Notdienstproblem: Keine Änderung des Arbeitszeitgesetzes in Sicht

Nach bpt-Gespräch: Bundesarbeitsministerium will Arbeitszeitgesetz für Tierärzte nicht ändern. (Foto: Ausschnitt bpt-Arbeitszeitgesetz-Faltblatt/ §-Montage jh)

Humanmediziner dürfen – tarifvertraglich geregelt – bis zu 36 Stunden Not- und Bereitschaftsdienste leisten. Bei Tierärzten ist das durch das Arbeitszeitgesetz verboten. Der bpt sondiert, ob es hier zumindest eine Lockerung geben könnte – wie zum Beispiel in der Schweiz. Doch das Bundesarbeitsministerium zeigt wenig Bereitschaft und verweist auf andere Modelle, etwa aus dem Schornsteinfegerhandwerk.

(jh/bpt) – Das Thema brennt den Tierärzten unter den Nägeln: Immer mehr Tierkliniken geben ihre Zulassungen zurück (mehr hier). Sie können die Anforderungen des Nacht- und Wochenenddienstes kaum noch wirtschaftlich leisten, ohne in Konflikt mit dem Arbeitszeitgesetz zu geraten. Als Folge befürchtet der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) „massive Versorgungslücken“ mit womöglich spürbaren Folgen für den Tierschutz. Er schreibt, es gehe um die wohnortnahe Versorgung von Tieren, aber auch um den Einsatz von Tierärzten im Tierseuchenfall – etwa der ASP-Bekämpfung.

Keine Flexibilisierung über Tarifverträge

Die im Arbeitszeitgesetz angelegten Flexibilisierungsmöglichkeiten – in Tarifverträgen darf man längere Arbeitszeiten einvernehmlich vereinbaren – könne die Tierarztbranche nicht nutzen, hält der bpt fest: Aufgrund der historisch gewachsenen Verbandsstrukturen gebe es keine Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Verbände, die ohne „gegnerfreie“ Mitgliedschaften einen Tarifvertrag schließen könnten.

Arbeitsministerium: Keine Änderung am Arbeitszeitgesetz

Um dennoch Wege für kurzfristige Erleichterungen auszuloten, hat eine bpt-Delegation im Februar 2019 beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Berlin versucht, die Sicht der Praktiker unmittelbar einzubringen. Die eindringlichen Schilderungen der Tierärztevertreter schienen beim BMAS durchaus anzukommen. berichtet der Verband. Gleichwohl habe das Ministerium wenig Neigung gezeigt, Änderungen am Arbeitszeitgesetz in Erwägung zu ziehen. Vielmehr wurde der bpt mehrfach ermutigt, „kollektivvertragliche Regelungen“ einzurichten. Stichworte, die von Ministeriumsseite fielen, waren zum einen die Stärkung der Freien Mitarbeit sowie ein Hinweis auf Entwicklungen im Schornsteinfegerhandwerk. Beide Ansätzen hätten leider einer Recherche des bpt nicht standgehalten.

Vorbild Schornsteinfegerhandwerk?

Zwar hat des Bundesarbeitsgericht eine Entscheidung zur Tariffähigkeit im Schornsteinfegerhandwerk gefällt (AZR 279/16). Doch in der Branche gibt es getrennte Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Die dortige Gewerkschaft – der Zentralverband Deutscher Schornsteinfeger (ZDS) –  hatte lediglich eine problematische Mitgliedschaftsstruktur. So sind im ZDS „nicht selbständige Schornsteinfeger/in …, der/die Gesellenprüfung im Schornsteinfegerhandwerk bestanden hat“, die ordentlichen Mitglieder; „selbständige Schornsteinfeger“ konnten aber Fördermitglieder werden. Das hat der ZDS inzwischen per Satzungsänderung behoben, Selbsständige können nur noch Gast- oder Ehrenmitglieder sein. So hat das Bundesarbeitsministerium die Tariffähigkeit des ZDS anerkannt.
Aus diesem Modell lässt sich nach Auffassung des bpt für die praktizierenden Tierärzte nichts Hilfreiches ableiten. Im bpt sind Praxisinhaber und Angestellte gleichberechtigte Mitglieder.

