Isofluran zur Ferkelkastration zugelassen

Ein grünes Licht zeigt an, wenn die nötige Narkosetiefe erreicht ist (Überprüfung durch Reflextest). (Foto: © WiSiTiA/jh)

Ab sofort darf das Narkosegas Isofluran für die Ferkelkastration eingesetzt werden. Das BVL hat die deutsche Zulassung erteilt – in Verbindung mit einem Analgetikum. Noch ist die Anwendung in Deutschland – anders als etwa in der Schweiz – nur Tierärzten erlaubt. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will Isofluran aber per Verordnung auch für Landwirte freigeben. Die Berufsgenossenschaft wiederum bemängelt den Anwenderschutz.

(aw/jh) – Mit Wirkung zum 19.11.2018 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die lang erwartete Zulassung des Inhalationsnarkotikums Isofluran zur Betäubung von Ferkeln während der Kastration erteilt. Isofluran wird in der Schweiz – seit der Eingriff dort 2009 nur noch unter Betäubung erlaubt ist – routinemäßig von Landwirten bei der Kastration von Saugferkeln angewendet.

Landwirte dürfen bald Narkosegas anwenden

In Deutschland ist mit der Zulassung die Isoflurananwendung zunächst nur für Tierärzte erleichtert. Bisher mussten sie das Präparat umwidmen. Die Zulassung ist aber nur der erste Schritt im Plan des Bundeslandwirtschaftsministeriums. In einer Pressemeldung kündigt Ministerin Julia Klöckner an:
„Nun steht eine Option zur Verfügung, für deren Anwendung ich zeitnah die notwendige Verordnung vorlegen werde. Mit der wird es dann auch praktisch für die Landwirte mit nachgewiesener Sachkunde möglich sein, das Mittel anzuwenden.“
Dies bedeutet: Mit der geplanten Verordnung und der Isofluran-Freigabe für sachkundige Laien wird dann erstmals der bisher gesetzlich geltende Narkosevorbehalt für Tierärzte fallen. Bislang dürfen laut § 5.1 Tierschutzgesetz nur Tierärzte eine Betäubung an Wirbeltieren vornehmen .
Allerdings ermächtigt das Tierschutzgesetz in § 6.6 die Bundesregierung auch, davon Ausnahmen zu genehmigen.

Berufsgenossenschaft warnt vor Belastung

Die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft SVLFG wiederum hat – laut Pressemeldung – beim Isofluraneinsatz Defizite beim Anwenderschutz festgestellt. Sie sieht weiteren Forschungs-, Untersuchungs- und Entwicklungsbedarf. Man habe nach einer Reihe von Messungen festgestellt, dass die Narkosegeräte den Anforderungen an einen sicheren Anwenderschutz nicht genügten. Es seien Nachbesserungen an den Masken, den Schlauchverbindungen und an den Dosierungseinrichtungen der Narkosegeräte nötig. „Die festgestellten Gefährdungen für die im Unternehmen arbeitenden Personen müssen durch geeignete Schutzmaßnahmen beseitigt werden;“ schreibt die Berufsgenossenschaft – ohne selbst Details zu nennen (was etwa hier von der Landwirtin und Tierärztin Nadine Henke kritisiert wird).
Welche Messungen die SVLFG auf seinem Hof durchgeführt hat (an zwölf Messpunkte über 4 Stunden), beschreibt ein Landwirt hier in top-agrar.

Atemmasken müssen passen

Das Narkosegas bei nicht passenden Atemmasken austreten kann, wurde auch auf dem bpt-Kongresses in Hannover kritisch diskutiert. Da die Ferkel zum Zeitpunkt der Kastration zwischen 800 und 2.500 Gramm wiegen, sei es dringend erforderlich wenigstens drei verschiedene Größen bei den Atemmasken zur Auswahl zu haben. Wenn  die Masken nicht gut genug passen, entweicht Isofluran in die Umwelt, gefährdet die behandelnden Tierärzte und die Tiere sind unter Umständen nicht ausreichend narkotisiert.

