Für Tierärzte gibt es keinen Tarifvertrag, weil es in der Branche (noch) keine Tarifparteien gibt. Jetzt hat sich der „Verbund unabhängiger Kleintierkliniken“ gegründet. Er will explizit Arbeitgeberinteressen vertreten. Doch bis zu einem Tarifvertrag ist es noch ein weiter Weg.
von Jörg Held
„Der Markt hat auf uns gewartet.“ Für Dr. Dirk Remien, Chef der Tierklinik Lüneburg war die Zeit reif. In der tierärztliche Arbeitswelt vollziehe sich ein rasanter struktureller Wandel, auf den gerade die inhabergeführten Praxen und Kliniken reagieren müssten. Im Januar haben fünf Tierkliniken/Tiergesundheitszentren (siehe Foto) deshalb den Verbund unabhängiger Kleintierkliniken (VUK) als eingetragenen Verein gegründet. Dr. Dirk Remien und Dr. Tim Bonin (Tierklinik Posthausen) sind die Gründungsvorsitzenden.
Etwa eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit haben Remien, Bonin und ihre Mitstreiter investiert, bevor sie jetzt am 3. April in Kassel auf dem ersten VUK-Bundestreffen mit über 20 Kleintierkliniken und Kleintierzentren, die Ziele des neuen Verbundes vorgestellt haben.
„Das Interesse ist groß. Drei weitere Mitgliedsanträge liegen bereits vor und ein zweites Treffen ist in Planung“, freut sich Remien am Tag danach. Ziel ist es zügig auf 50 Mitglieder zu wachsen.
Warum ein Arbeitgeberverband?
Die Folgen der veränderten Arbeitswelt spürten insbesondere größere Behandlungseinheiten. Stichworte sind gesetzeskonforme Arbeitszeiten und damit zusammenhängende Notdienstprobleme; Angestellte Tierärzte pochen immer lauter auf bessere Gehälter. Gleichzeitig steigt das Anspruchsdenken vieler Patientenbesitzer.
Viele Selbständige sähen sich deshalb zunehmend mit scheinbar unlösbaren Problemen konfrontiert. Frustration, Aufgabe des Klinikstatus oder der Verkauf an Investoren oder Konzerne sind mögliche Folgen. „Es ist Zeit, dass wir als Arbeitgeber gemeinsam nach Lösungen suchen, um den wirtschaftlichen Wandel und die notwendigen Strukturanpassungen zu bewältigen – ohne unsere Individualität abzulegen. Wir müssen und wollen etwas tun,“ sagt Remien.
Wer kann Mitglied werden?
Im neuen Arbeitgeberverbund sollen sich im ersten Schritt „bundesweit agierende, unabhängige Kleintierkliniken, Tiergesundheitszentren und auf Klinikniveau arbeitende Kleintierpraxen“ zusammenfinden. Die Mitgliedschaft ist dabei ausdrücklich nicht an einen (kammerechtlichen) Klinikstatus gebunden. Auch juristische Gesellschaftsformen sind kein Ausschlusskriterium. Wichtig ist aber der Status „privat und inhabergeführt“.
Der Fokus auf das Kleintiersegment ist laut Remien den Kapazitäten geschuldet: „Pferdekliniken und andere Praxen haben sicher ähnliche Probleme. Aber wir wollen unseren Mitgliedern ja auch Leistungen bieten. Deshalb fangen wir da an, wo wir uns auskennen.“
Das Fernziel: Ein Tarifvertrag
„Wir brauchen neue Arbeitszeitregeln vor allem für die Not- und Wochenenddienste.“ Anders als andere Branchen, in denen es (tarifliche) Ausnahmeregeln gibt, treffe die Tierarztpraxen „das Arbeitszeitgesetz in seiner härtesten Form“, betont der VUK.
Das Kernthema Tarifvertrag für angestellte Tierärzte steht also auch auf der Agenda – wenn auch erst auf lange Sicht. „Das wird ein steiniger Weg.“ Die möglichen Tarifpartner – der neugegründete VUK und der bereits seit 2016 bestehende Bund angestellter Tierärzte (BaT) – müssen nämlich deutlich mehr Mitglieder aufweisen und flächendeckend vertreten sein und damit „soziale Mächtigkeit“ haben, um überhaupt Tarifautonomie zu erhalten.
Arbeitgeber bereit für eine Tarifbindung?
Den Arbeitgebern ist dabei klar, dass ein Tarifvertrag nicht nur Arbeitszeitflexibilisierung bringen wird, sondern auch die ganze Bandbreite der Arbeitnehmerrechte abdeckt (siehe Humanmedizin).
Dafür – und das hat Remien sogar etwas überrascht – „war aber die Mehrheit bei unserem Treffen absolut offen. Wir sind bereit für eine Tarifbindung.“ Der Verband werde aber, wie andere Arbeitgeberverbände auch, eine „o-T-Mitgliedschaft“ anbieten, also eine „ohne verpflichtende Tarifbindung“, denn es gehe um mehr: Das gemeinsame Auftreten als attraktive Arbeitgeber.
