Menge abgegebener Antibiotika in Tiermedizin weiter gesunken

Regionale Zuordnung der Antibiotika-Abgabemengen 2017 ©Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat die neuen DIMDI-Zahlen für 2017 veröffentlicht, also die Menge der in der Tiermedizin abgegebenen Antibiotika. Diese Zahlen schließen alle Tierarten ein und nicht nur die landwirtschaftlichen Nutztiere.

Der positive Trend der letzten Jahre konnte auch in 2017 fortgeführt werden und so kam es erneut zu einem Rückgang der Menge der abgegebenen Antibiotika auf nun 733 Tonnen.

Rückgang um neun Tonnen gegenüber 2016

Mit neun Tonnen fiel dieser Rückgang um 1,2 Prozent gegenüber 2016 bescheidener aus als in den Jahren zuvor, aber immerhin scheint im Gegensatz zu QS hier noch keine Talsohle erreicht zu sein. Insgesamt konnte die Menge der abgegebenen Antibiotika seit 2011 (erstes Jahr der Erfassung) von 1706 auf 733 Tonnen gesenkt werden, was einem Rückgang um 57 Prozent entspricht. Erfasst werden die Verkäufe von Antibiotika in die verschiedenen Postleitzahlenbereiche nach den Verkaufsangaben der Pharmaindustrie. Wie jedes Jahr ist die größte Menge ins Postleitzahlgebiet 49 geliefert worden, was aber keineswegs bedeutet, dass die Medikamente ausschließlich dort angewendet wurden. Im Bereich dieser Postleitzahl liegen einige der unsatzstärksten deutschen Tierarztpraxen, die überregional tätig sind und daher ihreMedikamente auch in anderen Postleitzahlbereichen anwenden und verkaufen.

Regionale Zuordnung der Antibiotika-Abgabemengen 2017 ©Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)

 

 

Neubeurteilung der Wirkstoffklassen durch WHO in 2017

Von den 733 Tonnen entfallen 591 Tonnen auf Wirkstoffe, die von der WHO bei ihrer Neueinordnung in drei Gruppen im Jahr 2017 als „Access“, also Einstiegskategorie bewertet werden. Diese Wirkstoffe sind – wie alle Antibiotika – wichtig im Kampf gegen Infektionen, aber in ihrer Bedeutung für den Menschen sind sie in die unterste Gruppe eingeordnet.

Wichtiger sind die Wirkstoffe, die zur  „Watch“-Klasse zählen und nach dem Willen der WHO deutlich bewusster eingesetzt werden sollen. Zu dieser Gruppe gehören aus tiermedizinischer Sicht die Quinolone, die Makrolide und die Cephalosporine der 3. Generation. Weitere Wirkstoffe wie etwa Peneme oder Carbapeneme sind in der Tiermedizin nicht zugelassen. 2017 wurden 67,2 Tonnen dieser Wirkstoffe in der Tiermedizin verkauft, dies entspricht einem Rückgang von 116 Tonnen seit 2011.

WHO – „Reserve“ nicht gleichbedeutend mit ehemaligen deutschen „Reserveantibiotika“

Die Antibiotika mit den Wirkstoffen, die die WHO am wichtigsten eingestuft hat, werden seit 2017 tatsächlich auch offiziell als „Reserve“ bezeichnet. Aus Sicht der Tiermedizin fallen nur zwei zugelassene Wirkstoffe in diese wichtigste Kategorie und zwar die Cephalosporine der 4. Generation und die Polypeptid-Antibiotika (Colistin). Der Begriff „Reserve“ wird von der WHO allerdings nicht so dramatisch ausgelegt wie von einigen deutschen politischen Gruppierungen. Es handelt sich hierbei keineswegs nur um Medikamente, die die allerletzte Reserve sind, wenn sonst nicht mehr hilft, sozusagen die „Joker-Antibiotika“. Diese gibt es ohnehin nicht, denn der Wirkstoff, der bei einer Erkrankung am besten hilft, richtet sich nach dem Erreger und muss nicht zwangsläufig zur „Reserve“ gehören. Die Cephalosporine der 4. Generation etwa werden in der Humanmedizin vergleichsweise häufig eingesetzt; daher geht die WHO davon aus, dass der Wirkstoff wichtig für die Humanmedizin ist und vor allem dort und nicht in der Tiermedizin eingesetzt werden sollte.

Cephalosporine der 4. Generation werden in der Tiermedizin mengenmäßig ohnehin sparsam verwendet, im Jahr 2017 waren es 1,1 Tonnen und damit 0,4 Tonnen weniger als in 2011. Der einzige Wirkstoff dieser Kategorie, der in der Tiermedizin zugelassen ist, ist Cefquinom, das nur bei Rindern und Schweinen angewendet wird.

Problematisch wird es dagegen bei der Betrachtung von Colistin. Colistin ist ein sehr altes Antibiotikum, das aufgrund vieler unerwünschter Nebenwirkungen in der Humanmedizin lange so gut wie nicht eingesetzt wurde und auch nicht als wertvoll galt. In der Tiermedizin ist es immer noch sehr gut wirksam bei Darminfektionen beim Geflügel und Schwein und scheint bei oraler Anwendung so gut wie keine Resistenzen zu erzeugen. Bis vor Kurzem konnten Tierärzte Colistin einsetzen ohne dass es die Humanmedizin ernsthaft gestört hätte, doch nun gehört der Wirkstoff sogar zur „Reserve“. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff „Reserveantibiotika“ in Deutschland von Politikern jahrelang nur für Cephalosporine und Quinolone verwendet wurde. Die von der WHO definierte „Reserve“ hat so gut wie nichts mit dem alten deutschen Kampfbegriff „Reserveantibiotika“ zu tun.  Zwar ist der Verkauf von Colistin in Deutschland zwischen 2011 und 2017 von 127 auf 74 Tonnen gesunken, aber von 2016 (69 Tonnen) ist er in 2017 auf 74 Tonnen angestiegen. Bei Enteritiden beim Geflügel sowie Ferkeldurchfällen scheinen die deutschen Tierärzte nicht auf den Wirkstoff verzichten zu wollen/können.

Vergleich der Abgabemengen der wirkstoffklassen 2011 bis 2017 ©Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

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