Deutschlands Rinderhalter kämpfen seit Dezember 2018 wieder mit der Blauzungenkrankheit. Jetzt scheint sich die Situation laut Einschätzung des FLI zu verschärfen, denn die vektoraktive Zeit (Gnitzenflug) hat begonnen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat deshalb die Verbringungsregeln für Kälber verschärft. Gleichzeitig gibt es Lieferengpässe bei Impfstoffen. Für Tierhalter und Tierärzte eine schwierige Lage. Eine Übersicht.
(aw) – Die Blauzungenkrankheit trat erstmals 2006 in Deutschland auf, ausgehend von einer Punktquelle im Grenzgebiet von Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Das Virus traf auf eine völlig unvorbereitete Tierpopulation und richtete erhebliche Schäden bei Rindern und kleinen Wiederkäuern an. Die deutschen Behörden haben Tierhalter für den Verlust von mindestens 33.000 Schafe, 10.240 Rinder und 102 Ziegen entschädigt. Durch flächendeckende Pflichtimpfungen gelang es damals, das Virus zu eliminieren. Von 2012 bis 2018 galt Deutschland als offiziell seuchenfrei.
Latentes Infektionsrisiko
Im benachbarten Ausland ist es um das Blauzungenvirus nicht so ruhig geblieben. In Frankreich zirkulierte der Serotyp-8 seit 2015 erneut. Im vergangenen Jahr (2018) erkrankten dort mindestens 671 Tiere; in Italien zählten die Behörden 124 Fälle. Es war daher lediglich eine Frage der Zeit, wann das Virus den Weg zurück nach Deutschland finden würde, denn einige der Fälle in Frankreich traten weniger als 150 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt auf.
Im Dezember 2018 wurde das Virus dann bei einem Tier im Landkreis Rastatt in Baden-Württemberg nachgewiesen. Bis Mai 2019 stieg die Zahl der hierzulande infizierter Tiere auf 56 an, wobei in einigen Fällen eine nicht korrekt durchgeführte Blutprobenentnahme zu einem positiven Blutbefund geführt haben könnte.
Aktuelle Informationen zu Restriktionszonen stellt die EU-Kommission auf ihrer Internetseite bereit.
Gnitzenflug erhöht das Verbreitungsrisiko
Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) hat aktuell das Blauzungeninfektionsrisiko neu bewertet und sieht ein hohes Risiko der Krankheitsausbreitung. Grund ist die vektoraktive Zeit. Das Virus verbreitet sich über Vektoren (in diesem Fall Gnitzen). Die sind von Mai bis Oktober besonders aktiv, während für April und November nur eine mäßige Aktivität der Gnitzen und damit auch ein mäßiges Infektionsrisiko besteht.
Aufgrund der neuen FLI-Einschätzung hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) die Bestimmungen für Kälber, die aus einer Blauzungen-Sperrzone in freies Gebiet verbracht werden sollen, zum 18. Mai deutlich verschärft.
Strenge Regeln für den Kälberhandel
Besonders einschneidend sind die Änderung für Kälber unter drei Monaten. Sie dürfen jetzt die Sperrzonen nur noch verlassen, wenn ihre Mütter bereits vor Beginn der Trächtigkeit eine abgeschlossene Grundimmunisierung vorweisen können und die Kälber nach ihrer Geburt zeitnah Kolostrum ihrer Mutter erhalten haben.
Bisher reichte etwa in Bayern ein negativer Blutbefund aus, damit die Kälber die Sperrzone verlassen durften. Pro Woche betrifft dies rund 4.000 Kälber allein in Bayern. Ansonsten müssen ältere Tiere vor dem Transport über einen entsprechenden Impfschutz und eine zeitnahe Behandlung mit Repellentien verfügen.
Impfstoffmangel behindert Viehhandel
Da derzeit immer noch nicht genug Blauzungenimpfstoff bereit steht (siehe unten), sind viele Kühe innerhalb und angrenzend an die Sperrgebiete nicht geimpft. Eine Grundimmunisierung besteht aus zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen und zwischen der zweiten Impfung und einer Belegung sollten 24 Tage liegen. Dazu kommt dann eine Trächtigkeitsdauer von neun Monaten.