Das Arbeitgeberimage verbessern
Selbstkritisch geben die Verbandsgründer zu: „Das Ansehen von Kleintierkliniken als Arbeitgeber hat aufgrund schlechter Mitarbeiterführung und durchgehender Missachtung des Arbeitszeitgesetzes gelitten.“ Doch Remien betont: „Viele Kliniken und Praxen haben schon gegengesteuert.“ Arbeitszeitkonforme Dienstpläne, angemessene Gehaltsmodelle und modernes Mitarbeitermanagement – das sei vielfach in weiten Teilen umgesetzt. Dies gelte es nun mit Hilfe des neuen Arbeitgeberverbandes auch nach außen darzustellen.
Aber es gilt auch: „Die Diskussion um Entlohnungsmodelle und Arbeitszeiten ist wichtig und richtig, jedoch halten wir eine Versachlichung der Debatte sowie die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungskraft von Arbeitgebern für erforderlich.“
Mit Arbeitnehmern „moderner“ umgehen
Die Verbundmitglieder verpflichten sich deshalb auch zu einem „modernen Mitarbeitermanagement“. Das nicht ganz selbstlos: Der Kampf um Mitarbeiter sei bei einem sich verschärfenden Fachkräftemangel in vollem Gange, räumen sie ein. Mit Standards wollen die Arbeitgeber hier ihre Attraktivität dokumentieren. Es geht (unter anderem) um flexible Arbeitszeitmodelle, um angemessene Vergütungen und die Bildung von Arbeitsausschüssen, um gutes und kollegiales Verhalten untereinander sowie zukunftsorientiertes Handeln zu verankern.
Studierende und Arbeitnehmer sollen durch besondere Fortbildungen gezielt gefördert und gebunden werden. Für PraktikantenInnen will der VUK eine Plattform schaffen und Studierende schon im praktischen Jahr mit Rotationsprogrammen in spezialisierten VUK-Einheiten gezielt fördern. Die Praktikumstandards hat der Verband gemeinsam mit dem Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden entwickelt.
Eigenes Qualitätssiegel
Das ganze soll – ganz unabhängig von Tarifverträgen – in ein eigenes Qualitätssiegel für Verbandsmitglieder münden. Indem man die gemeinsamen Leitlinien und Standards erfüllt, will der VUK eine „durchgehende Arbeitgeberqualität sichern, und sich so gegenüber Kunden, Arbeitsmarkt und Geschäftspartnern behaupten“.
Mehr über den Verband unabhängiger Kleintierkliniken findet sich auf der Webseite www.vuk-vet.de
wir sind Tierarzt meint: Jetzt wird es spannend
(jh) – Nein, die Bäume werden in der nächsten Zeit nicht in den Himmel wachsen. Hoffnung auf den heiss ersehnten Tarifvertrag sollte sich in den nächsten Jahren noch keiner machen.
Und es ist auch noch nicht ausgemacht, ob es der ohnehin schon kleinen Tierarztbranche als Ganzes berufspolitisch gut tut, wenn sich weitere „Abkürzungen“ dazu addieren – eine kleine Übersicht: BTK, 17 LTK/TÄK, bpt, BbT, DVG, TVT, FIT, BaG, bvvd, BaT, VUK, TfvL …
Der Fokus des neuen Verbundes auf „unabhängige Kleintierkliniken“ teilt die Gruppe der Arbeitgeber dann noch weiter auf. Bei den Pferdepraktikern sind die Arbeitgeberprobleme mindestens genauso drängend. Und was ist mit den Nutztierpraxen? Oder den neuen Corporates?
Fragen kann man viele stellen?
Doch Schwarzmalen gilt nicht: Es ist gut, dass Bewegung in die Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen der Branche kommt. Um Veränderung zu gestalten, darf und muss man auch neue Wege erproben. Da muss es nicht immer der typisch deutsche, große, bis ins Detail ausgeklügelte und ausgewogene Wurf sein. Einfach mal machen und dann Schritt für Schritt weitersehen, ob die Ergebnisse halten, was die Ideen versprechen. Qualitätsstandards sind ein guter Ansatz.
Die Grenzen setzen denn auch nicht Debatten im Vorfeld, sondern die Realität in Form von Mitgliederzahlen und verbindlichen Ergebnissen.
Klagen, fordern und erwarten, dass sich was ändert, ist leicht. Sich als Mitglied aktiv einzubringen, auch finanziell, und dann mit langem Atem gestalten und Konflikte ebenso wie Kompromisse aushalten, ist ein anderer Schritt.
Der Bund angestellter Tierärzte (BaT) – die Arbeitnehmerseite – hat inzwischen zwar über 3.000 „Mitglieder“ in der Facebookgruppe. Aber die Zahl der „echten“ Verbandsmitglieder nähert sich nach knapp drei Jahren immer noch erst langsam der Zahl 400. Und auch die fünf/acht oder gar 20 interessierten Arbeitgeber des VUK müssen noch deutlich mehr Mitstreiter finden.
Einen Versuch ist es wert.