Antibiotikaresistenzen sind in Europa weiter auf dem Vormarsch und die Gegenmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten reichen häufig noch nicht aus. Das sagt der neue europäische Bericht zu Antibiotikaresistenzen. Er basiert auf Daten aus 2017 zu verschiedenen Erregern, die Menschen und Tiere gleichermaßen infizieren können. Doch es gibt auch Länder, in denen die Resistenzraten langsam sinken: Eine interaktive Grafik zeigt die Daten für jedes Antibiotikum in jedem Land.
(aw) – Den aktuellen Report zur Resistenzlag in Europa legen zwei EU-Institutionen gemeinsam vor: Das European Centre for Disease Prevention and Control (EDC) und die European Food Safety Authority (EFSA). Sie haben sich sich mit Keimen befasst, die von Menschen auf Tiere oder umgekehrt übertragen werden und Erkrankungen (Zoonosen) auslösen können. Das sind vor allem Campylobacter (C. coli, C. Jejuni), Salmonellen (Salmonella spp., Salmonella Typhimurium, monophasische Salmonella Typhimurium, Salmonella Derby) und E. coli-Indikatorkeime. Die untersuchten Bakterien stammen von Menschen, Kälbern und Schweinen oder wurden der Oberfläche von Schlachtkörpern von Kälbern und Schweinen entnommen.
Resistenzraten je Keim und Land
Die EU-Behörden haben eine interaktive Grafik entwickelt, in der man für jeden der beprobten Erreger und jede Herkunft die jeweiligen Resistenzraten der einzelnen Staaten gegenüber ausgewählten Antibiotika vergleichen kann. (Link direkt zur Grafik)
Alle Daten und Einordnungen lassen sich ausführlich im 278 Seiten umfassenden Bericht nachvollziehen.
EU-Kommissar: Alarmierende Ergebnisse
Vytenis Andriukaitis, EU-Kommisar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, hält die Ergebnisse des Berichts für alarmierend. Weil antimikrobielle Resistenzen weit verbreitet seien, könne es bei den genannten Erregern schwierig werden, selbst harmlose Infektionen mit gängigen Antibiotika zu behandeln. Er lobt in diesem Zusammenhang die nationalen Bestrebungen, den Antibiotikaverbrauch zu minimieren (Daten für Deutschland aus 2017 hier). Andriukaitis betont, wie wichtig es sei, Humanmedizin, Tiermedizin und die damit zusammenhängenden Umweltbereiche im One-Health Konzept zusammenzubringen. Dessen Kern bestehe darin, den verantwortungs-vollen Umgang mit Antibiotika zu fördern und dadurch den Verbrauch bei Menschen und Tieren zu senken.
Nationale Reduzierungsprogramme wirken
Marta Hugas, die wissenschaftliche Leiterin der EFSA, bestätigt den Erfolg dieser Strategie: „Wir haben gesehen, dass Mitgliedsstaaten, die strenge Auflagen für die Anwendung von Antibiotika bei Tieren machen, tatsächlich sinkende Resistenzen feststellen. Die jährlichen Berichte enthalten gute Beispiele, die als Ansporn für die anderen Länder dienen sollten.“
Hohe Resistenzraten gegenüber Ciprofloxacin
Sorgen bereiten den Wissenschaftlern vor allem hohe Resistenzraten bei Campylobacter gegenüber Fluorquinolonen (Ciprofloxacin). So waren sämtliche Campylobacter coli Kulturen von Menschen aus Portugal und Estland gegenüber Ciprofloxacin resistent. In anderen Ländern, wie etwa Spanien lag der Grad der Resistenzen in diesem Szenario immerhin bei über 95 Prozent.
wir-sind-tierarzt meint: Einiges ist furchteinflößend
(aw) – Während den Wissenschaftlern vor allem die hohen Resistenzraten gegenüber Ciprofloxacin Sorgen bereiten, lassen sich noch viele andere Aspekte entdecken. Die sind meiner Meinung nach nicht minder furchteinflößend. Etwa die vergleichsweise hohen Resistenzraten gegen ein seit 25 Jahren für lebensmittelliefernde Tiere nicht mehr zugelassenen Wirkstoff. Oder der Nachweis von Resistenzen bei Tieren gegen Wirkstoffe, die in der Tiermedizin gar nicht eingesetzt werden.
So wurde Ciprofloxacin wurde bereits in 1983 patentiert. Es ist also mittlerweile auch schon seit über 35 Jahren auf dem Markt. Dass man bei diesem Medikament nicht mehr unbedingt von der „letzten Reserve“ sprechen kann, versteht sich eigentlich von selbst – vor allem, weil der Umgang in der Humanmedizin mit diesem Wirkstoff durchaus als sorglos bezeichnet werden kann. In Europa ist der Wirkstoff Ciprofloxacin nicht für lebensmittelliefernde Tiere zugelassen und in Deutschland gibt es auch keine Präparate mit diesem Inhaltsstoff für Haus- und Heimtiere.
Bemerkenswert finde ich eher die Tatsache, dass zwölf Prozent der Salmonella spp., die von deutschen Schweineschlachtkörpern stammen, resistent gegen Chloramphenicol sind. Das ist bereits seit 1994 nicht mehr zur Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren zugelassen. Hier zeigt sich, wie langsam Resistenzen gegen Wirkstoffe verschwinden, immer vorausgesetzt, dass sich Resistenzen tatsächlich erst entwickeln, wenn Bakterien mit den entsprechenden Antibiotika in Kontakt kommen.
Dass diese häufig zu hörende Theorie nicht so ganz stimmen kann, zeigt sich beim Tigecyclin. Auch diese Ergebnisse finde ich persönlich alarmierender als die Resistenzen gegen Ciprofloxacin: 8,2 Prozent der Salmonella spp.-Proben von deutschen Schweinen sind gegenüber Tigecyclin resistent und bei Salmonella Tyhpimurium (ebenfalls von deutschen Schweinen) sind es sogar 18,8 Prozent. Tigecyclin gehört zu den Glycylcyclin-Antibiotika, ist seit 2007 in Deutschland zugelassen und wird in der Tiermedizin nicht eingesetzt. Die gefundenen Resistenzen können daher (genau wie bei Ciprofloxacin) nicht durch die direkte Anwendung des Wirkstoffs verursacht worden sein.
Allerdings ist Tigecyclin ein Tetrazyklin-Derivat, es ist also möglich, dass es zu Kreuzresistenzen kommt, denn immerhin 51,6 Prozent der deutschen Salmonella spp. auf Schweineschlachtkörpern sind resistent gegenüber Tetrazyklinen. Eine weitere Möglichkeit wäre eine bereits vorhandene natürliche Resistenz gegen Tigecyclin, da Bakterien im Konkurrenzkampf untereinander ebenfalls antibiotisch wirksame Substanzen einsetzen und daher unabhängig von menschlichen Manipulationen über entsprechende Resistenzmechanismen verfügen.
Der vorliegende Report zeigt meiner Meinung nach einmal mehr, wie wichtig der sorgfältige Umgang mit Antibiotika ist. Jeder Kontakt mit einem Wirkstoff kann die Entwicklung von resistenten Keimen fördern. Diese Resistenzen können sich direkt gegen verwendeten Substanzen entwickeln aber eben auch gegen ähnliche Gruppen. Außerdem scheinen Resistenzen lange weitergegeben zu werden, wenn sogar 25 Jahre nach dem kompletten Verzicht auf einen Wirkstoff (Chloramphenicol) noch Resistenzen gegen ihn nachgewiesen werden können.