Das bedeutet: Ein Teil der in den nächsten elf Monaten geborenen Kälber wird nicht über den geforderten Impfschutz verfügen und somit die Sperrzonen nicht verlassen dürfen. Da es gut möglich ist, dass diese Sperrzonen noch ausgeweitet werden müssen, wären dann auch Kälber aus Gebieten betroffen, die zur Zeit noch nicht als gefährdet angesehen werden.
Sind virämische Kälber eine Gefahr ?
Das FLI schätzt die Gefahr, dass virämische Kälber das Virus übertragen, allerdings nicht besonders hoch ein. Bis Ende März 2019 gelang im Nationalen Referenzlabor erst acht Mal der Nachweis eines virämischen Kalbes. Solange in Deutschland nicht klar sei, wie hoch der Anteil virämischer Kälber ist, werde das Übertragungsrisiko durch Virämiker in der vektorarmen Zeit als vernachlässigbar und in der vektoraktiven Zeit als mäßig eingestuft, schreibt das FLI in seiner aktuellen Beurteilung.
Besser: Ganz Deutschland wird zum Restrikitionsgebiet?
Weiterhin regen die Experten des FLI an, unter Umständen ganz Deutschland zum Restriktionsgebiet zu erklären. Das würde den innerdeutschen Tierverkehr unproblematischer gestalten. Dann würden die strengen Verbringungsregeln lediglich für Exporttiere gelten, denn innerhalb einer Sperrzone dürfen die Tiere lediglich zum Zeitpunkt der Verbringung keine Krankheitssymptome zeigen, benötigen eine entsprechende Tierhaltererklärung und die Vorgaben der Sperrzone müssen beachtet werden.
‚Allerdings wissen die Entscheidungsträger auch, dass sehr viele Kälber nach Spanien, Italien und Frankreich sowie in die Niederlande verkauft werden, sodass viele Halter ihre Tiere trotzdem rechtzeitig impfen müssten.
Für den Export hat das BMEL inzwischen Sondervereinbarungen mit den Niederlanden, Spanien und auch Italien ausgehandelt. Damit ist der Export einfacher, als etwa das Verbringen von Bayern nach Niedersachsen.
Restriktionszone im Südwesten Deutschlands
Die aktuelle Restriktionszone, die im Radius von 150 Kilometer um einen Ausbruch gezogen wird, umfasst die kompletten Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland, sowie das südliche Nordrhein-Westfalen, Süd- und Mittelhessen und den westlichen Teil Bayerns. Diese Zone basiert auf der EU-Verordnung (EG Nr. 1266/2007), die sich mit der Bekämpfung und Überwachung der Blauzungenkrankheit in Europa beschäftigt.
Schwierige Impfstoffbeschaffung
Aufgrund der neuen Bestimmungen und der anhaltenden Lieferengpässe, bemüht man sich im Bayrischen Staatsministerium, per Sondergenehmigung über den TGD aus Nachbarländern Impfstoff zu beziehen und an Tierärzte in Risikogebieten zu verteilen.
In einem Rundschreiben weist die Firma MSD allerdings darauf hin, dass dieser Impfstoffeinkauf aus einem anderen europäischen Mitgliedsstaat per Sonderlizenz über einen ausländischen Großhändler erfolgte und MSD für die pharmazeutische Qualität des Impfstoff keine Verantwortung übernehmen könne, auch wenn er vom MSD-Partner CZVaccines hergestellt wurde.
Außerdem soll es sich bei der Lieferung um Kurzläufer handeln (Haltbarkeitsdatum wird schneller erreicht).
MSD erwartet, bis Ende Juni (KW 26) rund 2,5 Millionen Impfdosen Bovilis® Blue-8 bereitstellen zu können. Die Firma Virbac wird vermutlich ab Mitte Juni einen Kombinationsimpfstoff mit den Serotypen 8 und 4 anbieten können. Dieser Impfstoff ist vor allem für Bayern interessant, da neben der Bedrohung durch den Serotyp 8 aus dem Südwesten ein potentielles Infektionsrisiko für den in Südosteuropa präsenten Serotyp 4 besteht.