Risiko: Lange Notdienste per Freier Mitarbeit abdecken

Der zweite Ministeriumsvorschlag, den Notdienst über eine Freie Mitarbeit von Selbständigen leisten zu lassen weil diese länger arbeiten dürfen, sieht der bpt ebenfalls kritisch. Solche Modelle stünden regelmäßig unter Verdacht der „Scheinselbstständigkeit“. Dem bpt-Rechtsreferat lägen aktuell kritische Fälle vor. Diese würden die Hoffnungen dämpfen, auf diesem Weg einen Durchbruch erzielen zu können.
Das Bundesarbeitsministerium habe aber noch weitere eigene Recherchen angekündigt, deren Ergebnisse der bpt „gespannt erwartet“.

Bund angestellter Tierärzte erwartet Tarifparteien

In der Tierärzteschaft hat sich 2016 der „Bund Angestellter Tierärzte“ (BaT) gegründet. Er will als Gewerkschaft die Interessen der Angestellten vertreten und positioniert sich immer wieder klar gegen eine „Flexibilisierung der Arbeitszeiten ohne weitere Zugeständnisse“. Als solche sieht der Verband eine Gesetzesänderung. Gleichzeitig hat der BaT-Vorsitzende Christian Wunderlich schon mehrfach (zuletzt via facebook / s.u.) angekündigt, dass sich in Sachen möglicher Tarifparteien in der Tierarztbranche etwas ändern werde – ohne allerdings konkret zu werden.
(Aktualisierung 4.4.2019: Inzwischen hat sich ein Arbeitgeberverbund gegründet / Bericht hier)

BaT-Position zur Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes und Tarifpartien in der Tiermedizin (via facebook / der Hinweis „dieser Artikel“ bezieht sich auf einen früheren bpt-Artikel )

Handlungsdruck in der Tierarztbranche erkannt

Dennoch zieht der bpt ein positives Fazit der Begegnung im Arbeitsministerium: Der Handlungsdruck aus der Tierarztbranche sei in Berlin ernsthaft zur Kenntnis genommen worden. Dazu gehöre auch das Spannungsfeld zwischen unzureichenden Liquidierungsmöglichkeiten im Notdienst in den Grenzen der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT). Hier fordern die Tierarztverbände, kurzfristig eine neue gesonderte Notdienstgebühr in den GOT aufzunehmen.
Über die Ressortgrenzen hinweg soll hier auch der Kontakt zum Bundeslandwirtschaftsministerium gesucht werden, das sich laut bpt bereits offen für wirtschaftliche Verbesserungen gezeigt habe.
In punkto Arbeitszeit-Flexibilisierung geht indes die Suche nach einer tragfähigen Lösung weiter.

Alle Artikel zum tierärztlichen Arbeitszeitproblem hier unter dem Suchwort Arbeitszeitgesetz

Quelle(n):
• Meldung des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt / 25.3.2019)

weiterführende Informationen:
• bpt-Broschüre Arbeitszeitgesetz/Arbeitszeiterfassung in der Tierarztpraxis (PDF-Download)
• direkt im Artikel verlinkt

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Über den Autor

Jörg Held

Jörg Held (jh) ist Journalist, Kommunikationswirt und Redaktionsberater mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit 2007 auch im Bereich Tiermedizin unterwegs, davon 5 Jahre als Redaktionsleiter der VETimpulse. Auch bei wir-sind-tierarzt.de leitet er die Redaktion und ist schwerpunktmäßig für berufspolitische Themen und die Nachrichten verantwortlich. Kontakt: joerg.held(at)wir-sind-tierarzt.de
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