Dass entweichendes Isofluran auf Dauer zu Gesundheitsproblemen bei den Anwendern führen kann, hat das BVL. in einer Fachinformation zur Isoflurananwendung schon 2016 angemerkt:

Der praktische Einsatz von Isofluran beim Ferkel kann nicht losgelöst von der Art der verwendeten Narkosegeräte beurteilt werden. Bei Anwendung von kommerziellen, automatisierten Narkosegeräten, mit denen zwei, drei oder mehr Ferkel gleichzeitig betäubt und kastriert werden können, sollte darauf geachtet werden, dass es nicht aufgrund mangelnder Passgenauigkeit der Atemmasken zu unerwünschter Einatmung von Raumluft, Änderung des Isoflurangehalts im Inhalationsgemisch und unkontrollierter Freisetzung von Narkosegas in die Umgebung kommt. Solche Vorfälle gehören vermutlich zu den Gründen, warum die Ferkelkastration unter Isoflurannarkose bei Verwendung automatisierter Narkosegeräte in der wissenschaftlichen Literatur häufig noch als suboptimal bewertet wird.“ 

Gut wirksame Schmerzausschaltung …

Auch zum strittigen Thema „Schmerzausschaltung“ hatte das BVL in der Isofluran-Fachinformation aus 2016 Ausführungen gemacht:

„Isoflurannarkosen sind aufgrund der physiko-chemischen Eigenschaften von Isofluran gut steuerbar. Die geringe Löslichkeit des Isoflurans im Blut (λ=1,4) bedingt einen schnellen Partialdruckausgleich zwischen Inhalationsgemisch und Alveolarraum, Blut und Gehirn. Die Einleitungs- und Aufwachphase sind daher kurz.“

… in Kombination mit Analgetikum

Durch die kurze Narkosedauer bei gleichzeitig gut wirksamer Schmerzausschaltung durch die induzierte Bewusstlosigkeit gilt Isofluran als idealer Wirkstoff bei Saugferkeln. Aber: Da die Narkosedauer so kurz ist, muss der postoperative Wundschmerz separat behandelt werden, indem ein geeignetes Analgetikum als Prämedikation verabreicht wird. Deshalb sagt die Zulassung:

„Zur Kastration von Ferkeln darf Isofluran aber nur in Verbindung mit einem geeigneten Analgetikum angewendet werden, das vor der Kastration verabreicht werden muss, um postoperative Schmerzen zu lindern.“

In der BVL-Information von 2016 wird auch der Aspekt der Schmerzausschaltung berücksichtigt:

Laut wissenschaftlicher Literatur betragen die Anflutungszeiten beim Ferkel 70 bis 90 Sekunden. Damit lässt sich offenbar nicht bei allen Tieren eine ausreichende Narkosetiefe herbeiführen. Gleichwohl hat Isofluran die grundsätzliche Eigenschaft, eine wirksame Schmerzausschaltung nach dem Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft während der Narkose zu bewirken. Mit zunehmender Dauer der Anflutung steigt zwar der Anteil der Tiere, die die erforderliche Narkosetiefe erreichen, es steigt aber auch das allgemeine Narkoserisiko.“

wir-sind-tierarzt meint: Kein Allheilmittel

(aw) – Mit der Zulassung von Isofluran ist nun wenigstens eine vernünftige Kastrationsmethode unter Schmerzausschaltung möglich. Die nächste Herausforderung ist die zügige Bereitstellung der entsprechenden Geräte und verschieden großer Atemmasken. Trotz aller Euphorie über die Zulassung sollte daran gedacht werden, dass sich die Methode nicht für alle Zuchtbetriebe eignet und dass Isofluran ein „Ozonkiller“ ist.

Quellen:
BVL-Information zur Isofluran-Zulassung (23.11.2018)
BMEL-Presseinformation zur Zulassung und Freigabe für Landwirte (23.11.2018)

BVL-Fachinformation zum Isofluraneinsatz bei Ferkeln (26.7.2016)
weitere Quellen im Artikel direkt verlinkt

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