Über Arbeitszeiten lässt sich trefflich streiten. Aber dass das Arbeitszeitgesetz den tierärztlichen Notdienst gerade im Würgegriff hat, ist unbestritten. Warum gibt es für die Tiermedizin keine Flexibilisierung wie in anderen Notdienstbranchen? Wollen angestellte Tierärzte das wirklich nicht? Ein Kommentar.
Kommentar von Jörg Held
Für die Tiermedizin ist das Arbeitszeiturteil des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeiterfassung (Details hier) doppelt gut:
- Erstens verbessert es die Situation der angestellten Tierärzte. Es ist längst überfällig, dass alle tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden auch erfasst und vergütet werden. Spätestens mit der kompletten Aufzeichnungspflicht sollte es da keine Schlupflöcher mehr geben. Das ist gut.
- Zweitens können aber auch die Praxisinhaber zumindest etwas Hoffnung haben. Denn um die EU-Vorgabe zur Arbeitszeiterfassung zu ergänzen, muss jetzt das deutsche Arbeitszeitgesetz „geöffnet“ werden. In diesem parlamentarischen Prozess wäre es dann auch möglich, die Arbeitszeiten für nicht tarifgebundene Unternehmen zu flexibilisieren. Dann bekämen Tierarztpraxen und -kliniken den dringend nötigen Spielraum, ihre Dienstzeiten ähnlich zu gestalten, wie etwa die Humanmedizin (dort mit Tarifvertrag).
Politische Initiativen – und Proteste
Entsprechende politische Initiativen zur Arbeitszeitflexibilisierung gibt es: von der Bundesregierung die Mittelstandsstrategie von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (PDF-Download) oder aus Bayern einen aktuellen Antrag im Bundesrat (PDF-Download).
Flexibilisierung bedeutet dabei nicht, dass die 40-Stunden-Wochenarbeitszeit verlängert wird. Die 40 Stundengrenze soll bleiben. Aber die Stunden sollen anders (länger als acht Stunden) auf die Arbeitstage und vor allem die Nacht/Wochenenddienste verteilt werden können. Auch die Ruhezeit zwischen zwei Arbeitseinsätzen sollen kürzer als bisher elf Stunden ausfallen dürfen.
Problem: Die SPD und Arbeitsminister Hubertus Heil lehnen eine solche Änderung bislang ab. Anfang 2019 war schon ein Antrag mit gleichem Ziel aus NRW im Bundesrat gescheitert. Auch der Bund Angestellter Tierärzte hat einer solchen Flexibilisierung per Gesetz bisher immer eine Absage erteilt, zuletzt auf dem bpt-Kongress in München.
Eine Ablehnung ist kurzsichtig
Meine These: Eine prinzipielle Ablehnung ist kurzsichtig, denn ohne flexiblere Arbeitszeiten wird es bald keinen flächendeckenden tierärztlichen Notdienst mehr geben.
Wenn deshalb Tiere sterben, ist das eine Tierschutzfrage. Das Thema kann zu einem veritablen Imageproblem der Tierärzteschaft werden. Was steht eigentlich rechtlich höher? Der Tierschutz im Grundgesetz oder das Arbeitszeitgesetz – zu dem es ja in anderen Branchen mit Notdienst auch Ausnahmen gibt, das also nicht sakrosant ist?
Natürlich müssen Nacht- und Notdienste, muss Mehrarbeit angemessen bezahlt werden. Auch zu flexibleren Arbeitszeiten muss es Betriebsvereinbarungen geben. Aber sowas regelt nicht das Arbeitszeitgesetz (AZG) – es verhindert das momentan sogar.
Der tiermedizinische Arbeitsmarkt wird sowieso zu einem Angestelltenmarkt – es gibt einen Arbeitskräftemangel. Gerade Tierärztinnen mit Kindern könnten dann sehr flexible Modelle aushandeln. Wollen sie wirklich lieber die starren AZG-Regeln? Das wäre traurig.
Großbritannien: Wunsch nach der Vier-Tage-Woche
Beispiel Großbritannien: Dort gibt es Nachtklinikmodelle mit anderen, längeren Arbeitszeiten (z.B. Vets Now). Tierärzte dort arbeiten nur im Nacht- und Notdienst und verdienen dabei in wenigen Tagen weit mehr als in der klassischen Fünf-Tage-Woche.
Und auch eine aktuelle Umfrage auf der London Vet Show 2019 zeigt: Zumindest dort können sich über 90 Prozent der Tierärzte sehr gut vorstellen, ihr Wochenpensum in vier Tagen abzuarbeiten – was aber auch bedeutet: Der Tag hat mehr als acht Arbeitsstunden.
Meine Frage: Warum soll oder darf es das hierzulande nicht geben?