirtschaftet auch fast keine Liquidität (nur 15.000 in drei Jahren). Das bedeutet: Es muss ein anderes Finanzierungskonzept gewählt werden, um die Lebenshaltungskosten zu decken – zum Beispiel mit zunächst zwei tilgungsfreien Jahren und/oder einer längeren Laufzeit von 15 statt zehn Jahren.
Mein Rat: Wenn möglich übernehmen
Deshalb rate ich immer allen jungen Tierärzten: Ziehen Sie die Übernahme einer Praxis als erstes in Betracht. Die Risiken sind viel niedriger, weil sich eine Übernahme in den meisten Fällen besser rechnet. So macht sie am Ende des Tages auch mehr Freude.
Außerdem gilt: Nie waren die Chancen für die Übernahme von guten Praxen besser. Das habe ich in meiner letzten Kolumne ja schon aufgezeigt. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Tierärzte deshalb das Feld nicht nur großen Ketten oder Investoren überlassen.
In den nächsten Folgen meiner Kolumne geht es u.a. darum …
- Welche fünf Fehler man bei einer Praxisgründung nicht machen sollte
- Wie man sich beim Praxisverkauf an Investoren nicht über den Tisch ziehen lässt
Unser Gastkolumnist Dr. Andreas Herzog ist Gründer und Inhaber der Praxisberatung Vet-Consulting. Er hat 1994 das Vetmedlabor gegründet und zum europäischen Marktführer ausgebaut, bevor es von Idexx übernommen wurde. Das ebenfalls von ihm gegründete Beratungsunternehmen Vet.netzwerk wurde von der Klinikkette-AniCura übernommen.